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Naturschutzverbände enttäuscht

Freude bei Nordharzer Landwirten: EU-Parlament kippt Pestizidgesetz

Landwirte begrüßen das Scheitern des Pestizid-Gesetzes, Umweltverbände sind enttäuscht. Foto: Pleul/ZB/dpa

Landwirte begrüßen das Scheitern des Pestizid-Gesetzes, Umweltverbände sind enttäuscht. Foto: Pleul/ZB/dpa

Das EU-Parlament stimmt gegen einen EU-Kommissionsvorschlag, den Einsatz von Pestiziden in der EU bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Landwirtschaftsverbände begrüßen das Ergebnis, Naturschützer und Wasserversorger sind hingegen enttäuscht.

Samstag, 09.12.2023, 08:00 Uhr

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Nordharz. Das Vorhaben, den Einsatz von Unkraut- und Schädlingsvernichtungsmitteln in der EU für den Umweltschutz stark zu reduzieren, ist im Europaparlament gescheitert. Bei einer Abstimmung im EU-Parlament fand sich keine Mehrheit für eine gemeinsame Position zu den entsprechenden Plänen. Ebenso wurde ein Antrag abgelehnt, das Gesetz im zuständigen Ausschuss nachzuverhandeln. Damit liegt das Vorhaben erst mal auf Eis. Während Vertreter der Landwirtschaft wie der Deutsche Bauernverband das Abstimmungsergebnis begrüßen, sehen Naturschützer und auch die Wasserversorger das Scheitern als herben Rückschlag.

Auch Kreislandwirt Christian Scherb aus Bredelem sagt, er empfinde eine gewisse Genugtuung, dass das Gesetz vom EU-Parlament gekippt wurde. „Die Landwirtschaft hat sich darüber gefreut,“ meint er. Pflanzenschutzmittel seien ohnehin teuer und würden daher von den Landwirten nur sehr sorgfältig, und nur in Mengen, die auch wirklich gebraucht würden, eingesetzt.

„Medizin für Pflanzen“

„Ich sehe das als Medizin für die Pflanzen“, sagt er. „Und da macht ja bekanntlich die Dosis das Gift.“ Viele Wirkstoffe, die in Arzneien für Menschen zum Einsatz kämen, seien auch in Pflanzenschutzmitteln enthalten, argumentiert der Kreislandwirt.

So sei Glyphosat beispielsweise als Desinfektionsmittel entwickelt worden und auch die Abbauprodukte des Glyphosats seien identisch zu denen anderer Desinfektionsmittel, sagte er. In Fungiziden, also Mitteln, die gegen Pilze wirken, seien Stoffe, die auch in Fußpilzcreme zum Einsatz kämen. Deshalb könne auch bei den Pflanzenschutzmitteln nicht einfach die halbe Menge eingesetzt werden, sagte Scherb. „Wird zu wenig genommen, entstehen bei den Pflanzenkrankheiten und Schädlingen Resistenzen. Wie es auch bei Antibiotika der Fall ist.“

Pestizide: Jährlich unterschiedlicher Bedarf

Zudem könne keine feste Grenze für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln anhand eines Durschnittsverbrauchs festgelegt werden, da der Bedarf von Jahr zu Jahr verschieden sei, sagt Scherb. In feuchten Jahren würden zum Beispiel deutlich mehr Fungizide und Insektizide benötigt, da es auch deutlich mehr Schädlingsbefall gebe, als das in trockenen Jahren der Fall sei, erklärt der Kreislandwirt. Auch das Landvolk Niedersachsen nannte die ablehnende Entscheidung des Parlaments „folgerichtig“. Vielen Betrieben seien die Vorgaben zu weit gegangen.

„Wir haben nicht nur ein geltendes Pflanzenschutzrecht, das einen sparsamen Umgang mit chemischen Pflanzenschutzmitteln schon lange vorschreibt“, teilte der Umweltreferent des Landvolks, Hartmut Schlepps, mit. „Die Bauern und Bäuerinnen in Niedersachsen sind auch kontinuierlich auf der Suche nach Möglichkeiten, den Einsatz weiter zu reduzieren.“ Eigentlich sollten Landwirte in der EU den Einsatz von Pestiziden bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent reduzieren. Das hatte die EU-Kommission vorgeschlagen.

„Entscheidung war fatal“

Mit dem Gesetz sollte unter anderem gegen das Artensterben vorgegangen werden. Dr. Friedhart Knolle, erster Vorsitzender des BUND-Regionalverbands Westharz, bedauert, dass es für eine Pestizidreduktion momentan keine parlamentarische Mehrheit in der EU gibt. Für alle, die am Schutz der Natur, von Gewässern, Böden und der menschlichen Gesundheit interessiert sind, sei die Entscheidung des Parlaments fatal gewesen, meint er. „Eine konservative Mehrheit, unter anderem angeführt von CDU/CSU, hat den Gesetzesentwurf so weit entkernt, dass nur noch eine leere Hülle blieb. Am Ende lehnte eine Mehrheit den kläglichen Rest des Vorschlags komplett ab“, sagt Knolle. Dabei sei der Vorschlag der EU-Kommission ein Schritt zur Modernisierung gewesen. „Damit schneidet sich die Landwirtschaft ins eigene Fleisch“, meint Knolle. „Denn Pestizide gefährden Ökosysteme und natürliche Ressourcen, von denen unsere Ernährungssicherheit abhängt.“ Diese Ansicht teilt auch die Niedersächsische Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte.

Sie reagierte enttäuscht auf das Scheitern der EU-Verordnung. Dass man zu keinem Kompromiss gekommen sei, sei kein Grund zur Freude, teilte die Grünen-Politikerin mit. „Es ist wichtig, dass Reduktionsziele für Pflanzenschutzmittel definiert werden“, sagte sie. Die Ministerin wies darauf hin, dass sich Politik, Landwirtschaft und Naturschützer im Bundesland im Rahmen des sogenannten „Niedersächsischen Wegs“ bereits darauf verständigt haben, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, um so die biologische Vielfalt zu stärken.

Niedersachsen plant Reduktion der Pestizid-Nutzung

„Dass jetzt nach fast anderthalb Jahren Verhandlungen noch nicht einmal die Basis für den Beginn der Trilog-Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat für die Verordnung festgelegt werden konnte, ist eine schlechte Nachricht für die Umwelt und auch die Betriebe“, sagte Staudte.

Da es nun lange dauern könne, bis doch noch eine EU-Verordnung kommen könnte, wolle Niedersachsen die Zeit nutzen, um die Pestizidreduktion auf Landesebene voranzutreiben. Der „Niedersächsische Weg“ sieht vor, dass sowohl die Fläche, auf der Pflanzenschutzmittel verwendet werden, als auch die eingesetzte Menge deutlich verringert werden sollen. Insgesamt sollen dann bis 2030 mindestens 25 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden.

Kanister mit einem glyphosathaltigen Mittel: Das EU-Parlament konnte sich nicht auf eine Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln einigen. Zudem hat die EU-Kommission den Einsatz des umstrittenen Unkrautvernichters weiter erlaubt. Foto: Büttner/dpa

Kanister mit einem glyphosathaltigen Mittel: Das EU-Parlament konnte sich nicht auf eine Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln einigen. Zudem hat die EU-Kommission den Einsatz des umstrittenen Unkrautvernichters weiter erlaubt. Foto: Büttner/dpa

Doch nicht nur Naturschützer und Umweltverbände, sondern auch die Wasserversorger sehen das vorläufige Scheitern des Vorhabens als herben Rückschlag für den besseren Schutz der Trinkwasservorkommen. „Je konkreter und verbindlicher die Maßnahmen sind, desto besser für den Schutz der Gewässer und die Trinkwasserversorgung“, sagte Karsten Specht vom Verband kommunaler Unternehmen, der unter anderem die Interessen von Stadtwerken vertritt.

Keine Pestizide im Harzwasser

Im Harz gibt es aber keine Probleme mit dem Trinkwasser: „Das Trinkwasser der Harzwasserwerke unterliegt einer engmaschigen analytischen Überwachung“, sagte Norman Droste, Sprecher der Harzwasserwerke. Dabei werde das Trinkwasser auch auf Pestizidwirkstoffe und Abbauprodukte untersucht, erklärt er. Eine große Anzahl von Wirkstoffen und Abbauprodukten getestet, unter anderem auf Glyphosat und das Abbauprodukt AMPA.

„Die Untersuchungen erfolgen nach der vom Land Niedersachsen vorgegebenen Niedersächsischen Landesliste für Pestizide“, sagt er. Zusätzlich würde das Trinkwasser auch auf Pyrethroide, das sind Stoffe zur Borkenkäfer-Bekämpfung, untersucht. Auf dieses Wirkstoffspektrum werde bereits seit etwa zehn Jahren getestet, sagt Droste. „Es liegen keine Nachweise für Pestizide und Abbauprodukte vor.“ Außerdem komme bei den Talsperren hinzu, dass sie durch ihre besondere Lage auch zusätzlich vor äußeren Einflüssen geschützt seien und ohnehin eine sehr gute Wasserqualität aufwiesen.

Europawahl im kommenden Jahr

Ob das Pestizid-Gesetz in näherer Zukunft doch noch umgesetzt wird, ist fraglich. Die Verordnung wird aktuell auch von den an der Gesetzgebung beteiligten EU-Staaten behandelt. Kommen diese zu einer Position, könnte das Gesetz in einer zweiten Lesung ins Parlament zurückkommen. Dass dies jedoch noch vor den anstehenden Europawahlen geschieht, gilt als unrealistisch. Deshalb fordert Knolle: „Die Europawahl im kommenden Jahr muss dieses Thema wieder auf die Agenda setzen.“ jhb mit dpa

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