Zähl Pixel
Familie ist 1851 ausgewandert

Australier (69) sucht Verwandte im Oberharz

Bergmannstochter Emma ist das älteste Kind der einstigen Clausthaler Carl und Caroline Weichert. Foto: Privat

Bergmannstochter Emma ist das älteste Kind der einstigen Clausthaler Carl und Caroline Weichert. Foto: Privat

Neil Beverley ist den Wurzeln seiner Ururgroßmutter auf der Spur: Die Bergmannstochter kommt 1851 mit dem Segelschiff nach Adelaide. Nun ist der Australier auf der Suche nach Menschen, die noch im Oberharz leben und mit ihm verwandt sein könnten.

Von Sören Skuza Samstag, 15.07.2023, 12:45 Uhr

Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!

Clausthal-Zellerfeld. Vom nasskalten Oberharz in das sonnige Australien: Was klingt wie der Beginn einer Geschichte über das Auslandsjahr einer Abiturientin, ist bereits Mitte des 19. Jahrhunderts für viele Bergleute Realität. Zwischen 1848 und 1853 wanderten mehr als 1000 Menschen aus dem Oberharz Richtung Adelaide aus – und das mit staatlicher Förderung. Ein Nachfahre dieser Aussiedler sucht nun in Clausthal nach entfernten Verwandten und hofft auf tatkräftige Unterstützung der Einheimischen.

38 Jahre alt ist der Clausthaler Bergmann Carl Weichert, als er mit seiner Frau Caroline und den fünf gemeinsamen Kindern im Jahr 1851 seine Heimat verlässt. Ziel der Reise: Hahndorf. Allerdings ist damit nicht der heutige Ortsteil von Goslar gemeint, sondern eine Siedlung in Südaustralien, wenige Kilometer östlich der Hafenstadt Adelaide. Die lange Reise ist beschwerlich. Zunächst geht es mit dem Karren nach Vienenburg, von dort fährt die Familie mit dem Zug nach Bremen. Nach einigen Tagen Wartezeit gehen Weicherts schließlich an Bord des vierunddreißig Meter langen Segelschiffs „Herder“. Ganze drei Monate dauert die Überfahrt, ehe die Familie im September das australische Festland betritt und down under heimisch wird.

Gefährliche Reisen

Viele solcher Geschichten schlummern noch im Bergarchiv Clausthal, erzählt die freie Historikerin Corinna Meiß, die die Familienhistorie der Weicherts rekonstruiert hat. Und nicht alle Geschichten sind gut ausgegangen. Von einigen Auswanderern ist bekannt, dass sie es sich unterwegs anders überlegt haben, dass sie krank geworden oder gar gestorben sind. Aber warum taten sich Menschen derartige Strapazen an, in einer Zeit, in der reisen noch mit sehr viel mehr Gefahren verbunden waren als heute? Dazu ist ein Blick in die Lebenssituation der Menschen in der Mitte des 19. Jahrhunderts nötig. „Im ganzen Königreich Hannover nahm die Bevölkerung ab“, erklärt Meiß. Mit Ausnahme einer Region: dem Oberharz. Doch hier ging gleichzeitig der Bergbau immer weiter zurück, sodass es für mehr und mehr Leute schwierig wurde, Arbeit zu finden. Bergmänner bekamen Probleme, ihre Familien zu ernähren, Frauen und Kinder mussten sich um zusätzliches Einkommen bemühen.

Einzigartig in Deutschland

Darum ließen sich die Zuständigen des Königreichs etwas einfallen, das es in dieser Weise in Deutschland bisher nicht gegeben hatte. Es wurde aktiv darum geworben, dass einige Oberharzer ihre Heimat verlassen und auswandern. Mehr noch: „Der Staat hat alles organisiert und bezahlt“, so Meiß. Wer Interesse hatte, nach Australien zu gehen, konnte sich darum bewerben. In guter preußischer Tradition war das mit viel bürokratischem Aufwand verbunden, doch angesichts der schwierigen Lebensumstände waren viele Familien bereit, die Arbeit auf sich zu nehmen. Nach erfolgreicher Prüfung konnten die Reisevorbereitungen beginnen, für Koffer, Pässe und Überfahrt kamen die Behörden auf. Die Auswanderer mussten schließlich öffentlich ihre Vorhaben ankündigen und in der Zeitung inserieren. Viele dieser Inserate, Quittungen und Listen liegen heute im Bergarchiv. Anhand der Unterlagen lassen noch immer die Geschichten einiger Auswanderer rekonstruieren. So auch die der Familie Weichert.

Neil und Liz Beverley suchen gemeinsam nach Verwandten im Oberharz. Foto: Privat

Neil und Liz Beverley suchen gemeinsam nach Verwandten im Oberharz. Foto: Privat

Nachfahre recherchiert

Ein Nachfahre der Familie hat es sich zum Ziel gemacht, entfernte Verwandte aus Clausthal-Zellerfeld zu finden. Der Australier Neil Beverley ist der Ururenkel der ältesten Weichert-Tochter. Emma Weichert heiratete im Alter von 19 Jahren einen den jungen Schlesier Julius Leopold. Zehn Kinder gingen aus der Ehe hervor. Seine Urgroßmutter Vanda hat Neil Beverley noch selbst kennengelernt, sie verstarb 1969 im stolzen Alter von 97 Jahren in Hahndorf.

Obwohl anzunehmen ist, dass in der migrierten Familie zunächst noch Deutsch gesprochen wurde, kann sich Beverley nicht daran erinnern, dass seine Urgroßmutter je Deutsch gesprochen hätte. Die Historikerin Meiß, die Beverley mit der Recherche beauftragt hat, legt die Vermutung nahe, dass sich spätestens mit dem Ersten Weltkrieg die englische Sprache in der Familie etabliert hat.

Verwandte gesucht

Der 69-Jährige betreibt seit Jahrzehnten Ahnenforschung, beschränkte sich bisher aber vor allem auf die britischen Vorfahren seines Vaters. Anlässlich einer bevorstehenden Europareise mit seiner Frau Liz habe er beschlossen, mit einem Abstecher in den Harz dem Urlaub eine neue Dimension zu geben. Mitte August wird das Ehepaar darum den Oberharz erkunden und im Bergarchiv stöbern. „Für uns Australier sind diese Jahrhunderte alten Dokumente natürlich etwas sehr Besonderes und ich freue mich schon darauf, mit eigenen Augen die Namen meiner Vorfahren zu lesen,“ meint Beverley.

Er hoffe darauf, dass in der Berg- und Universitätsstadt noch Verwandte leben. Im Stammbaum der Familie Weichert stehen außerdem Namen wie Ey, Leunig, Trögert, Habich, Rehbock und Waldhüter. Mögliche Verwandte oder Hinweisgeber können sich an Corinna Meiß wenden, unter info@woerteragentur.com.

Die Goslarsche Zeitung gibt es auch als App: Einfach downloaden und überall aktuell informiert sein.

Diskutieren Sie mit!
Weitere Themen aus der Region