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Alltagshelden ausgezeichnet

Zivilcourage-Kampagne: Dankeschön für mutige Zeitgenossen

Der stellvertretende Landrat Hans-Peter Dreß (r.) ehrt Lehrer und Schüler, die nach einem Verkehrsunfall als Ersthelfer zupackten. Foto: Hartmann

Der stellvertretende Landrat Hans-Peter Dreß (r.) ehrt Lehrer und Schüler, die nach einem Verkehrsunfall als Ersthelfer zupackten. Foto: Hartmann

Die Goslarer Zivilcourage-Kampagne zeichnete erneut Alltagshelden aus. Darunter die Ersthelfer, die beim Verkehrsunfall an einer Bad Harzburger Grundschule Verletzte versorgten, und die Gruppe, die einen Messerstecher in Clausthal-Zellerfeld stoppte.

Von Petra Hartmann Freitag, 15.03.2024, 09:00 Uhr

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Goslar. Ein Sehbehinderter auf dem Balkon seines brennenden Hauses und ein mutiger Nachbar, der ihn rettet. Ein Unfall vor der Schule, Lehrer und Schüler leisten sofort Erste Hilfe. Ein irrer Messerstecher wird durch Passanten gestoppt. Zivilcourage hat viele Gesichter. Einige Alltagshelden zeichnete die Goslarer Zivilcourage-Kampagne (GZK) jetzt für ihren Einsatz aus.

Für jahrelangen Einsatz für Demokratie wurde Sebastian Krumbiegel ausgezeichnet. Der Prinzen-Sänger bezeichnet sich selbst als „Grundgesetz-Ultra“, ein Wort, das dem Laudator Jörg Radek sehr gut gefiel. „Das beeindruckt mich als Polizisten“, sagte der ehemalige Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. „Wir sind mehr Brüder im Geiste, als es nach außen den Anschein hat.“

Klar Position bezog Krumbiegel aber auch, als Radek betonte, man müsse nicht nur gegen Rechts-, sondern auch gegen Linksextremismus eintreten. „Wir sollten vorsichtig sein, links und rechts in einem Atemzug zu nennen. Die Demokratie ist von rechts bedroht, und genau dagegen sollten wir uns auflehnen“, sagte der Geehrte. Krumbiegel erinnerte an seine Konzerte, die er unter Polizeischutz geben musste. Aber der Sachse erzählte auch von der Zeit des Mauerfalls 1989, als mutige Menschen auf die Straße gingen und gegen die DDR-Regierung protestierten. Er selbst habe damals nicht den Mut gehabt mitzumachen. Umso engagierter sang er nun für die Demokratie, spielte den Song „Die Demokratie ist weiblich“ und trug später drei weitere Lieder vor.

Unfall vor Grundschule

Neun Fälle, in denen couragierte Menschen eingriffen und Schlimmeres verhinderten, stellten Moderator Martin Schilf und die Laudatoren im Goslarer Cineplex-Kino vor. Viele halfen allein oder zu zweit, aber richtig voll wurde die Bühne, als die Ersthelfer geehrt wurden, die im Mai 2023 nach dem schweren Verkehrsunfall vor einer Bad Harzburger Grundschule sofort angepackt und die Opfer versorgt hatten. Der Unfall, bei dem eine 88-jährige Autofahrerin acht Menschen verletzt hatte, sorgte bundesweit für Schlagzeilen.

Stellvertretender Landrat Hans-Peter Dreß, der die Laudatio hielt, erinnerte sich noch genau an den Tag, als vor seinem Fenster plötzlich zwei Rettungshubschrauber vorbeiflogen, an den Menschenpulk, das Blaulicht. Der Landkreis habe viele Sicherheits- und Rettungskonzepte entwickelt, „aber wir können auf Ersthelfer nicht verzichten“, sagte er. Ausgezeichnet wurden die Schüler des Werner-von-Siemens-Gymnasiums Greta Hopp, Tristan Färber und Noah Köhler, der stellvertretende Schulleiter Dietmar Scholz, die Lehrerin der Gerhart-Hauptmann-Schule Julia Krüger-Köthe, Grundschul-Sozialpädagogin Antje von Studzinski sowie Helge Neumann, Schulleiter der Rettungsschule, stellvertretend für seine Klasse, die aus dem Unterricht zur Hilfe eilte.

Messerstecher greift an

Hochgefährlich war es für SilviaHoheisel und Mustafa Yilmaz. Die beiden kamen hinzu, als ein geistig verwirrter Messerstecher in einem Clausthal-Zellerfelder Wohnheim den Mitbewohner, einen iranischen Medizinstudenten, angriff. Er stach mit einem langen Küchenmesser mehrfach im Haus und danach auf der Straße auf sein Opfer ein. Silvia Hoheisel kam mit ihrem Auto vorbei, bremste und versorgte das Opfer, obwohl der Täter noch neben ihr stand. Mustafa Yilmaz eilte herbei, half ihr und stoppte mehrere Motorradfahrer, die den Täter abdrängten. Ein weiter Pkw-Fahrer hielt, sie legten den Verletzten auf die Motorhaube und fuhren ihn so aus dem Gefahrenbereich. Hoheisel und Yilmaz wurden stellvertretend für die Gruppe ausgezeichnet. Weitere acht Helfer, die zum Teil eine Anfahrt von mehreren 100 Kilometern haben, erhalten die Urkunde per Post.

Sehbehinderter in brennender Kleidung

Spektakulär war die Rettungsaktion von Matthias Kahn, der seinen Nachbarn aus einem brennenden Haus rettete. Der Dachstuhl des Mehrfamilienhauses in Braunlage brannte, und der sehbehinderte Mann stand mit brennender Kleidung auf dem Balkon, als Kahn ihm die Sachen vom Leib riss und ihn aus dem Haus herausholte. „Sie haben Ihrem Nachbarn das Leben gerettet“, sagte Kreisbrandmeister Uwe Fricke in seiner Laudatio.

Mutig eingegriffen hat Martin Johannes Ahrens in Goslar: Er bemerkte beim Verlassen seiner Arbeitsstelle, wie ein Kollege von seinem Ex-Arbeitgeber und dessen zwei Söhnen überfallen und misshandelt wurde. Der Fall hatte sich bereits 2022 ereignet , aber erst Ende 2023 wurden die Täter wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Nachbar schwer verletzt

Unter den Ausgezeichneten war das Ehepaar Marianne und Karl Hille aus Langelsheim, das seinen Nachbarn rettete, als ihm ein Holzbalken auf den Kopf gefallen war, und Marie Wagner, die Einbrecher in einem Kiosk am Goslarer Bahnhof entdeckte, die Polizei alarmierte und durch ihre präzise Beschreibung dafür sorgte, dass die Täter gefasst werden konnten. Ebenfalls am Bahnhof wurde Ipek Canbazer aktiv, die auf dem Weg zur Arbeit hinzukam, als ein Mann Schläge ins Gesicht bekam und zu Boden ging. Obwohl die Umstehenden sie daran hindern wollten und auch das Opfer keine Polizei vor Ort haben wollte, setzte sie sich durch und wählte die 110. Bis zum Eintreffen des Krankenwagens versorgte sie das Opfer.

Die Alltagshelden Karl (von links) und Marianne Hille werden von Katrin Stüllenberg und Sia-Desiree Koschig auszezeichnet.  Foto: Hartmann

Die Alltagshelden Karl (von links) und Marianne Hille werden von Katrin Stüllenberg und Sia-Desiree Koschig auszezeichnet.  Foto: Hartmann

Scharfe Augen und einen wachen Verstand bewies Danilo Conti, als er in einem Supermarkt zwei Jugendliche beobachtete, die Geld in größere Scheine wechseln wollten. Er traf wenig später einen älteren Mann, dem Jugendliche das Portemonnaie aus der Hand gerissen hatten, zählte eins und eins zusammen und half, die Täter dingfest zu machen.

Danilo Conti.  Foto: Hartmann

Danilo Conti.  Foto: Hartmann

Herzstillstand im Auto

Einen Kölner, der am Steuer seines Autos einen Herzstillstand erlitt, holten die Goslarer Stephanie Strauß, Tobias Schmidt und Lothar Joachim Alfred Engler an der Bismarckstraße aus seinem Wagen, begannen mit der Reanimation, und schließlich gelang es der angerückten Notärztin, den Mann ins Leben zurückzuholen. „Die Straße sah aus wie ein OP-Saal“, schilderte GZK-Organisator Günter Koschig, als er die Geschichte der drei Alltagshelden erzählte.

Tobias Schmidt (von links), Stephanie Strauß und Lothar Engler erhalten ihre Urkunde von Günter Koschig. Foto: Hartmann

Tobias Schmidt (von links), Stephanie Strauß und Lothar Engler erhalten ihre Urkunde von Günter Koschig. Foto: Hartmann

Eigener GZK-Song

Die Goslarer Zivilcourge-Kampagne hat inzwischen nicht nur einen eigenen 110-Cartoon von Jürgen Tomicek, eine eigene Plakatkampagne und viele Unterstützer, ab jetzt gibt es auch einen eigenen Song. „Achtsam und cool“ lautet der Titel des Liedes, das Axel Dietsch zum Abschluss der Veranstaltung im Cineplex-Kino vorstellte. Eine Welturaufführung, wie der Musiker erklärte. Es geht darum, im Notfall nicht wegzusehen, sondern aktiv zu werden, einzugreifen, sich um die Opfer zu kümmern und 110 oder 112 zu wählen. Aber: „Pass auch auf, dass du dich nicht selbst in Gefahr begibst“, warnte Dietsch vor unbedachtem Heldentum. Dietsch schilderte Unfälle, Einbrüche, Brandstiftungen, aber auch seinen eigenen Herzstillstand, der ihn im vergangenen Jahr ereilte. „Achtsam und cool, vorsichtig und smart, / Dann sind die Dinge nicht so hart. / Geh nicht vorbei, bleibe kurz steh‘n / und wähle hundertzehn“, sang das Goslarer Musik-Multitalent zu seinen Gitarrenklängen.

Nach der Premiere erntete er viel Applaus vom Publikum. Außerdem sei später von den Zuhörern „der Wunsch entstanden, das Stück professionell in einem Studio aufzunehmen“, sagte Dietsch erfreut.

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