Eine gespenstische Debatte

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender, stimmt im Bundestag namentlich über Anträge der Unionsfraktion zur Verschärfung der Migrationspolitik und zur inneren Sicherheit ab. Der Bundeskanzler hatte zuvor mit einer Regierungserklärung Stellung zu aktuellen innenpolitischen Themen wie dem Messerangriff in Aschaffenburg Stellung genommen. Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat mit seinem Vorstoß zur Begrenzung der Zuwanderung eine heftige politische Debatte im Land ausgelöst: Ist er Steigbügelhalter für die AfD? Doch es gibt in Deutschland in Wahrheit ganz andere Probleme.
Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!
Der Kandidat hat wahrlich hoch gepokert. Den widerlichen und tödlichen Angriff eines psychisch gestörten und gewalttätigen Afghanen in Aschaffenburg nimmt CDU-Chef Friedrich Merz zum Anlass, die Migrationspolitik in den Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfs zu stellen. Das schien im ersten Moment der berechnende Schachzug eines beflügelten Kandidaten zu sein, der damit durchaus Punkte in der Bevölkerung sammeln könnte. Zumal ein Großteil der Deutschen ein strikteres Vorgehen gegen illegale Zuwanderung und straffällige Migranten befürwortet.
Friedrich Merz wollte mit dem Migrationsantrag und dem „Zustrombegrenzungsgesetz“ auf Gnaden der AfD einen Coup für die CDU landen. Doch selbst in den eigenen Reihen kamen schnell Zweifel auf – und am Ende ist Merz im Bundestag grandios gescheitert. Ganz unabhängig von taktischen Debatten über Brandmauern, Moral und politische Versprechen deuten jüngste Meinungsumfragen im Vorfeld der Bundestagswahl eher darauf hin, dass der CDU-Kanzlerkandidat ausgerechnet der AfD zusätzliche Punkte beschert hat – obwohl er doch eigentlich aus dem rechtspopulistischen Lager möglichst Stimmen für die Union einsammeln wollte.
Was immer du tust, tue es klug – und bedenke das Ende, heißt ein weiser Spruch der alten Römer. Unter den Schockwellen der Aschaffenburg-Mordtat hat sich Friedrich Merz offenbar vom machtbeduselten Vorgehen eines Donald Trump inspirieren lassen. Doch das funktioniert hier nicht – weder für Deutschland noch für Europa. Ob mit oder ohne AfD-Zustimmung: Das Zustrombegrenzungsgesetz à la Merz hätte es schon schwer gehabt, durch den Bundesrat zu kommen, weil selbst von der Union regierte Länder teils nicht mitziehen wollen.
Dabei blieb in der aufgeheizten Debatte außen vor, dass die geltenden Gesetze in Deutschland und Europa bereits viel Raum geben, gegen illegale und straffällige Zuwanderer strikter vorzugehen. Doch Politik, Behörden, Staatsschützer und Kriminalämter sind offenbar nicht in der Lage dazu. Hier liegt das Kernproblem.
Ich stelle mir die Frage, warum nicht spätestens nach der blutigen Amokfahrt von Magdeburg überall in Bund und Ländern die Alarmglocken läuteten, um zumindest wiederholt auffällige und psychisch kranke Zuwanderer unter Kontrolle zu bringen, bevor sie grausame Straftaten begehen. Denn wie in Magdeburg war auch der Täter in Aschaffenburg den Behörden längst bekannt. Und am Rande bemerkt: Sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in Bayern regieren Unionspolitiker an der Spitze.
Derweil wittert Olaf Scholz ein wenig Morgenluft, um die SPD aus derzeit aussichtsloser Lage nach vorne zu bringen. Der Noch-Kanzler beschwört die Gefahr einer schwarz-blauen Koalition unter seinem Nachfolger in spe Friedrich Merz. Eine nüchterne Betrachtung ist somit überfällig: Das furchtbar formulierte „Zustrombegrenzungsgesetz“ beinhaltete in Wahrheit kein Teufelswerk. Zumal die Zahl der Zuwanderer bereits sinkt und die Zahl der Abschiebungen steigt. Eine Kompromisslösung ohne die AfD als Zünglein an der Waage wäre möglich gewesen.
Doch es ist Wahlkampf, und genau hier liegt das Gespenstische: Mit dem Zustrombegrenzungsgesetz wäre kein Arbeitsplatz gesichert, kein Unternehmen gefördert, keine Straße gebaut, kein Gleis repariert, keine Stromleitung gelegt, keine Schule saniert, kein Wachstum erzeugt worden. Stattdessen durfte eine inhaltsleere AfD triumphieren.
Wie stehen Sie zu dem Thema?
Schreiben Sie mir:
joerg.kleine@goslarsche-zeitung.de