Khashoggi-Witwe: „Er lächelte, als er das Konsulat betrat“

Hatice Cengiz hat Klage in Washington DC gegen den saudischen Kronprinzen eingereicht. Foto: Craig Ruttle/dpa/FR61802AP
Hatice Cengiz, Witwe des im saudischen Konsulat in Istanbul getöteten Journalisten Jamal Khashoggi, setzt sich seitdem für die Aufklärung des Mordes ein. Nun war sie auf eine Einladung hin nach Deutschland gereist und warnte vor Deals mit Saudi-Arabien.
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Hatice Cengiz hat Unglaubliches erlebt. Die türkische Journalistin ist die Witwe des „Washington Post“-Kolumnisten Jamal Khashoggi, der am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet wurde. Bis in die Abendstunden wartete sie vor dem Konsulat – ohne zu ahnen, was drinnen geschah. Seit diesem Tag setzt sich Hatice Cengiz für die Aufklärung des Falls ein und kämpft dafür, dass diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die den brutalen Mord an ihrem Verlobten zu verantworten haben. Beim Bundesbezirksgericht in Washington DC hat Hatice Cengiz zusammen mit der Organisation „Democracy for the Arab World Now“ (Dawn) eine Zivilklage gegen den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman eingereicht. Auf Einladung der Helmut-Schmidt-Stiftung ist sie nach Deutschland gereist, spricht unter anderem mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Sie warnt vor jeder Art von Abhängigkeit von Saudi-Arabien.
Hatice Cengiz: Weder er noch ich hatten irgendeine Vorahnung. Es war ja nicht sein erster Besuch im Konsulat, wir waren drei Tage zuvor schon dort. Außerdem hatte mir Jamal erzählt, dass die Stimmung beim ersten Mal gut war, dass er sehr warmherzig empfangen wurde. Er fühlte sich glücklich und entspannt, im Vorfeld sagte er sogar: dass das saudi-arabische Konsulat sich für ihn wie ein Besuch in der Heimat anfühlen würde, die er verlassen musste. Jamal lächelte, als er das Konsulat betrat. Es ging ja um die Papiere, die uns unsere Hochzeit ermöglichen sollten.
Ich wartete vor dem Konsulat. Beim ersten Mal hatte es etwa eine Stunde gedauert, bis Jamal wieder herauskam. Die Leute gingen raus und rein. Es war ein normaler Tag. Dann dachte ich, die haben vielleicht länger zu reden oder er wird aus irgendeinem Grund befragt. In der arabischen Kultur ist es durchaus üblich, länger zu reden. Dann dachte ich, vielleicht wartet er auch auf die Dokumente. Aber nach etwa zwei Stunden rief ich im Konsulat an und ein Mann antwortete mir: Es sei niemand mehr drinnen und das Konsulat schon geschlossen. In diesem Moment realisierte ich, hier stimmt etwas nicht.
Natürlich habe ich dieser Version nicht eine Sekunde Glauben geschenkt. Wieso hätte Jamal die Botschaft verlassen sollen, ohne mich? Wir wollten heiraten! Außerdem war sein Handy bei mir. Warum hätte er gehen sollen – ohne mit mir zu sprechen? Als diese Erklärung von Saudi-Arabien veröffentlicht wurde, habe ich mir sehr große Sorgen gemacht. Ich dachte, sie taktieren, um Zeit zu gewinnen, vielleicht wollen sie ihn länger verhören. Ich war aber sicher, er ist am Leben. Bis zu dem Tag, an dem Saudi-Arabien das Statement veröffentlichte: Er sei „versehentlich gestorben“. Dann erst hatte ich Gewissheit.
Für mich ist diese Erklärung, dass Jamal „versehentlich“ getötet worden sei, nicht ausreichend. Wie kann man jemanden versehentlich töten und in Teile sägen? Bis heute haben diese Leute darauf keine Antwort gegeben. Ich finde auch nicht, dass irgendwer das Recht hat, den Mördern von Jamal zu vergeben – auch nicht seine Familie. Aber darum geht es nicht. Denn es wurde ein Unschuldiger auf brutalste Weise getötet, das muss aufgeklärt und die Mörder müssen zur Verantwortung gezogen werden. Bis heute gibt es keine Erklärung von Saudi-Arabien darüber, was im Konsulat passiert ist. Der Prozess in Saudi-Arabien glich einer Theateraufführung. Und am Prozess in der Türkei nahm kein Beschuldigter teil. Das sind für mich keine realen Prozesse gewesen. Ich stehe bildlich gesprochen immer noch wie vor vier Jahren vor dem Konsulat und versuche, die Wahrheit herauszufinden.
Diese saudi-arabische Einheit, die Jamal im Konsulat getötet hat, reiste mit Privatjets an, mit diplomatischen Pässen. Nur wenige Menschen haben diese Privilegien in Saudi-Arabien. Das sind höchste Zirkel gewesen, alles war präzise geplant. Niemand kann so etwas in Saudi-Arabien durchführen, ohne dass die Regierung davon etwas weiß. Bis heute lehnt es die saudi-arabische Regierung ab, dass es unabhängige Untersuchungen gibt. Die französische Menschenrechtsexpertin Agnès Callamard übernahm als UN-Sonderermittlerin die Untersuchung des Falles, und sie ist überzeugt davon, dass der saudische Kronprinz von der Tötung zumindest gewusst habe. Sie forderte längst, dass es unabhängige Ermittlungen der UN gibt. Ich denke, es gibt also Beweise, dass Mohammed bin Salman involviert war. Er hat bislang auch nicht bewiesen, dass er unschuldig ist.
Deswegen bin ich auch in Deutschland. Deutschland hat den Waffenexport nach Saudi-Arabien gestoppt. Jetzt wird wieder über Waffenlieferungen verhandelt. Das ist sehr traurig. Ich kann nur warnen: Die deutsche Regierung sollte sich nicht abhängig machen von Russland, aber auch nicht von Saudi-Arabien. So tauscht man nur ein Unterdrückungsregime als Partner gegen ein anderes aus. Das wird dem saudi-arabischen Unrechtsstaat Auftrieb geben, und diese Macht wird das Regime gegen das eigene Volk wenden.
Zur Person:
Hatice Cengiz (42) lebt in Istanbul. Die türkische Journalistin, Autorin und Nahostexpertin war mit dem saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi verlobt, der ein bedeutender Kritiker des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman war. Sie kämpft seit Khashoggis Tod vor vier Jahren für die Aufklärung der Tat. Cengiz hat ihr Anliegen vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, dem Europäischen Parlament, dem US-Kongress und verschiedenen anderen nationalen Parlamenten vorgebracht.
Von Diana Zinkler, Funke Mediengruppe