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Kita-Gesetz weckt Existenzängste

Immenröder Grashüpfer und Jerstedter Bachwichtel besorgt

Die Großtagespflege „Grashüpfer“ in Immenrode mit Skadi Ebel, der damaligen Praktikantin Julie Liehr und Sandra Reineke bei einem Besuch im April vorigen Jahres. Foto: Heine

Die Großtagespflege „Grashüpfer“ in Immenrode mit Skadi Ebel, der damaligen Praktikantin Julie Liehr und Sandra Reineke bei einem Besuch im April vorigen Jahres. Foto: Heine

Wer zahlt die Differenz, wenn Großtagespflegen ab 31. Juli 2024 nur noch bis zu zwei Kinder weniger betreuen dürfen? „Das lohnt sich nicht mehr“, sagt Skadi Ebel von Immenrodes Grashüpfern zum Kita-Gesetz. Auch Jerstedts Bachwichtel schlagen Alarm.

Von Frank Heine Donnerstag, 13.04.2023, 14:00 Uhr

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Immenrode/Jerstedt. Sorgen um die berufliche Existenz treiben diejenigen Erzieherinnen um, die als Selbstständige ihre Einnahmen kalkulieren und mit diesem Geld auch über die Runden kommen müssen. Und das, was am Horizont als nicht mehr ganz ferne Bedrohung auftaucht, ist bereits eine Übergangsregelung. Sie gilt für Einrichtungen, die am 31. Juli 2021 schon bestanden. Am Folgetag trat das neue Kita-Gesetz in Niedersachsen in Kraft. Es sieht – auf den Punkt gebracht – vor, dass zwei Erzieherinnen nur noch acht statt bisher zehn Kinder betreuen dürfen, wenn mehr als drei Kinder unter zwei Jahre alt sind – vier pro Fachkraft.

Wo bleibt die Logik im Vergleich zu den Tagesmüttern?

Gut gemeint, schlecht gemacht und bedacht? Der Eindruck drängt sich auf, wenn man den Schilderungen von Ebel und ihrer Immenröder Mistreiterin Sandra Reineke sowie von Sabrina Werkmeister und Michaela Kaps von den Jerstedter Bachwichteln zuhört. Sie rufen Behörden und Politik zum Handeln auf, damit die dringend benötigten und von vielen Eltern bewusst gewählten, meist mit individuellen Schwerpunkten arbeitenden Tagespflege-Stätten nicht irgendwann ihre Türen schließen müssen. Die gesetzgeberische Logik verschließt sich dem Grashüpfer-Duo ohnehin, wenn zugleich eine Tagesmutter weiterhin fünf Kinder im Alter von einem Jahr betreuen dürfe, wie Ebel und Reineke betonen.

Sabrina Werkmeister (li.) und Michaela Kaps (re.) nehmen Mutter Friederike Stoewenau mit Tochter Nora bei den Jerstedter Bachwichteln in ihre Mitte. Foto: Heine

Sabrina Werkmeister (li.) und Michaela Kaps (re.) nehmen Mutter Friederike Stoewenau mit Tochter Nora bei den Jerstedter Bachwichteln in ihre Mitte. Foto: Heine

Die Grashüpfer sind seit Sommer 2018 am Start und haben sich durch Annahme einer Förderung auf sieben Jahre verpflichtet, als Tagespflegepersonen dem Landkreis aktiv zur Verfügung zu stehen und jeweils fünf Kinder im Alter von eins bis zum Eintritt in den Kindergarten zu betreuen. Für diese Leistung gibt es eine Förderung pro Kopf, die vom Land kommt und über den Landkreis abgerechnet wird – plus Eltern-Beiträge. Mit den Einnahmen müssen Reineke und Ebel ebenso wie Werkmeister und Kaps alles zahlen: Miete, Verpflegung, Reinigungskosten, Betriebsmittel und so weiter. Schon jetzt bereitet es bisweilen schlaflose Nächte, wenn längere Zeit die maximale Zahl an zu betreuenden Kindern nicht erreicht wird. „Das kann dann schon mal die Miete bedeuten“, rechnet Kaps von hoch. Wie sich zuletzt privat wie für die Einrichtung die Energiepreise entwickelt hätten, könne sich wohl jeder selbst ausmalen.

„Ich will nie wieder zurück in die Kita"

In Jerstedt wie in Immenrode heben sie hervor, was die Einrichtungen leisten. Der zeitliche Rahmen gehe deutlich über übliche Kita-Zeiten hinaus. In Immenrode kocht das Duo alles selbst, die Eltern kaufen ein, vieles wird per Video oder Foto dokumentiert – höchstmögliche Transparenz ist angestrebt. „Ich will nie wieder zurück in die Kita, weil dort oft nicht individuell am Kind gearbeitet wird, sondern nur noch die Grundversorgung sichergestellt wird“, sagt Werkmeister aus Überzeugung. Was noch hinzukommt: In der Selbstständigkeit und unter herrschender Konstellation sei Krankwerden de facto nicht drin. Und eine ständige Erreichbarkeit für die Eltern der Normalfall.

Als Mutter weiß die Hahndorferin Friederike Stoewenau ihre Tochter Nora in Jerstedt in besten Händen. „Wer Betreuungsplätze wegfallen lässt, hält mit den Eltern dringend benötigte Fachkräfte unnötig lange vom Arbeitsmarkt fern“, gibt sie zu bedenken. Und die Menschen seien heute ganz überwiegend auf ein (zweites) Einkommen angewiesen, betonen die Erzieherinnen.

Landrat Dr. Alexander Saipa sagt Einsatz zu

Der Kreisverwaltung ist bewusst, dass das Gesetz die Einrichtungen vor finanzielle Herausforderungen stellen könne. „Uns ist sehr daran gelegen, dass die Angebote der Kinderbetreuung im Kreisgebiet auf breite Beine gestellt sind“, sagt Landrat Dr. Alexander Saipa (SPD), der sich für den Erhalt der Großtagespflegen einsetzen will. Für die Verantwortlichen müsse sich die Arbeit lohnen. Er appelliert an das Land, die finanziellen Sorgen zu berücksichtigen und zu bedenken, wie man entgegenwirken könne. „Andernfalls werden wir als Kreisverwaltung selbst prüfen, wie wir die Großtagespflege unterstützen können“, erklärt Saipa. In Immenrode basteln die Grashüpfer trotzdem an einem PlanB: Sie suchen ein neues Domizil in einem Haus – möglichst in Goslar und am liebsten in zwei Wohnungen übereinander, sodass eine bisherige Großtagespflege auch baulich als zwei Tagesmütter durchgehen kann ...

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