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Debatte in der Europäischen Union

Jetzt drohen neue Fahrverbote

Das private Auto spielt in zahlreichen Haushalten auch nach der Corona-Krise eine zentrale Rolle.

Das private Auto spielt in zahlreichen Haushalten auch nach der Corona-Krise eine zentrale Rolle.

Die EU-Kommission will schärfere Grenzwerte für saubere Luft durchsetzen. Bis 2030 sollen Schadstoffe wie Stickoxid oder Feinstaub ungefähr halbiert werden.  Die europäischen Grünen halten die Ziele noch für zu weich, die CDU sagt: falscher Zeitpunkt.

Donnerstag, 27.10.2022, 13:00 Uhr

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Dem Autoverkehr in größeren Städten Deutschlands drohen nach einem Plan der EU-Kommission mittelfristig neue Beschränkungen – bis hin zu Fahrverboten. Die EU-Kommission legte am Mittwoch einen radikalen Plan zur Luftreinhaltung vor, mit dem die Grenzwerte für entscheidende Schadstoffe wie Stickoxid und Feinstaub bis 2030 ungefähr halbiert würden. In vielen Städten Deutschlands liegen die Messwerte an besonders belasteten Straßen derzeit so deutlich darüber, dass offen ist, ob die neuen Vorgaben bis 2030 einzuhalten sind.

Schadenersatz für Bürger

Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans sagte, die Luftverschmutzung in der Europäischen Union führe zum vorzeitigen Tod von jährlich fast 300.000 Menschen und bei vielen weiteren zu Herz- und Lungenerkrankungen oder Krebs. „Je länger wir warten, um diese Verschmutzung zu reduzieren, desto höher die Kosten für die Gesellschaft“, erklärte Timmermans. Die vorgeschlagenen neuen Regeln würden die Todesfälle durch den Hauptschadstoff Feinstaub innerhalb von zehn Jahren um 75 Prozent verringern. Als radikale Neuerung will die EU-Kommission zugleich einen Anspruch auf Schadenersatz für Bürger einführen, die durch Luftverschmutzung gesundheitliche Schäden erleiden: Sie können allein oder vertreten durch Nichtregierungsorganisationen eine Schadenersatzklage erheben, wenn gegen die EU-Vorschriften verstoßen wird.

Mit dem Plan will sich die EU neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2021 zu Schadstoffbegrenzungen annähern, diese allerdings nicht vollständig umsetzen. Für Stickoxid soll der Grenzwert für die durchschnittliche Jahresbelastung von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft auf 20 Mikrogramm gesenkt werden – die WHO hatte zehn Mikrogramm empfohlen. Die Grenzwerte für Feinpartikel sollen von 25 Mikrogramm auf künftig zehn Mikrogramm reduziert werden, die WHO hat ihren Standard auf fünf Mikrogramm abgesenkt. Während Stickoxid ein Problem bei Verbrennungsmotoren ist, könnten die Auflagen für Feinstaub auch für Elektroautos zum Hindernis werden – die schädlichen Partikel entstehen durch Abrieb von Reifen und Bremsen.

Kritik von Union

In Deutschland und vielen anderen EU-Mitgliedstaaten waren jahrelang die derzeit geltenden Grenzwerte in vielen Städten nicht eingehalten worden: Die EU-Kommission ging dagegen mit Vertragsverletzungsverfahren vor, die Deutsche Umwelthilfe setzte wegen der Verstöße gerichtlich Fahrverbote durch. Die Lage hat sich aber zuletzt deutlich verbessert, 2021 wurden die Grenzwerte nur noch an jeweils einer Straße in Essen, München und Ludwigsburg überschritten. Die Kommission will nun durchsetzen, dass vorbeugende Luftqualitätspläne überall dort ausgearbeitet werden müssen, wo Grenzwertüberschreitungen im Jahr 2030 drohen.

Kritik an den Plänen kommt von der Union. Der umweltpolitische Sprecher der Christdemokraten im EU-Parlament, Peter Liese, sagte: „Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, jetzt einen solchen Vorschlag zu machen, der zu einer erneuten Diskussion über Fahrverbote führen wird.“ Die Luft habe sich in den vergangenen 25 Jahren in Europa sehr verbessert und sei in den letzten fünf Jahren noch einmal sehr viel besser geworden.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Tiemo Wölken begrüßte dagegen die Pläne und nannte sie „überfällig“. Der Grünen-EU-Abgeordnete Michael Bloss kritisierte den Vorschlag als zu lax, die Gesundheit von Millionen Menschen bleibe gefährdet.

Der Autoindustrie kommt die Kommission aber an anderer Stelle entgegen: Die geplante Euro-7-Norm für Neufahrzeuge wird, anders als von den Herstellern befürchtet, wohl keine oder nur leichte Verschärfungen der Emissionsgrenzwerte für Pkw vorsehen. Den Entwurf will die Kommission in zwei Wochen vorlegen.

Die neuen Grenzwerte zur Luftreinhaltung sind Teil eines größeren Pakets, das in der EU die Schadstoffbelastung in Luft und Wasser bis 2050 möglichst auf null reduzieren soll. Zu dem Paket gehören auch neue Vorschriften für die Abwasserbehandlung, die Aufnahme von 20 weiteren Substanzen in die Reinhaltungsauflagen und die Einführung einer Hersteller­verantwortung für schädliche Substanzen, die aus ihren Produkten ins Wasser gelangen – das zielt vor allem auf Mikroplastik in Kosmetik und Pharmazieprodukten ab. Abwasser soll auch systematisch auf mehrere Viren, darunter Covid-19, kontrolliert werden.

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