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Sylt zum Schnäppchenpreis

Mit dem 9-Euro-Ticket von Goslar nach Sylt

Klar geht’s in Sylt auch ums Geld. Was sich am Meer meistens gut verdrängen lässt, wenn man nicht gerade – wie hier – mit der Nase drauf gestoßen wird. Foto: Kempfer

Klar geht’s in Sylt auch ums Geld. Was sich am Meer meistens gut verdrängen lässt, wenn man nicht gerade – wie hier – mit der Nase drauf gestoßen wird. Foto: Kempfer

Nach siebeneinhalb Stunden Bahnfahrt und dreimal Umsteigen wartet das große Inselglück. GZ-Redakteurin Sabine Kempfer hat sich mit dem 9-Euro-Ticket von Goslar auf den Weg nach Sylt gemacht. Hier berichtet sie von der Fahrt.

Von Sabine Kempfer Samstag, 18.06.2022, 17:00 Uhr

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Sylt für neun Euro? Ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Ich habe Urlaub – und noch ein kleines Zeitfenster frei. Gleich am ersten Junimorgen geht es los – ab Goslar um 4.03 Uhr mit dem RE 10 nach Hannover. Viel geschlafen habe ich nicht. Ein Mann in Bundeswehruniform und ich sind die einzigen Fahrgäste im Abteil, draußen ist es noch Nacht – wann heute wohl die Sonne aufgeht?

Siebeneinhalb Stunden in der Bahn stehen mir bevor – wenn alles gut geht. Unter der Maske wird’s schnell schwül. Wieso werde ich eigentlich in Ringelheim darauf hingewiesen, dass die nächste Verbindung in den Harz zurück geht? Ich werde es mir nicht anders überlegen: Mein Ziel heißt Sylt! Bei Baddeckenstedt geht die Sonne an diesem Mittwoch südafrikanisch auf. Glutrot. Eher kaninchenrot waren meine Augen, als ich heute um 3.30 Uhr in den Spiegel blickte.

Freiwillig so früh aufgestanden bin ich in meiner Kindheit nur für Boxkämpfe mit Muhammad Ali. So sehen sie also aus, die Neun-EuroReisenden, wegen denen angeblich die Promis von der Insel fliehen – die „Intensivstation“ hat’s süffisant aufs Korn genommen: Achtung, der Pöbel kommt!

Kennen Sie eigentlich Emmerke? Der Nahverkehr bringt einem neue Namen nahe. Um 5.04 Uhr kommt die erste Kontrolle. Auch mit 9-Euro-Ticket bleibt der Schaffner freundlich. „Jawoll, dankeschön.“ Die Fahrt von Hannover nach Hamburg ist Folter. Eine Frau hat sprachliche Diarrhö – sie textet ihren Begleiter (und unfreiwillig auch mich) die ganze Strecke über zu. Schon nach einer Minute bin ich bestens über den Stand ihrer morgendlichen Verdauung informiert. Wollte ich das wissen? Ich nehme mir fest vor, mir ganz bald Ohrstöpsel zu kaufen. Im R 861 nach Itzehoe durch schön klingende Orte wie „Herzhorn“ und „Glückstadt“ grüßt der Schaffner schon mit einem fröhlichen „Moin!“ Die Vorfreude auf die Insel wird in Pinneberg ein bisschen getrübt – hier hält der Zug bei Dauerregen. Eigentlich war für Sylt besseres Wetter angesagt. Nur drei Umstiege sind nötig, die letzte Strecke führt von Itzehoe über Heide und Niebüll nach Westerland. Hier macht sich ein ganz anderes Problem bemerkbar: Kaffe-Entzug.

Sonne und Wind am Strand.

Sonne und Wind am Strand.

Nachschub gibt’s leider nur im ICE – in den Bummelzügen fehlt das „Bordrestaurant“ – und die Thermotasse Tee ist längst ausgetrunken. Für einen kleinen Moment bin ich auf die Kollegen neidisch, die jetzt gerade nach der Redaktionskonferenz zur vielleicht schon zweiten Tasse Kaffee greifen. Eine Dreiviertelstunde vorm Ziel werden die Bahngäste per Durchsage gebeten, ihre Taschen von den Sitzen zu nehmen. Der Zug wird voller – aber noch muss niemand stehen. Ein Müllmann hat gerade Sektflaschen aus dem Abfalleimer geholt; Sylt kommt näher. Wahnsinn: Pünktlich um halb 12 kommen wir in Westerland an. Schon der Blick vom Damm aus ins Watt war vielversprechend – leer und weit. Der Wind weht den Regen weg.

Alle Welt stürzt sich beim Thema 9-Euro-Ticket auf Sylt – die Medien versuchen, die passenden Bilder und O-Töne auf dem Bahnsteig in Westerland einzusammeln.

Alle Welt stürzt sich beim Thema 9-Euro-Ticket auf Sylt – die Medien versuchen, die passenden Bilder und O-Töne auf dem Bahnsteig in Westerland einzusammeln.

Auf dem Bahnhof herrscht Trubel. Nicht viel, aber vielleicht gerade genug für den Fotografen, der auf eine BahnsteigBank springt und die ankommenden Sylt-Gäste fotografiert. Ein Kameramann und eine Frau mit Mikro nutzen die kurze Chance und überfallen die Bahnfahrer auf dem Bahnsteig, bitten um O-Töne; ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ich habe Urlaub! Und umfahre die Traube elegant mit dem Trolley. Vorweg genommen: Auch die Rückfahrt wird reibungslos klappen. Zweimal 7,5 Stunden Fahrt, macht 15 Stunden unterwegs in Zügen und auf Bahnsteigen. Dagegen stehen 42 Stunden Inselglück, ich gönne mir zwei Nächte in einer Pension, trete am 3. Juni um 5.19 Uhr den Rückweg an. Voll wird’s an diesem Freitag erst ab Hannover.

Köstlicher Insel-Imbiss

Köstlicher Insel-Imbiss

Um ein Uhr mittags bin ich wieder zu Hause. „Hier 9-Euro-Ticket buchen“, fordert auf Sylt ein Aufsteller die Besucher auf. Klar, das gilt ja auch für den ÖPNV auf der Insel – eine praktische Angelegenheit. Schluss mit dem Rechnen in Zonen und Grübeln, ob man vielleicht eine Busstation weiter läuft, um eine Zone zu sparen – einfach Ein- und Aussteigen zum Nulltarif. Gewissermaßen. Wenn der Busfahrer gewillt ist, die Tür zu öffnen, was nicht immer der Fall ist. Manch einer scheint genervt – und Corona gibt’s ja irgendwie auch noch. „Was war das denn?“, fragt eine junge Frau, der gerade der Bus vor der Nase weggefahren ist. Die Fahrertür blieb einfach zu. „Ich wohne hier, das habe ich noch nie erlebt“, sagt sie. Ich schon. Wie die Verkehrsgesellschaft mit dem Andrang umgeht, wird sie sich noch überlegen müssen; ich nehme einfach den nächsten Bus. Und bin froh, nicht über Pfingsten hier zu sein. Obwohl mir so – leider – die Punks entgangen sind.

Weite, soweit das Auge blickt.

Weite, soweit das Auge blickt.

Ob sich der Kurzbesuch mit Neun-Euro-Ticket lohnt? Für jeden Inselfan: Ja! Für jeden Sonnenstrahl, jede Windböe, jede Minute am Strand, jede Handvoll Sand, Zeit zwischen Dünen voller Inselrosen, für jeden Biss ins Fischbrötchen oder in Knoblauchgarnelen, für jede aufgelesene Muschel, jedes Möwengemecker, jeden Atemzug Seeluft, lange Gespräche mit netter Pensionswirtin. Großes Kino. Das gilt ganz sicher für jede Insel – allerdings ist nicht jede für neun Euro erreichbar. Tipps? Früh aufstehen, Kaffee mitnehmen – und unter der Woche fahren.

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