Christian Rehse ist seit einem halben Jahrhundert im Goslarer Rat

Christian Rehse gehört heute genau seit 50 Jahren dem Goslarer Rat an: Mitte November 2021 eröffnet der Jerstedter Liberale erstmals als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des neu gewählten Rates im „Lindenhof“, weil sich Noch-Oberbürgermeisters Dr. Oliver Junk (CDU) in Urlaub abgemeldet hat. Archivfoto: Sowa
Als der junge Landwirt Christian Rehse am 29. Januar 1974 seine erste Sitzung des Goslarer Rates bestreitet, heißt der Oberbürgermeister Helmut Sander, kommt aus Oker und ist Sozialdemokrat. Die Verwaltung führt Oberstadtdirektor Siegfried Scholz.
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Goslar/Jerstedt. Das Gremium trifft sich ausgerechnet in der Mehrzweckhalle Hahndorf, was für den Jerstedter Rehse einen kurzen Anfahrtsweg, in jenen Zeiten aber nicht unbedingt einen leichten Gang in den Nachbarort bedeutet. Rivalitäten sind vor einem halben Jahrhundert ausgeprägter als heute.
Als Parteiloser auf der FDP-Liste
Das Duo Scholz und Sander verpflichtet den neuen Ratsherrn Rehse, der bei der Kommunalwahl 1972 nach der Eingemeindung von Jerstedt als parteiloser Kandidat auf Liste der FDP kandidiert hat. „Politisch war ich zwar interessiert, aber bis dahin nicht tätig“, erinnert sich Rehse heute zurück. Gewählt wurde für die FDP in seinem damaligen Wahlkreis1 Latein- und Griechischlehrer Dr. Horst Fahrenholz, der es am Ratsgymnasium bis zum stellvertretenden Direktor brachte. Als dieser 1973 aus privaten Gründen vorübergehend nach Bad Harzburg zieht, rutscht Rehse als sein Nachrücker in den Rat.
„Damals war ich mit 27 Jahren der Jüngste im Rat und habe in der FDP-Fraktion mit Herrn Schneider und Herrn Conrad zusammengearbeitet“, erzählt Rehse, der am 8. Februar seinen 78 Geburtstag feiert. Er muss seine Arbeit zur Zufriedenheit seiner Partei und seiner Wähler gemacht haben. Bei den folgenden Wahlen habe er das Mandat immer direkt bekommen,
40 Stunden im Osteröder Nebenjob
Seine private Situation sieht 1974 so aus, dass er nach der Schule und seiner Ausbildung in Jerstedt seit 1966 einen landwirtschaftlichen Betrieb mittlerer Größe bewirtschaftet. „Im Nebenberuf arbeitete ich zusätzlich als Lager- und Produktionsarbeiter 40 Stunden in der Woche in Osterode in einer Dentalgipsfirma“, sagt Rehse – quasi ein zweites Einkommen für seine Familie, das er von 1972 bis 1991 aus dem Südharz nach Hause trägt.
Seine Familie umfasst damals die beiden Söhne Christian und Markus – Tochter Sabine wurde erst 1980 geboren – sowie einen Pflegesohn. Ehefrau Barbara ist immer der Mittelpunkt der Familie und die Stütze des Betriebes. Beide sind 50 Jahre glücklich verheiratet, auch wenn die Zahl der Urlaube an nur zwei Händen abzuzählen ist. Jerstedt und Goslar tragen die Rehses im Herzen – in dieser Reihenfolge. Als Barbara 2020 stirbt, bricht für Ehemann Christian eine Welt zusammen. Politik wird künftig auch zu einer Art Ablenkung in einer Zeit, die ganz anders geplant war.
Jerstedter Posaunenchor und Feuerwehr-Chef
Der Blick geht wieder zurück: Der junge Christian Rehse ist auch im Jerstedter Posaunenchor und in der Feuerwehr tätig. Tätig? Er leitet die Wehr zwölf Jahre lang als Ortsbrandmeister. Für die hintere Bank oder die zweite Reihe ist Rehse einfach nicht gemacht. Sein Vater sei vom Ratsmandat und der verbundenen zusätzlichen Arbeit wenig begeistert gewesen, erinnert sich Rehse. „Junge, steck’ doch nicht die Kerze an beiden Seiten an“, habe sein Kommentar gelautet. Aber aufgrund der Hilfe seiner Barbara, der Familie und treuen Freunden habe er die Belastung lange Jahre tragen können.
Diese Belastung besteht darin, dass er in wechselnden Konstellationen immer wieder an Schaltstellen sitzt und Duftmarken setzt. Den Goslarer Finanzausschuss leitet er viele Jahre. Er schließt politische Freundschaften über Parteigrenzen hinweg. Das Dreier-Kürzel KPR steht nämlich nicht für eine eigene Goslarer Partei, sondern für die Nachnamen der Politiker Armin Kalbe (CDU), Gerd Politz (SPD) und eben Rehse. Ein Trio, das Netze spinnt und Allianzen für Kompromisse schmiedet. Je nach Sichtweise finden es die einen vorbildlich, die anderen absonderlich.
Über viele Jahre und Parteigrenzen hinweggehende verlässliche Zusammenarbeit
Der Okeraner Genosse Politz sitzt von September 1978 bis Ende Oktober 2021 im Rat. Mit Rehse verbindet ihn eine dauerhafte und belastbare Männerfreundschaft – bis zu seinem Tod im Februar 2022. Der Goslarer Kalbe, der auf drei Ratsjahrzehnte bis 2016 kommt und lange Bürgermeister ist, lobt eine über viele Jahre und Parteigrenzen hinweggehende verlässliche Zusammenarbeit mit Rehse und Politz. Er ist stolz über viele Vorhaben, die so „erfolgreich umgesetzt werden konnten – wie die Privatisierung der Stadtentwässerung und der Straßenreinigung genauso wie die erfolgreiche Gründung der Goslarer-Marketing-Gesellschaft mit der Einstellung von Michael Bitter“. Rehse habe sich im Rat immer für die Interessen von ganz Goslar eingesetzt. „Sein Herz schlug und schlägt aber besonders für Jerstedt, wo er immer die Dorfgemeinschaft im Blick hat“, sagt Kalbe.
Erfolgreiches stetig wachsendes mittelständisches Unternehmen

Armin Kalbe
Wer sich Rehse zum Gegner macht, hat weniger zu lachen. Linke Touren mag er gar nicht. Was nicht politisch gemeint ist. Für ihn zählen ein Handschlag und ein gegebenes Wort. Er tritt aber nicht nach unten, sondern teilt auf Augenhöhe aus. Das bekommt Goslars behördliches Spitzenpersonal mehr als einmal zu spüren. Als er im September 2021 zwischen Ratswahl und Oberbürgermeister-Stichwahl den Verdienstorden der Bundesrepublik erhält, kommt es im Großen Heiligen Kreuz zu einem ziemlich skurrilen Festakt, als der von ihm politisch beharkte Dr. Oliver Junk (CDU) Rehse den Orden überreicht. Beide erledigen das aber wie echte Profis. Und Niedersachsens FDP-Chef Stefan Birkner lobt Rehses liberalen Vorbild-Lebenslauf.
Der Braunlager Baumann toppt den Jerstedter Rehse
Geht es eigentlich länger als Rehse im Rat? In Braunlage toppt der frühere Bürgermeister Albert Baumann (CDU) den Wert noch, weil er seit dem 22.Oktober 1972 dem Hochharzer Rat angehört. In Seesen verabschiedet sich ein weiterer Christdemokrat nach 49 Jahren. Der frühere Landtagsabgeordnete Rudolf Götz fängt mit Baumann an, hört aber Ende Oktober 2021 auf.
Und in Goslar? Stadt-Sprecherin Daniela Siegl listet für den früheren Vienenburger Bürgermeister Manfred Dieber (SPD) 37 Jahre und für Bürgerlisten-Einzelkämpfer Henning Wehrmann 32 Jahre seit 1981 auf – mit einer zehnjährigen Unterbrechung von 1986 bis 1996. Es schließt sich ein Duo mit Goslarer Bürgermeister-Erfahrung an. Renate Lucksch (SPD) ist seit 27, der Linke Rüdiger Wohltmann seit 25 Jahren dabei. Die Stadt plant übrigens in Kürze eine kleine Feierstunde für das Rehse-Jubiläum.