Energiewende: So schneidet unsere Region ab

Deutschland soll grün werden – und das in allen Bundesländern. Eine Übersicht zeigt, wie Niedersachsen und unsere Region abschneidet. Foto: dpa
Der Anteil grüner Energieträger soll auf 80 Prozent steigen – Mehr Windräder und Solaranlagen müssen gebaut werden. Der Landkreis Goslar ist mit seinen Naturschutzgebieten und touristischen Zielen ein Sonderfall und bietet daher kaum Stromleistung.
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Braunschweig. Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral und unabhängig von fossilen Energieträgern sein. Eine neue Studie des Analyse- und Beratungsunternehmens Prognos zeigt, welche Regionen Vorreiter sind, wie sich der Zubau der Erneuerbaren entwickelt. Die Funke-Mediengruppe hat die Studie mit Blick auf die Städte und Landkreise in der Region Braunschweig-Wolfsburg ausgewertet. Das Basler Institut Prognos arbeitete zuvor zusammen mit der „Süddeutschen Zeitung“. Windparks im Elm, Solarzellen auf dem Dach oder per großer Freifläche an den Autobahnen 2, 7 oder 39, Wasserkraftwerke in Harzer Talsperren und Biomasse-Anlagen für die Stadt – Deutschland und auch unsere Region haben den Weg zur Energiewende eingeschlagen.
Und dabei spielt Strom eine überragende Rolle, weil künftig Millionen E-Autos mit ihm fahren und Wärmepumpen mit ihm heizen sollen, es soll schließlich auch eine Wärmewende und eine Verkehrswende geben. Umso bedeutender, dass dieser Strom grün ist. Sonst kommt Deutschland den Klimaschutzzielen kein Stück näher. Ein großer Teil des deutschen Strombedarfs wird schon heute von grünen Energieträgern gedeckt. 2022 lag ihr Anteil am Stromverbrauch bei 46 Prozent. Bis 2030 sollen es allerdings dauerhaft mindestens 80 Prozent werden. Damit das gelingt, müssen noch viele Windräder, viele Solaranlagen gebaut werden – überall in Deutschland. Doch wo steht unsere Region? Was machen andere besser? Wir legen den Schwerpunkt auf Wind- und Solarkraft, da diese bisher etwa 90 Prozent der Stromerzeugung bei den Erneuerbaren ausmachen.
Die Windkraft als wichtigster Energieträger
Die Windkraft ist der wichtigste Energieträger für die Energiewende in Deutschland. Etwa ein Viertel der Stromproduktion insgesamt erfolgte im vergangenen Jahr in Windparks vor den Küsten der Bundesrepublik und an Land. Niedersachsen ist Windenergie-Land Nummer 1. Von den etwa 29.000 Windrädern in der Republik stehen etwa 6400 in Niedersachsen, etwa 400 in der Region Braunschweig-Wolfsburg. Insgesamt gibt es in Deutschland ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Mit einer installierten Leistung von 1,4 Megawatt pro Quadratkilometer verfügt Dithmarschen in Schleswig-Holstein über die meiste Stromleistung aller Flächenlandkreise aus Windkraft an Land. Die Verteilung der bundesweiten 400 Landkreise und kreisfreien Städte nach installierter Stromleistung zeigt, dass in mehr als einem Fünftel der Kreise kein einziges Windrad steht. Dafür sind in wenigen Kreisen – die meisten im Norden – sehr viele Windkraftanlagen installiert.
Goslar am schlechtesten ausgestattet?
Unter den am schlechtesten ausgestatteten 150 Landkreisen findet sich auch Wolfsburg wieder. Und der Landkreis Goslar ebenso. Bei beiden Kommunen ist der schlechte Wert allerdings erklärbar. Wolfsburg ist einfach deutlich dichter besiedelt und mit seinen großen industriellen Flächen deutlich stärker versiegelt als der ländliche Raum. Der Landkreis Goslar ist mit seinen Naturschutzgebieten und touristischen Zielen ein Sonderfall. Den 1,4 Megawatt pro Quadratkilometer in Dithmarschen kann Wolfsburg nur 0,033 Megawatt entgegensetzen. Der Landkreis Goslar sogar nur 0,025 Megawatt. Auch das stärker besiedelte Braunschweig liegt verständlicherweise weiter hinten. Es hat einen Wert von 0,037 Megawatt. Die deutlich geringer besiedelte und flächenmäßig auch etwas größere Stadt Salzgitter hat einen guten Wert. Mit 0,577 Megawatt pro Quadratkilometer lässt die Stahlstadt schon viele, viele deutsche Landkreise und Städte hinter sich. Bei den Landkreisen Peine (0,350), Wolfenbüttel (0,245), Helmstedt (0,178) und Gifhorn (0,139) ist noch mehr oder weniger Luft nach oben. Stand jetzt wird das Nord-Süd-Gefälle noch zu einem echten Problem werden. Denn der im Norden erzeugte Strom kann mangels ausreichend ausgebauter Netze gar nicht alle Kunden erreichen – und wird das auch nie schaffen. Auch deshalb soll die Windkraft flächendeckend ausgebaut werden.
Passend dazu diese Zahlen: In den ersten sechs Monaten des Jahres hat unsere Region mehr Windräder gebaut als ganz Bayern – und fast so viele wie ganz Baden-Württemberg. Sieben waren es in unserer Region, vier davon im Landkreis Gifhorn, drei im Landkreis Wolfenbüttel. Der Rest unserer Region geht also leer aus. Bayern hat nur fünf neue Windräder im ersten Halbjahr 2023 errichtet, Baden-Württemberg acht. Das geht aus neuen Daten hervor, die die Fachagentur Windenergie an Land unserer Zeitung zur Verfügung gestellt hat. In ganz Deutschland sind in den ersten sechs Monaten des Jahres 307 neue Windräder hinzugekommen, davon 40 in Niedersachsen. Mehr hat nur Schleswig-Holstein gebaut.
Die Nordlichter haben aber mit 118 neuen Windrädern ganz schön Tempo gemacht. Die bundesweit 307 Windräder entsprechen 1448 Megawatt. Aber: Bis Ende 2024 müssen noch knapp zehn Gigawatt zugebaut werden, um die im Erneuerbare-Energien-Gesetz gesteckten Ziele einzuhalten. Weil der ländliche Raum die Hauptlast bei der so wichtigen Windkraft stemmt, soll in Niedersachsen ein Ausgleich geschaffen werden. Die rot-grüne Landesregierung will die Anlagenbetreiber zur Zahlung einer Abgabe von 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde an die Gemeinde verpflichten, in der die jeweiligen Windräder stehen. „Die Menschen im ländlichen Raum sollen auch finanziell vom Ausbau der erneuerbaren Energien profitieren“, sagte Energieminister Christian Meyer (Grüne) kürzlich. Damit es schneller vorangeht, hat Meyer den Kommunen bis Ende 2026 Ziele vorgegeben. Der zuständige Regionalverband Großraum Braunschweig soll bis dahin 3,18 Prozent der Fläche in unserer Region für die Windkraft als Vorrangflächen ausweisen. Bisher sind es erst 1,3 Prozent. Das kostete Zeit und Mühen. Der Ausbau auf 3,18 Prozent wird ein enormer Kraftakt.
Sonnenkraft: 215 Gigawatt Gesamtleistung ab 2023?
Im vergangenen Jahr lieferte die Sonne fast ein Viertel von Deutschlands grünem Strom. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz sieht vor, dass bis 2030 Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 215 Gigawatt gebaut werden sollen. Aktuell verfügt Deutschland über rund 72 Gigawatt installierter Solarleistung, der Ausbau hat in den vergangenen Jahren aber deutlich an Fahrt aufgenommen. Das gilt auch für unsere Region.
Zumindest theoretisch. Denn womöglich wird es bei uns schon bald deutlich mehr Solarparks, also große Solar-Freiflächen an den Autobahnen 2, 7 und 39 sowie entlang von Bahnstrecken oder in kaum genutzten Gewerbegebieten geben. Der Bedarf ist absolut vorhanden. Laut Zahlen des Regionalverbands Großraum Braunschweig gibt es derzeit erst 140 Hektar dieser Solarparks. Es sind aber 360 Hektar in Planung. Und es gibt Anfragen für satte 3000 weitere Hektar. Bislang ist vor allem Süddeutschland bei der Photovoltaik stark. Klar, hier scheint auch häufiger und länger die Sonne. Mit 1,2 Megawatt pro Quadratkilometer ist die Stadt Landshut in Bayern die Solar-Königin Deutschlands. Auch bei den Flächenlandkreisen sind, neben einigen brandenburgischen Kreisen, süddeutsche und insbesondere bayerische Landkreise stark.
Die Verteilung der Kreise nach installierter Stromleistung zeigt: In allen Kreisen Deutschlands ist der Ausbau der Photovoltaik zumindest angelaufen. In unserer Region sind bisher die Städte relativ stark. Braunschweig und Wolfsburg haben immerhin 0,264 und 0,141 Megawatt pro Quadratkilometer vorzuweisen. Städte mit ihren vielen Gebäuden auf wenig Fläche haben da natürlich einen Vorteil. In Braunschweig gibt es jetzt schon mehr als 4000 Solar-Anlagen – meist auf Dächern. Doch in den Landkreisen steckt mit Blick auf die großen Solar-Freiflächen noch viel Potenzial. Von den schon genannten insgesamt 3500 Hektar Freiflächen inklusive Anfragen entfallen alleine auf den Kreis Gifhorn fast 1200 Hektar, auf den Landkreis Helmstedt fast 1300 Hektar und auf den Landkreis Goslar fast 400 Hektar. Das Blatt kann sich also auch wieder wenden.
Das Fazit
Trotz der großen Unterschiede zwischen den Landkreisen ist klar: Die einzelnen Regionen müssen ihren Bedarf nicht autark aus eigener Stromerzeugung abdecken. Soweit möglich, wird der erzeugte Strom in ein überregionales Netz eingespeist, sodass starke Landkreise die Erzeugerschwächeren ausgleichen können. Doch dieser Ausgleich hat Grenzen – und der Netzausbau stockt. Und in vielen Kommunen und Landkreisen gibt es Widerstand von Anwohnern oder Naturschützern, wenn etwa neue Wind- oder Solarparks geplant werden. Deutschland und auch unsere Region haben noch einen steilen Weg vor sich, die Windleistung muss laut EEG verdreifacht, die PV-Leistung sogar verfünffacht werden – innerhalb von 17 Jahren.
Von Andre Dolle, Funke-Mediengruppe
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