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Harzer ging für Klebe-Protest in Haft

Aktivist Leander: „Den Hass nehme ich schweren Herzens in Kauf“

Straßenblockade in München: Bei der Störaktion klebte sich Leander (21) im Dezember auf eine Hauptverkehrsstraße. Foto: Jonas Lein

Straßenblockade in München: Bei der Störaktion klebte sich Leander (21) im Dezember auf eine Hauptverkehrsstraße. Foto: Jonas Lein

Aktivist Leander (21) aus dem Harz klebt sich für den Kampf gegen den Klimawandel auf Straßen, saß dafür über Weihnachten im Gefängnis und protestierte kurz darauf in Lützerath. Er sagt im GZ-Interview: „Wir müssen in den Notfallmodus schalten.“

Sonntag, 29.01.2023, 13:00 Uhr

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Halberstadt. Der Klimawandel und seine Folgen für Mensch und Natur bewegte Leander Grasmeier (21) aus Halberstadt schon früh in seiner Jugend. Erst marschierte er auf den Schüler-Demonstrationen von „Fridays for Future“ mit. Doch das schien ihm nach der Bundestagswahl und den für ihn enttäuschenden Beschlüssen in Sachen Klimaschutz nicht mehr genug. Er entschied sich für den zivilen Widerstand.

Mit dem Protestbündnis  „Letzte Generation“ organisiert der Student seit vergangenem Oktober Stör-Aktionen, klebte sich in Berlin und München auf Straßen und ging dafür 12 Tage lang, über Weihnachten und Silvester, in den so genannten Präventivgewahrsam. Die umstrittene Regelung erlaubt es Bayern, Menschen in Einzelfällen für bis zu 30 Tage zu inhaftieren.

Vor einigen Tagen ist Leander von den Protesten gegen den Kohleabbau in Lützerath zurückgekehrt und sieht sich nun vor eine Entscheidung gestellt: Widmet er sich vorrangig seinem Lebensmitteltechnologie-Studium in Berlin – oder kämpft er weiter für Klimagerechtigkeit? 

Hallo Leander, du bist gerade aus Lützerath nach Hause gekommen. Wie hast du den Protest erlebt?

Ich war bei der Großdemo am 14. Januar dabei. Dass die Politik trotz der vereinbarten Klima-Ziele weiter am Kohle-Abbau festhält, ist eigentlich schon schlimm genug. Es war aber auch erschreckend zu sehen, mit welcher Aggression die Polizei gegen friedliche Demonstranten vorgegangen ist. Schon die Zahl der Polizisten und der Einsatz von fünf Wasserwerfern erschien mir völlig unverhältnismäßig. Von den Knochenbrüchen und Kopfverletzungen habe ich erst im Nachhinein gehört.

Polizisten und Demonstranten stehen sich bei der Demonstration von Klimaaktivisten am Rande des Braunkohletagebaus bei Lützerath gegenüber. Foto: Henning Kaiser/DPA

Polizisten und Demonstranten stehen sich bei der Demonstration von Klimaaktivisten am Rande des Braunkohletagebaus bei Lützerath gegenüber. Foto: Henning Kaiser/DPA

Du beteiligst dich seit Oktober an den Aktionen der „Letzten Generation“. Warum der Schritt zu zivilem Widerstand?

Ich habe schon früh in der Schule gelernt, welche Bedeutung die Klimakrise für mich persönlich, vielmehr aber für die ganze Gesellschaft weltweit hat. Seitdem gewinnt das Thema für mich immer weiter an Bedeutung. Ich habe lange bei den Demos von „Fridays for Future“ mitgemacht. Nach der Bundestagswahl habe ich aber realisieren müssen, dass die versprochene Einhaltung der Klima-Ziele von der Politik nicht umgesetzt wird. Dadurch wird unsere Lebensgrundlage gerade nachhaltig zerstört. Deshalb habe ich mich für andere Protestformen entschieden.

Weil der Klimawandel nach der Wahl dann doch keine allzu große Rolle mehr spielte?

Im Wahlkampf hatten alle Parteien noch über das 1,5-Grad-Ziel gesprochen. Darauf lagen für mich große Hoffnungen. Aber nach der Wahl sah es plötzlich wieder anders aus. Es hat sich gezeigt, dass die Realität noch nicht genug anerkannt wird. Es wird immer erst reagiert, wenn es zu Katastrophen kommt, wie zuletzt beim Hochwasser im Ahrtal. Aber wenn es darum geht, echten Klimaschutz zu machen, spielen die Interessen der Konzerne eine größere Rolle. Das war schon sehr enttäuschend. 

Also haben die Proteste von „Fridays for Future“ ihre Wirkung verfehlt?

Nein, im Gegenteil: „Fridays for Future“ hat gezeigt, dass das Thema Klimagerechtigkeit in weiten Teilen der Gesellschaft angekommen ist. Die Mehrheit der Deutschen will ausreichenden Klimaschutz. Doch es wird nicht umgesetzt, obwohl die wissenschaftlichen Berichte eindeutig zeigen, wie schlimm es steht. 

Von welcher Partei warst du besonders enttäuscht? 

Die Erwartungen waren hoch, dass mit einer Grünen Regierungsbeteiligung auch mehr Klimaschutz umgesetzt werden kann. Dass das nicht geschieht, zeigt, dass unser System insgesamt nicht angemessen auf die Krise reagiert. Deshalb brauchen wir mehr Bürgerbeteiligung. Und deshalb ist es wichtig, dass die Menschen aufstehen, protestieren und in den zivilen Widerstand gehen. Wir müssen jetzt in den Notfallmodus schalten.

Du bist im Harz aufgewachsen. Was macht der Klimawandel mit deiner Heimat und mit dir selbst? 

Auch im Harz wurde erst ernsthaft über den Klimawandel gesprochen, als das Baumsterben nicht mehr zu übersehen war. Mich macht es traurig zu sehen, wie der Borkenkäfer aufgrund der Trockenheit durch den Klimawandel im Oberharz wüten kann. Auch an den heißen Sommern und den niedrigen Wasserpegeln in den Talsperren sieht man die Veränderungen – es wird sich bald die Frage stellen, wie man das Trinkwasser verteilt. Und natürlich fällt weniger Schnee, was den Tourismus im Harz neben den toten Bäumen zusätzlich bedroht.

Wo siehst du den Harz in 20 Jahren?

Ich habe den Eindruck, dass man sich nur mit Klimaschutz beschäftigt, wenn Zeit und Geld dafür übrig sind. Dabei ist ein stabiles Klima die Grundlage dafür, dass wir gut leben können. Politik und Wirtschaft müssen deshalb langfristiger denken. Die Wälder im Oberharz sind dafür ein gutes Beispiel. Sie wurden jahrzehntelang als Wirtschaftswälder betrieben und das rächt sich jetzt.

Zunehmende Trockenheit und die Verbreitung des Borkenkäfers setzen den Fichtenwäldern im Harz stark zu. Foto: Julian Stratenschulte/DPA

Zunehmende Trockenheit und die Verbreitung des Borkenkäfers setzen den Fichtenwäldern im Harz stark zu. Foto: Julian Stratenschulte/DPA

Was sollte im Harz für mehr Klimschutz getan werden?

Als erstes muss die Dramatik des Klimawandels endlich akzeptiert werden. Wir müssen uns von dem Bild verabschieden, dass sich vielleicht ein paar Sachen verändern werden und dann alles so weitergeht wie vorher. Wenn die Kipppunkte erst einmal erreicht sind, wird sich die Lebensrealität im Harz unaufhaltbar verändern – und in der ganzen Welt. Der Harz braucht dringend resiliente Ökosysteme mit mehr Artenvielfalt.

Und was muss die Bundesregierung tun?

Natürlich müssen die Pariser Klima-Ziele eingehalten werden. Aber unser Protest muss nicht alle Antworten mitliefern. Unsere Rolle ist es, die Menschen wachzurütteln und darauf hinzuweisen, dass wir uns auf einem tödlichen Kurs bewegen. Es reicht nicht, immer nur zu reagieren. Es müssen neue Prioritäten gesetzt werden. Dafür brauchen wir einen Gesellschaftsrat, der wissenschaftlich begleitet wird.

An wie vielen Protesten warst du als Aktivist für die „Letzte Generation“ beteiligt? 

Es gibt ja nicht nur die Blockaden, sondern auch viel Bildungsarbeit. Ich tausche mich mit vielen Akteuren aus dem Klimaschutz aus und halte zum Beispiel Vorträge. Mit den medienwirksamen Protesten wollen wir Druck auf die Politik ausüben. Ich habe an etwa zehn Protesten teilgenommen, die meisten davon waren Straßenblockaden in Berlin und München, bei denen wir uns festgeklebt haben.

Und in München bist du dafür sogar im Gefängnis gelandet?

Ja, in München wurde ich für 12 Tage in Präventivhaft genommen. Erst in einer Polizeizelle und dann über Weihnachten und Silvester mit sieben anderen Menschen in einer Justizvollzugsanstalt.

Abgeführt von der Polizei: Die Protestaktion der „Letzten Generation“ in München wertete ein Haftrichter als Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Foto: Jonas Lein

Abgeführt von der Polizei: Die Protestaktion der „Letzten Generation“ in München wertete ein Haftrichter als Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Foto: Jonas Lein

Wie kann man sich das vorstellen? Warst du mit den „schweren Jungs“ untergebracht? 

Ich hatte eine Einzelzelle. Ungefähr acht Quadratmeter groß mit einem Bett, Waschbecken, einem Schrank, einer Toilette und einem Tisch. Als erstes war ich fünf Tage in Quarantäne. Das waren sehr stille Tage. Zum Glück hatte ich ein kleines Fenster, durch das etwas Tageslicht schien. Das war mein einziger Bezug zur Außenwelt. 

Weihnachten allein in einer Zelle – was ging da in dir vor?

Weihnachten war eigentlich ein ganz normaler Gefängnis-Tag. Von Besinnlichkeit war nicht viel zu spüren. Das hätte aber auch nicht zu meiner Stimmung gepasst. Es gab immerhin einen Stollen – das war ein kleines Highlight.

Wie haben deine Eltern darauf reagiert?

Die waren natürlich traurig, auch wenn es sie vielleicht nicht allzu sehr überrascht hat. Sie wissen, wie sehr mich die Klimakrise bewegt. Ich hätte natürlich auch lieber mit meiner Familie gefeiert und Weihnachtslieder gesungen. Aber für mich ist das Thema Klimagerechtigkeit aktuell wichtiger. Dass wir im Gefängnis saßen, hat mich sogar ein stückweit motiviert. Wir sind nicht machtlos und der Protest zeigt Wirkung, da er die Dringlichkeit der Klimakrise in die Mitte der Gesellschaft bringt. An Silvester konnte ich ein bisschen Feuerwerk durch mein Zellenfenster sehen. In dem Moment habe ich gedacht: „Auf geht’s. Morgen kommst du raus und dann packst du 2023 an.“ Einige Tage später war ich dann auch schon in Lützerath.

War die Präventivhaft aus deiner Sicht rechtens? 

Erst einmal ist es doch absurd, wofür der Staat seine Energie verschwendet. Anstatt aktiv gegen die Klimakrise vorzugehen, sperrt man Menschen weg, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen. Ich warte noch auf meinen Prozess. Der Haftrichter hatte ja kurioserweise entschieden, dass wir die öffentliche Ordnung bedrohen. Jetzt wird es spannend zu sehen, ob der Klima-Notstand juristisch als Rechtfertigung für den Protest anerkannt wird.

Was sagst du Menschen, deren Alltag von den Straßenblockaden gestört wird?

Ganz ehrlich: Mir tut es leid, Menschen auf der Straße zu blockieren und ihren Alltag durcheinander zu bringen. Das ist für die Betroffenen in der Situation nicht so leicht zu verstehen. Ich bekomme aber auch viel Zuspruch, vor allem von Leuten, die sehen, dass wir schon seit Jahrzehnten nicht handeln. Sie wissen, dass sich etwas ändern muss. Und die Proteste haben ja Erfolg. Die Leute fragen sich, warum wir das machen und wo wir eigentlich beim Klimaschutz stehen. Und genau das ist es, was wir wollen: Die Diskussion voranbringen. 

Aber dafür wurdet ihr von vielen Politikern zum Feindbild erklärt...

Mir war schon klar, dass wir uns mit unserem Protest nicht beliebt machen. Und es stimmt: Öffentlich haben uns einige Parteien zum Feindbild erklärt. Anders als den Parteien geht es uns aber nicht darum, beliebt zu sein, sondern auf die Dringlichkeit der Klimakrise hinzuweisen. Den Unmut und manchmal sogar Hass nehme ich dafür schweren Herzens in Kauf.

Wie weit wirst du für den Kampf gegen den Klimawandel noch gehen? 

Tatsächlich bin ich gerade an einem Punkt, an dem ich meine bisherigen Prioritäten in Frage stelle. In der Uni lerne ich immer wieder Neues über die Möglichkeiten, den Klimawandel einzudämmen. Aber die Zeit drängt, denn in zwei oder drei Jahren ist es schon zu spät, unumkehrbare Prozesse aufzuhalten. Erst einmal müssen wir die vielen existierenden Lösungen umsetzen. Für mich ist der friedliche und entschlossene Protest deshalb aktuell am wichtigsten.

Planst du auch Protestaktionen im Harz?

Der Protest wird sich 2023 von den großen Städten auf kleinere Region ausweiten. Wir wollen das Thema in die Mitte der Gesellschaft bringen. Was genau wir planen, verrate ich natürlich nicht.. Aber es gibt auch Ideen für Proteste im Harz.

Das Interview führte Christian Carstens.

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