Goslarer Kunstmeile: „Shit happens … und das ist hier passiert“

„Eroberung und Angst“: Emaille-Siebdruck aus dem Jahr 1998 von Harald Breitkopf. Foto: Privat
Die Goslarer "Kunstmeile" macht jetzt Fernsehkarriere bei "Extra 3": Die Sendung spart nicht an Hohn und Spott über eine künstlerisch begabte Stadtverwaltung, die Bilder und Skulpturen regionaler Künstler mir Fahrradboxen zustellte.
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Wer den Schaden anrichtet, muss für den Spott nicht selbst sorgen: Ihre zweieinhalb Minuten zweifelhaften Ruhmes hat die Stadt Goslar sich nun in der NDR-Sendung „Extra3“ abholen dürfen. „Realer Irrsinn“, made in Goslar.
„Goslar – ein Hotspot der Kunst“, so beginnt der Beitrag in der Sendung am Donnerstagabend triefend ironisch, und gemeint ist damit nicht etwa die lange und ehrwürdige Tradition der Stadt als Heimat des Kaiser-Rings, des Lincke-Rings oder des Mönchehaus Museums für moderne Kunst, sondern es geht um die Wohldenbergerstraße, die seit einiger Zeit dank der Fahrradboxen nicht mehr uneingeschränkt als „Kunstmeile“ genossen werden kann.
Als „Künstlerin“ wird in dem Beitrag von Patricia Kümpel die Goslarer Stadtverwaltung vorgestellt, dem entstandenen „Kunstwerk“ verleiht der Sender mangels eigener Angaben der Künstlerin den naheliegenden Titel „Fahrradboxen“.
In bestem Kunstkritikerdeutsch
Gesprochen wird in bestem Kulturkritikerdeutsch von einem „expressiven Werkzyklus“, der sich harmonisch in das vorhandene Gesamt-Ensemble eingliedere. „Straßenkunst in Vollendung“ sei es, ein „feinsinniges Meisterwerk“ und geradezu ein „progressiver Geniestreich“.
„Die Fachwelt sieht zwar nur noch ein Drittel und staunt“, so der Kommentar zu Filmbildern vorbeiflanierender Goslarer, die sich über „Fremdkörper“ ärgern und die Sache einfach „schade“ finden. Und dass durch eine Fahrradbox auf einem großformatigen Bild die Räder einer Lokomotive verborgen sind beziehungsweise nun durch Räder in der Box ersetzt wurden, kommentiert Kümpel mit: „Hinter ganz großer Kunst verbirgt sich eben ein tieferer Sinn.“
Wie aus der 25 Jahre alten Kunstmeile eine „Abstellfläche mit verborgener Kunst“ werden konnte, für die immerhin 63.000 Euro ausgegeben wurden? Das erklärt die Goslarer Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner dem Filmteam mit den schlichten Worten: „Shit happens ... und das ist hier passiert.“ Das vermutlich Treffendste, das man zu dem Fiasko sagen kann.
Zu wenig Gedanken über Höhen gemacht
Etwas skurril wirkt ihre Erklärung für den Vorfall: „Es ging im Wesentlichen darum, glaube ich, dass man sich über Höhen zu wenig Gedanken gemacht hat.“ Und ob denn keiner gemerkt habe, dass das blöd aussehen könnte? „Doch, wir haben‘s ja gemerkt, aber zu spät“, sagt Schwerdtner mit hilflos-kokettem Kleinmädchencharme.
Naja, „in der Stadtverwaltung Goslar denkt man eben out of the Fahrradbox“, so das ironische Lob, das der Sender der Kaiserstadt erteilt.
Das erste Mal, dass die Stadt Goslar von den „Extra3“-Machern aufgespießt und vorgeführt wurde, war es allerdings nicht. Man erinnere sich an die Taufe eines ICE auf den Namen „Goslar“, der mit einer Diesellok in den Goslarer Bahnhof gezogen werden musste –einen ICE in einem Bahnhof ohne Oberleitung zu taufen ist eben technisch sehr anspruchsvoll. Unvergessen bleibt auch die peinliche Idee, Hundekothäufchen mit gelben Fähnchen und flotten Sprüchen zu markieren. Damals war es allerdings Stadt-Pressesprecherin Vanessa Nöhr, die die neue Errungenschaft der Stadtverwaltung vorstellte, und nicht der Oberbürgermeister. Urte Schwerdtner hätte jedenfalls den passenden Kommentar zur Hand gehabt für die Kot-Idee. Das heißt, sie hat ihn ja jetzt noch nachgeliefert: „Shit happens.“