Friedliche Weihnachten nach Flucht vor Putins Bomben

Yuliia und Oleksandr Volkov erfreuen sich schon seit einigen Tagen an dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum in ihrer Langelsheimer Wohnung. Foto: Neddermeier
Bereits seit März ist die Familie Volkov aus Kiew in Deutschland. Mutter Yuliia Volkova durfte allerdings erst Wochen später die Ukraine verlassen. Sie leitete eine Station der Verkehrspolizei in Kiew. Jetzt wird Weihnachten in Langelsheim gefeiert.
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Langelsheim. Die Familie Volkov aus Kiew hatte vor Ausbruch des Krieges, der seit Ende Februar tobt, ein gutes, ein geordnetes Leben in der Stadt am Dnepr. Doch als die Bomben fielen und Panzer rollten, wurde die Millionenmetropole zu einem äußerst gefährlichen Ort. Von einem Tag auf den anderen änderte sich am 25. Februar die Situation in der an Kulturdenkmälern reichen Hauptstadt der Ukraine. „Als die russischen Truppen näher rückten und Bomben flogen, habe ich meine Kinder und meine Mutter und eine weitere Bekannte genommen und wir sind mit sechs Leuten im Kleinwagen aus Kiew heraus gefahren – nur mit dem Nötigsten im Gepäck“, sagt ein noch immer sichtlich bewegter Oleksandr Volkov. Die Angst, dass die Brücken zerstört werden würden, man dann in der Stadt fest sitze und den Angriffen ausgeliefert ist, sei groß gewesen.
Flucht über Polen
„Ich bin noch nie so schnell gefahren“, erinnert sich der 47-jährige selbstständige IT-Spezialist. Erst einmal rund 100 Kilometer raus aus Kiew. Aber auch bei der Stadt Schytomyr –unweit der weißrussischen Grenze seien sie alles andere als sicher gewesen, so Volkov. Später wurde die Schytomyr-Autobahn zur tödlichen Falle für die Flüchtenden. Die schrecklichen Bilder nach den Beschüssen der Strecke durch russische Soldaten gingen um die Welt. „Am 11. März dann gab es einen Korridor, der die weitere Flucht nach Polen zuließ“, berichtet Oleksandr Volkov. Polizistin Yuliia konnte nicht mit, da sie als Leiterin einer 40-köpfigen Polizei-Einheit unabkömmlich war. Eine ganz schwierige Situation für die Familie. Für viele ukrainische Familien bleibt in diesen Tagen nur ein Videoanruf als Möglichkeit, sich einander nahe zu fühlen.
Und Oleksandr Volkov durfte nur die Ukraine verlassen, da die Familie drei Kinder hat. Allen anderen Männern mit weniger Kindern, Ausnahme sind alleinerziehende Väter, wird das in Zeiten des Kriegsrechts verwehrt. Über Polen gelangte die Familie zunächst nach Bad Gandersheim, fand dort Unterschlupf beim Verein Menschenskinder. Von dort aus wurde der Kontakt über den Ruheständler und ehemaligen Bundespolizisten Martin Schilff aus Langelsheim zur Familie Wietig geknüpft. Die Eigentümer des Hotelrestaurants „Zum Löwen“, stellen ihre Zimmer auch für Geflüchtete zur Verfügung. „Für diese unkomplizierte Unterstützung und die freundschaftliche Aufnahme sind wir sehr dankbar“, sagt Yuliia Volkova, die nach etwa einem Monat von ihrem Chef die Erlaubnis erhalten hatte, der Familie nach Deutschland zu folgen.
Ein „kleiner Urlaub“ in Deutschland
Das auch nur, weil die Wohnung ihrer Eltern in Kiew mittlerweile nach Bombenangriffen unbewohnbar war. „Nimm Dir einen kleinen Urlaub“, hat mein Chef mit einem Augenzwinkern zu mir gesagt. „Da schlugen zwei Herzen in meiner Brust: das der pflichtbewussten Polizistin mit Verantwortung für meine Truppe und natürlich das der Mutter von drei Kindern.“ Yuliia Volkova hat Karriere gemacht in ihrem Job und dafür auch die Anerkennung von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko bekommen, der sie in ihrer Dienststelle der Verkehrspolizei persönlich besucht hat.
Kiews Bürgermeister Vitaly Klitschko bei einem Besuch der Polizeistation von Yuliia Volkov in der ukrainischen Hauptstadt. Foto: Privat
Anfangs dachten die Volkovs, dass der Krieg im Sommer zu Ende sein würde. Doch jetzt nach rund 10 Monaten des grausamen Krieges und der Zermürbungstaktik der Russen in den Wintermonaten sind noch immer rund zwanzig Prozent des Landes von den russischen Truppen besetzt. Acht von knapp 44 Millionen Ukrainern sind vor den Bomben und Raketen in die EU-Nachbarländer geflohen. Millionen Familien sind voneinander getrennt. Väter kämpfen an den Fronten im Osten und Süden des Landes. Da fällt es natürlich besonders schwer, ein wenig Normalität einkehren zu lassen, sagen die Volkovs, deren Kinder in ihren Schulen mittlerweile sehr gut integriert sind. Oberschülerin Margarita, die 17-jährige ältere Tochter, wird Anfang kommenden Jahres einen Deutsch-Intensivkurs absolvieren und auch die Eltern selbst, sind bestrebt, deutsch zu lernen.
Jetzt kurz vor dem Weihnachtsfest will sich die Familie aber ein paar ruhige Tage gönnen. Klar sei natürlich, dass an diesem Weihnachtsfest Alles anders sei – in der Ukraine aber auch dort, wohin die Menschen geflüchtet sind – wie etwa die Volkovs in Langelsheim. Die Ukrainer und auch die Volkovs feiern in diesem Jahr auch zum ersten Mal offiziell am 25. Dezember Weihnachten. Auch wenn das orthodoxe Fest nach dem julianischen Kalender eigentlich auf den 6. und 7. Januar fällt. Oleksandrs Mutter lebt auch in Langelsheim, die Eltern von Yuliia leben und arbeiten in Edewecht in einem Unternehmen für Landmaschinen.
Die Ukraine will mit der Verschiebung von Weihnachten eine weitere kulturelle Verbindung zu Russland kappen. Sie orientiert sich einmal mehr an Europa. Bereits in den vergangenen Jahren wich, der in der Sowjetzeit beliebte Väterchen Frost, in der Ukraine dem Weihnachtsmann. „Wir feiern am 25. Dezember“ sagt Oleksandr Volkov. Große Geschenke werde es aber nicht geben. Es gehe vielmehr um das Zusammensein in gemütlicher Runde. Normalerweise gehen die Kinder an diesem Tag mit traditionellen Gerichten zu ihren Eltern. Etwa der Kutya, einer besonderen Getreide-Süßpeise mit Nüssen, Rosinen, Honig – vor dem Essen wird gebetet.
Manchmal ein banger Blick nach oben
„Unsere Kinder haben keine Angst mehr vor Beschuss und Explosionen, die fühlen sich hier sehr wohl. Ich habe anfangs, als ich hier war, des Öfteren angstvoll zum Himmel geschaut“, bekennt Yuliia Volkova. Das Ausmaß des Krieges macht die Volkows noch immer fassungslos. Ob und wann es zurück in die Heimat geht, das sei ganz ungewiss, sagen die Volkovs, die sich sehr wohl fühlen in ihrer Heimat auf Zeit und bestrebt sind, sich zu integrieren. „Je länger der Krieg dauert, umso schwieriger wird es insbesondere für die Kinder“, sagt Oleksandr und ergänzt: „In ein unsicheres Land werden wir nicht zurück gehen. Wir wollen vor allem unsere Kinder schützen.“ Der Blick aus der Wohnung auf den Harz erfreut die Familie immer wieder und im Sommer haben sie gerne an der Innerste gesessen. Der Kontakt zu den Langelsheimern ist immer intensiver geworden – Freundschaften sind entstanden.

Kiews Bürgermeister Vitaly Klitschko bei einem Besuch der Polizeistation von Yuliia Volkov in der ukrainischen Hauptstadt. Foto: Privat
„Mit Martin sind wir befreundet und sehen uns öfter – sicher auch an den Weihnachtstagen“, sagt Oleksandr Volkov. Der gemeinte Martin Schilff nickt heftig und freut sich schon auf die ukrainischen Spezialitäten zum Fest und darauf, etwas über orthodoxe Weihnachten zu erfahren.
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Tochter Khristina (9), Sohn Danylo (11) und Tochter Margarita (17). Foto: Privat