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Kommunales Krisenmanagement

So hat der Landkreis Wolfenbüttel auf Corona reagiert

Der Landkreis Wolfenbüttel organisiert im Verlauf der Pandemie mobile Impfteams. Diese machten auch in Schladen wöchentlich Halt. Das Dorfgemeinschaftshaus bot ausreichend Platz für die erforderlichen Sicherheitsabstände. Archivfoto: Gereke

Der Landkreis Wolfenbüttel organisiert im Verlauf der Pandemie mobile Impfteams. Diese machten auch in Schladen wöchentlich Halt. Das Dorfgemeinschaftshaus bot ausreichend Platz für die erforderlichen Sicherheitsabstände. Archivfoto: Gereke

Was der Landkreis Wolfenbüttel aus der Pandemie gelernt hat und wie er für die Zukunft wichtige Themen anpackt und mitgestaltet, hat die GZ erfragt und dabei Näheres über das kommunale Krisenmanagement der vergangenen drei Jahre erfahren.

Von Samuel Jambrek Mittwoch, 12.04.2023, 05:59 Uhr

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Landkreis Wolfenbüttel. Die Corona-Pandemie begleitet die Gesellschaft mittlerweile das dritte Jahr in Folge. Das Schlimmste scheint, nach Einschätzung von Experten, aufgrund der hohen Impfrate und einer damit verbundenen guten Grundimmunisierung, inzwischen vorüber zu sein. Zeit für einen Blick zurück: Die GZ hat nachgefragt, was der Landkreis Wolfenbüttel aus der Pandemie gelernt hat, und wie er für die Zukunft relevante Themen anpackt.

Pressesprecher Andree Wilhelm sagt dazu Folgendes: „Gerade zur Beginn der Pandemie war die Lage sehr dynamisch und herausfordernd, angepasste Strukturen konnten innerhalb des Gesundheitsamtes und der Verwaltung aufgebaut werden. Dies erfolgte während der Hochzeit der Pandemie von März 2020 bis zum frühen Sommer 2022 mit hohem persönlichen Einsatz der Mitarbeitenden, vielen Überstunden und Wochenenddiensten.“

Da die Fallzahlen sehr geschwankt hätten und die Infektionen sich in Form von Wellen ergeben hätten, habe das Gesundheitsamt den Personaleinsatz immer wieder an die Infektionslage anpassen und zusätzliches Personal zur Kontaktnachverfolgung, zum Erstellen von Quarantänebescheiden sowie für das Bürgerinformationstelefon einstellen müssen. Außerdem seien im Landkreis Wolfenbüttel von Mitte März 2020 bis zum 31. Dezember 2022 insgesamt 826 Ordnungswidrigkeitsverfahren im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen Corona-Auflagen eingeleitet worden.

Stand der Digitalisierung

Auf den Stand der Digitalisierung des Gesundheits- und Ordnungsamts angesprochen, teilte Wilhelm mit, dass bereits zu Beginn der Corona-Pandemie eine digitale Kontaktnachverfolgung stattgefunden habe, da das Gesundheitsamt eine entsprechende Software bereits angeschafft hatte. In den kommenden zwei Jahren sei zudem geplant, das Gesundheitsamt in allen Bereichen zu digitalisieren, wozu eine Bezuschussung von 524.000 Euro aus dem Fördertopf „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ des Bundesgesundheitsministeriums zugesagt worden sei.

Ist der Landkreis Wolfenbüttel auf Pandemien heute besser eingestellt, als er es vor der Corona-Pandemie war? Laut Landkreissprecher Wilhelm ist das der Fall. Die Pandemie habe gezeigt, dass die Landkreisverwaltung in der Lage sei, schnell zu reagieren und Strukturen für den Umgang mit Krisensituationen aufzubauen. Im direkt zu Beginn der Pandemie eingerichteten Krisenstab seien Vertreter aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst, dem Klinikum, der Polizei und Verwaltungen von Landkreis, Stadt und Gemeinden zusammen gekommen, um nötige Schritte zu beraten. Auch interne Arbeitsgruppen mit klaren Verantwortlichkeiten hätten zum Erhalt der Leistungsfähigkeit beigetragen. Der Landkreis habe schnell ein Impfzentrum mit mehreren Straßen aufgestellt sowie ab Oktober 2021 mit mobilen Impfteams die Impfkampagne durchgeführt. Vom Impfstart im Januar 2021 bis Dezember 2022 seien 136.500 Impfungen vorgenommen worden.

Christiana Steinbrügge

Christiana Steinbrügge

Angesichts der starken Fokussierung auf die Corona-Pandemie stellt sich jetzt auch die Frage, wie es um das Angehen weiterer Themen mit hoher Zukunftsrelevanz steht. Laut Landrätin Christiana Steinbrügge ist die Zukunftsgestaltung trotz der erforderlichen Krisenbewältigung im Landkreis Wolfenbüttel nicht aus dem Blick geraten. So habe der Kreistag im Juni 2021 ein Handlungskonzept zur nachhaltigen Entwicklung beschlossen, das die UN-Nachhaltigkeitsziele auf den Landkreis Wolfenbüttel überträgt. Neben einer nachhaltigen Beschaffung sieht das Konzept unter dem Handlungsansatz „Soziale Teilhabe und gesellschaftlicher Zusammenhalt“ etwa auch die Sozialraumarbeit in Schladen, Schöppenstedt und Wolfenbüttel sowie den inklusionsgerechten Um- und Neubau von Schulen vor.

Idee: Zukunftslabor

Im Bereich des Klimaschutzes führt Steinbrügge an, dass 2020 das Klimaschutzkonzept aktualisiert wurde. Dieses sieht im Bereich Wirtschaft etwa vor, neue Arbeitsplätze im Landkreis zu schaffen sowie auf neue Arbeitsformen wie Home-Office und Co-Working-Places zu setzen, um dem erheblichen Pendlerstrom entgegen zu wirken. Außerdem fördert der Landkreis Klimaschutzmaßnahmen für Privathaushalte und prüft bei eigenen Liegenschaften bei Neu- und Umbauten, den Einbau von klimafreundlichen Technologien.

Ganz konkret lasse sich das zukunftsgerichtete Handeln des Landkreises Wolfenbüttel etwa daran erkennen, dass der Landkreis Wolfenbüttel gemeinsam mit dem Landkreis Helmstedt und der Ostfalia Hochschule und weiteren Partnern Innovationen erprobe, die durch den 5-G-Mobilfunkstandard möglich würden. Außerdem werde der Breitbandausbau mit einer eigenen Netzgesellschaft vorangetrieben.

Die Frage, welche Rolle zukunftsgerichtetes Handeln für den Landkreis Wolfenbüttel in Bezug auf Pandemien und andere Bereiche hat, ist damit ansatzweise und exemplarisch beantwortet. Dr. Philine Warnke vom Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung, stellte in einer aktuellen Untersuchungim Auftrag der Bundesregierung, ob und wie strategische Vorausschau Politik beeinflusst, fest: „Viele Studien versanden, weil vorausschauendes Handeln nicht Teil unserer Politikkultur ist.“ Sie hat der Bundesregierung deshalb empfohlen, ein Zukunftslabor einzurichten, in dem Mitarbeiter aus verschiedenen Ministerien gemeinsam an Zukunftsthemen arbeiten. Aufgegriffen wurde das bisher aber nicht.

Zusammenarbeit

Als Lerneffekt aus der Corona-Pandemie nennt Wilhelm die intensivere fach- und ressortübergreifende Zusammenarbeit im Landkreis. Warnke zufolge dürfte diese auf Landkreisebene tatsächlich intensiver als auf Bundesebene stattfinden. Nichtsdestotrotz sieht sie auch auf dieser Ebene Ausbaubedarf, vor allem auch in puncto Prävention. Auf ihre Erhebung „Studie zur Institutionalisierung von Strategischer Vorausschau als Prozess und Methode der deutschen Bundesregierung“, habe sie sogar mehr Anfragen von Landtagspolitikern als von Bundestagsmitgliedern erhalten.

Laut einer von Warnkes StudienCo-Autorinnen und Verwaltungswissenschaftlerin Professor Dr. Sylvia Veit von der Universität Kassel ist die Frage entscheidend, ob aus Ereignissen wie der Corona-Pandemie tatsächlich gelernt wird oder bei der nächsten Pandemie eine Art „Stunde 0“ beginne. Vergleichbar zur Frage ob und wenn ja inwieweit und wie nachhaltig aus der Pandemie gelernt worden ist, sei etwa die Frage, inwieweit aus dem Jahr 2015 und 2016 und der Unterbringung vieler Flüchtlinge gelernt worden sei. Also welches Erfahrungsplus besitzen die Landkreise und Gemeinden bei der Flüchtlingsunterbringung der Ukrainer heute?

Netzwerkausbau als Erfolgsfaktor

Der Nationale Normenkontrollrat bescheinigte dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2017 im Zuge der Flüchtlingszuwanderung 2015 bis 2017 zwar die Initiierung von Optimierungsmaßnahmen, zugleich aber auch ein „strukturelles Defizit im deutschen Verwaltungsgefüge“ und ein oftmals „starres Zuständigkeitsdenken“ als Hindernis für effiziente Prozesse sowie fehlende Vorsorge gegenüber Krisen.

Gleichzeitig kam der Politikwissenschaftler Professor Michael Bauer von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer im März 2020 veröffentlichten Diskussionspapier „Wie krisenfest ist die deutsche Kommunalverwaltung? Erkenntnisse aus einer deutschlandweiten Befragung von Kreis-, Gemeinde und Stadtverwaltungen“ zum Schluss, dass ein eminenter Faktor zur Bewältigung der Hochphase der Fluchtmigration auf kommunaler Ebene der Ausbau von Netzwerkaktivitäten war.

Diesen Ausbau brauche es extern sowie intern, um ein gutes Krisenmanagement sicherzustellen. Analog dazu wie Ehrenamtliche bei der Flüchtlingsunterbringung unterstützten, bildeten sich während der Corona-Pandemie etwa gleich zu Beginn Einkaufsnetzwerke für Senioren, Unterstützung für Obdachlose und Ähnliches. Die Rolle ehrenamtlicher Arbeit war auch hier immens. Auf die Corona-Pandemie hätten die Gesundheitsämter theoretisch besser vorbereitet sein können, als sie es tatsächlich waren. Eine Risikoanalyse des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ging bereits vor zehn Jahren davon aus, dass ein aus Asien eingeschlepptes Coronavirus mit dreijähriger Dauer, mehreren Infektionswellen mit Millionen Erkrankten, allerdings deutlich höheren Todeszahlen als tatsächlich eingetreten und Impfstoffverfügbarkeit erst nach drei Jahren auftreten könnte.

Begrenzte Ressourcen

Auf die Frage, welchen Widerhall diese Prognose damals im Gesundheits- und Ordnungsamt des Landkreises Wolfenbüttel hatte, hieß es von Wilhelm, dass diese „insgesamt zu wenig Beachtung“ fand. Außerdem: „Die Gesundheitsämter vor Ort waren aufgrund begrenzter Ressourcen nicht in der Lage, sich intensiv mit der Problematik auseinanderzusetzen.“

Im Krisenmanagement stark gefordert, ist in den Hochphasen der Corona-Pandemie das Gesundheitsamt des Landkreises Wolfenbüttel. Foto: Landkreis Wolfenbüttel

Im Krisenmanagement stark gefordert, ist in den Hochphasen der Corona-Pandemie das Gesundheitsamt des Landkreises Wolfenbüttel. Foto: Landkreis Wolfenbüttel

Immerhin habe die Akademie für öffentliches Gesundheitswesen 2018 und 2019 die ersten Fortbildungen zum Krisenmanagement angeboten, um sich auf solche Szenarien vorzubereiten. Die dort erworbenen Erkenntnisse seien auch zur Bewältigung der Pandemie eingesetzt worden.

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