Friedhart Knolle ringt um NS-Aufarbeitung in Clausthal-Zellerfeld

Friedhart Knolle engagiert sich für den Naturschutz und für die Aufarbeitung der NS-Zeit. Foto: Berg
Nach einer Explosion im Sprengstoffwerk „Tanne“ im Jahr 1940 erhielten die deutschen Opfer ein Denkmal. Tote polnische Zwangarbeiter aber wurden am Friedhofs-Rand verscharrt. Jetzt soll an ihr Schicksal erinnert werden.
Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!
Clausthal-Zellerfeld. Sein Vater, Friedel Knolle, kam mit einem der letzten Flüge aus Stalingrad raus. Über den Krieg sprach er später nie. Wie so viele Väter. „Die Väter haben abgeblockt“, sagt sein Sohn Friedhart Knolle, mittlerweile selbst im Rentenalter.
Als Friedhart Knolle in Clausthal Geologie studierte, da war das Institut nur ein paar Tausend Meter von der ehemaligen „Tanne“ entfernt, einem der fünf großen Sprengstoffwerke Nazi-Deutschlands während der Zweiten Weltkriegs. Auch hier traf Knolle auf ein breites Schweigen. „Unsere Prof’s wollten nicht darüber reden.“ Sie, die jungen Studenten, sollten nach vorn schauen, nicht nach hinten, hieß es.
„Ich hatte fünf IM‘s“
Friedhart Knolle und seine Generation wollten jedoch genau hinschauen, in jede Richtung des Zeitstrahls. Ohne Frage ist sein Blick auch in die Zukunft gerichtet, etwa, wenn er sich für Umwelt- und Naturschutz engagiert. Lange Zeit war er Pressesprecher des Nationalparkes Harz. Genommen haben sie ihn, den promovierten Geologen, weil er schon vor der Wende 1989 viel in der DDR unterwegs war und gute Kontakte auf beiden Seiten der Grenze hat. Immer mit dabei auf seinen Reisen in den Osten war der Geologen-Hammer, entsprechend skeptisch wurde der Westdeutsche von der DDR-Staatssicherheit beäugt. „Ich hatte fünf IM‘s“, sagt er lachend, also fünf Zuträger der Stasi, die über ihn berichteten.
Knolle verehrt den DDR-Biologen Michael Succow, dem es gelang, in den letzten DDR-Tagen handstreichartig viele Naturschutz-Großreservate in Ostdeutschland auszuweisen, wofür Succow den Alternativen Nobelpreis erhielt, den Right Livelihood Award. Ohne Succows Geniestreich würde es den Nationalpark Harz wohl nicht geben. Denn erst, nachdem in der DDR der Nationalpark Hochharz gegründet worden war, zog Niedersachsen mit dem Westharz nach. 1994 fusionierten die Nationalparks Ost- und Westharz. „Vom Osten lernen heißt siegen lernen“, sagt Knolle schmunzelnd.
Knolle: „Erst als Täter starben, konnte man frei darüber reden“
Sein Blick geht aber auch zurück, zu den blinden Flecken der deutschen Geschichte, über die die Väter und die Professoren nicht reden wollten. Die Aufarbeitung der Nazi-Zeit fand viele Jahrzehnte kaum statt und ist eine Aufgabe, der sich Knolle stellt. Er sagt im GZ-Gespräch auch diesen Satz: „Erst als Täter starben, konnte man frei darüber reden.“
Nachdem am 6. Juni 1940 das Sprengstoffwerk „Tanne“ aufgrund eines Kühlungsdefizits in die Luft geflogen war und zahlreiche Arbeiter dabei starben, wurde ein Denkmal errichtet, dessen Tenor den wahren Charakter des Werks verschleierte. Demnach „starben 61 Arbeitskameraden in der Fabrik Clausthal für Deutschland“.
Gemeinsam mit der Haupt- und Realschule Clausthal-Zellerfeld und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. half der gebürtige Goslarer, bereits zwei Geschichts- und Erinnerungstafeln aufzustellen, die in zeitgemäßer Weise über die wahren Hintergründe der „Tanne“ und ihrer Opfer informieren, die GZ berichtete ausführlich. Eine Tafel steht am noch in der jüngsten Vergangenheit so genannten „Russenfriedhof“, laut Knolle „das größte Clausthaler Massengrab“.
Weitere Info-Tafel 2024
Und eine weitere Info-Tafel soll im Sommer 2024 folgen. Denn hinter dem Grab der „arischen Opfer“ der Explosion von 1940 – Knolle: „Die Nazis waren Rassisten.“ – gibt es weitere 38 Einzelgräber. Völlig unbeachtet ruhen dort polnische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder. Sie starben an den Folgen der unmenschlichen Arbeit im Werk „Tanne“ oder an den schlechten Lebensbedingungen in dem Lager „Wilno“ nach 1945, ein Lager für „Displaces Persons“, also Zivilpersonen, die durch den Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
Das Ziel des Tafel-Projekts gemeinsam mit den Clausthal-Zellerfelder Schülern und dem Volksbund beschreibt Knolle so: „Wir arbeiten die Schicksale auf. Das hat nie einer gemacht nach 1945. Wir sind die Ersten.“ Mitstreiter dabei ist Rainer Bendick, Bildungsreferent beim Volksbund. Der sagt: „Knolle ist mein wichtigster Partner.“
Für Bendick, ursprünglich Lehrer für Geschichte und Französisch, gibt es ein Missverhältnis zwischen der sehr guten allgemeinen Aufarbeitung der NS-Zeit – auch im Bewusstsein der heute Lebenden – und der konkreten Aufarbeitung vor Ort. Da gelte es, noch viel innere Abwehr zu überwinden. Oft werde die Illusion vertreten „Opa war kein Nazi.“ Als Beispiel nennt Bendick den lange noch so genannten „Ausländer-Friedhof“ in Goslar. Bendick: „Dort liegen Zwangsarbeiter.“