Kinderärztin: Immer mehr Jugendliche leiden an Essstörungen

Vergleichen: Expertinnen und Experten sehen soziale Medien als eine Ursache für Essstörungen. Foto: Skolimowska(dpa)
Eine neue Studie zeigt: Immer mehr Jugendliche leiden an Essstörungen. Laut Kinderärztin Snehalata Probst-Bodmann gibt es mittlerweile auch mehr Fälle im Oberharz. Im Interview erklärt die Medizinerin, woran das liegt und wie Eltern helfen können.
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Clausthal-Zellerfeld. Snehalata Probst-Bodmann arbeitet seit Oktober 2020 als Kinderärztin in Clausthal-Zellerfeld und hat seit 2021 auch eine Praxis in Goslar. Im Interview mit GZ-Redakteur Jan-Frederik Wendt spricht die Medizinerin über Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen, die seit der Corona-Pandemie deutlich häufiger auftreten.
Ja, die Fälle haben zugenommen. Die erhöhte Anzahl gilt aber nicht nur für Essstörungen, sondern auch für andere psychische Erkrankungen. Die Existenzangst in der Gesellschaft hat massiv zugenommen. Die psychische Belastung ist immens hoch, weil wir in unsicheren Zeiten leben. Da spielen natürlich auch der Ukraine-Krieg und die wirtschaftlichen Folgen wie Inflation eine Rolle. Viele Menschen bangen um ihre Jobs und sorgen sich um ihre Finanzen. Und wenn Eltern in Angst leben, dann prallt das auch nicht an den Kindern ab. Essstörungen sind oft Reaktionen auf andere Probleme und auf psychischen Stress.
So pauschal kann man das schwer sagen. Es gibt verschiedene Kriterien wie Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust. Hellhörig sollten Eltern besonders werden, wenn Jugendliche vermeintliche Gründe erfinden, um nichts oder wenig zu essen. Und natürlich, wenn Kinder ihr Essen erbrechen.
Von Essstörungen würde ich erst bei Jugendlichen ab einem Alter von 10 oder 11 Jahren sprechen. Aber auch Jüngere zeigen ein auffälliges Verhalten, beispielsweise wenn Sechsjährige ihre Nahrung in ihre Kleidung schmieren.

Snehalata Probst-Bodmann. Foto: Wendt
Aber sicher. Eltern sollten schon das Gespräch suchen. Vor allem, wenn sie ein vertrauensvolles Verhältnis mit ihren Kindern haben. Beispielsweise können Sie ihre Sorgen bei einem gemeinsamen Essen ansprechen oder in einem fremden Umfeld wie bei einem Spaziergang oder in einer Eisdiele. Ich rate oft zu einem Ernährungsprotokoll. Dadurch können Patienten ihre Wahrnehmungsstörungen erkennen. Wenn beispielsweise Kinder sagen, dass sie beim Mittag doch eine ganze Portion gegessen haben. Fotografiert man das Gericht, kann man auch im Nachhinein beurteilen, ob die Portion vielleicht nicht etwas zu klein war. Man kann auch das Gewicht über einen längeren Zeitraum messen oder schauen, ob die alte Lieblingshose noch passt. Ganz wichtig ist, dass Eltern nicht an ihren Kindern vorbeihandeln. Sonst kann das Vertrauensverhältnis leiden. Wenn Mütter oder Väter ihre Kinder nicht erreichen, können sie andere Vertrauenspersonen wie den besten Freund ins Boot holen.
Das ist pauschal schwierig zu sagen. Man sollte sich professionelle Hilfe holen, wenn man selbst denkt, dass etwas nicht stimmt. Ich rate dazu, lieber einmal mehr zum Arzt zu gehen als verschleppten Problemen später hinterherzurennen. Neben der Kinderärztin helfen auch Allgemeinmediziner oder Beratungsstellen. Wer nicht sofort in einer Praxis sitzen will, kann sich zunächst telefonisch beraten lassen.
Soziale Medien pauschal zu verurteilen, finde ich falsch. Es gibt auch viele Jugendliche, die damit gut umgehen. Die Plattformen spielen sicherlich eine Rolle. Sie sind aber bestimmt nicht der Hauptgrund.
Sehr gut. Ärzte können – natürlich besser als Eltern – eine Einsicht bei den Patienten erzeugen. Da hilft die ärztliche Autorität. Wichtig sind viel Feingefühl und eine gute Kommunikation. Man muss auf die Jugendlichen eingehen und Verständnis zeigen. Viele öffnen sich dann, aber es braucht Zeit.
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