Verkehrsgerichtstag: Wie kriegt man Autos aus den Städten?

Michael Reink, Moderatorin Sophie Mühlmann und Belit Onay (v. li) diskutieren über autofreie Innenstädte. Foto: Epping
Die Innenstadt soll autofrei werden. Doch welche Folgen hätte das für den ohnehin schon gebeutelten Einzelhandel? Beim Verkehrsgerichtstag in Goslar streiten sich Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay und Michael Reink vom Handelsverband über das Thema.
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Goslar. Eine Innenstadt ohne Autoverkehr: Ist das die Vision für die Zukunft oder verschwindet mit den Pkw auch der ohnehin gebeutelte Einzelhandel aus den Zentren? Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay und Michael Reink vom Handelsverband Deutschland gingen im Rahmen des Verkehrsgerichtstages in Goslar ins Streitgespräch.
Onay will die City der Landeshauptstadt bis 2030 weitestgehend autofrei bekommen. „Wir sperren aber keine Straßen, wir öffnen sie“, sagt der 42-jährige Grünen-Politiker, der in Goslar geboren und aufgewachsen ist. Für unterschiedliche Nutzer würden sich neue Möglichkeiten ergeben – für den Handel, aber auch für unkommerzielle Zwecke. „Autos sind ein Hindernis für Entwicklung. “
Onay sieht Hannover als Vorreiter
Es sei wichtig gewesen, ab 2021 einen Innenstadt-Dialog zu starten, um die Anlieger mit ins Boot zu holen. Das habe viel Akzeptanz geschaffen. Onay bezeichnete Hannover als Vorreiter beim Thema autofreie Innenstadt. Allerdings sei der Wille zur Veränderung mittlerweile in fast allen Rathäusern spürbar, da spiele Parteipolitik keine Rolle mehr.
Grundsätzlich warb auch Reink für mehr „Grün und Blau“ in den Innenstädten – also Pflanzen und Wasser. Allerdings dürfe man den Einzelhandel, der zunächst die Corona-Krise zu überstehen hatte und nun, nach Ausbrechen des Ukraine-Kriegs, mit einer noch größeren Konsumkrise kämpfen müsse, nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Wenn Städte nun anfangen, das Umfeld der Einzelhändler einfach zu verändern, würden sie „Abwehrreaktionen“ erzeugen, die den Umwandlungsprozess behindern. Bestes aktuelles Negativ-Beispiel sei die Friedrichstraße in Berlin: Ein 500 Meter langer Abschnitt wird ab Montag gesperrt. Ein Austausch mit Gewerbetreibenden und Anliegern habe es laut Reink nicht gegeben. Man bekomme den Eindruck, dass ohne Rücksicht auf Verluste eine politische Agenda durchgedrückt werden soll.
Online-Handel setzt Geschäfte unter Druck
Überhaupt müsse man beim Thema autofreie Zentren Großstädte, die jetzt schon hauptsächlich durch den öffentlichen Nahverkehr befahren würden, getrennt von kleineren Kommunen betrachten.
Früher hätten Menschen, die zum Einkaufen in Mittelstädte wie Goslar gefahren sind, akzeptiert, dass das Angebot begrenzt ist. Mittlerweile habe sich das durch den Online-Handel gewandelt, was die Geschäfte in kleineren Städten zusätzlich unter Druck setze.
Onay forderte vor allem mehr Steuerungsmöglichkeiten für die Kommunen. Es könne nicht sein, dass sich eine Stadt mit dem Verkehrsministerium um 40 Meter neuen Radweg streiten müsse. Auch beim Einrichten von Tempo-30-Zonen müssten die Städte viel freier sein, forderte der Hannoveraner Oberbürgermeister.
Mix aus „Push- und Pull-Effekten“
Um Menschen zu motivieren, ohne eigenes Auto in die Innenstädte zu fahren, setze er auf einen Mix aus „Push- und Pull-Effekten“. Soll heißen: Parken in der City wird teurer. Gleichzeitig müsse man „Mobilitätsketten“ aus Auto, Fahrrad und öffentlichem Nahverkehr schaffen, um eine unkomplizierte Erreichbarkeit der Innenstadt weiter zu gewährleisten. „Zum Teil muss da ein Umdenken stattfinden“, sagt Onay. Er räumt aber ein, dass Hannover beim Umbau der Innenstadt ein gewisses Risiko eingehen müsse.
„Die Parkgebühren einfach zu erhöhen, ist auch keine Lösung“, entgegnet Reink. Wenn man die Innenstädte unattraktiver für Autos machen will, müssten zunächst die Alternativen wie Bus und Bahn funktionieren. Das sei in vielen Städten noch nicht der Fall. Reink gibt zu bedenken, dass laut Umfragen der Einzelhandel für die Mehrzahl der Menschen der Hauptgrund ist, um in Innenstädte zu fahren.