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Lesung im Gemeindehaus St. Trinitatis

Aiko Kemper spricht in Liebenburg über Neonazis bei der Polizei

Welche Polizei wollen wir? Über diese Frage diskutierte Journalist Aiko Kempen mit seinen Zuhörern. Foto: Michael Matthey, dpa/pa

Welche Polizei wollen wir? Über diese Frage diskutierte Journalist Aiko Kempen mit seinen Zuhörern. Foto: Michael Matthey, dpa/pa

Rassismus und Neonazis bei der Polizei: Der Journalist Aiko Kempen stellte in Liebenburg sein Buch zu dem Thema vor und diskutierte mit seinen Zuhörern. Themen waren der Hamburger Polizeiskandal, die NSU-Morde und die Frage: Welche Polizei wollen wir?

Von Petra Hartmann Freitag, 16.06.2023, 06:00 Uhr

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Liebenburg. Die Szene mutet skurril an, absurd. Zwei Journalisten und zwei Polizisten bei einem heimlichen Treffen in einer Berliner Wohnung. Keine Fotos, keine Tonaufzeichnungen, die Namen der Polizisten müssen geheim bleiben. Dabei tun sie nichts Verbotenes. Im Gegenteil: Sie reden über Rassismus und Rechtsextremismus, legen Gesetzesübertritte und Straftaten von Kollegen offen. Doch wenn herauskommt, wer die „blaue Mauer des Schweigens“ bricht, haben die Beamten üble Folgen zu fürchten.

Mit leiser Stimme, immer noch beklommen, schildert Aiko Kempen das damalige Gespräch. Der Journalist, der unter anderem für das ARD-Magazin „Monitor“, die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und die TAZ arbeitet, war zu Gast in Liebenburg und las aus seinem Buch „Auf dem rechten Weg?“ vor. Eingeladen hatten die Gemeinde, die Lewer Däle und die Klinik Dr. Fontheim. Wobei es für Kempen auch eine Art „Heimspiel“ ist, denn sein Vater lebt in Liebenburg.

Das Schweigen der Polizisten

Kempen berichtete über Rassisten und Neonazis in der deutschen Polizei, über seine Recherchen zum Thema, und die rund 40 Zuhörer im Gemeindehaus der evangelischen St.-Trinitatis-Gemeinde erlebten das eine oder andere Déjà-vu, als Kempen von Statements über „Einzelfälle“ oder das Schweigen der Kollegen sprach.

Der Journalist recherchiert seit Jahren über Polizeithemen. Dass er sich so intensiv in die Arbeit hineingekniet habe, sei durch einen arroganten Pressesprecher verursacht worden, der auf Kempens Presseanfragen geantwortet habe, „der „süffisante Unterton meiner Fragen sei wohl dem Umstand geschuldet, dass ich nicht sehr viel über Polizeiarbeit wisse“, sagte der Autor. Der Mann sei inzwischen nicht mehr im Amt.

Aiko Kempen berichtet im Gemeindehaus der St.-Trinitatis-Gemeinde über Rassismus in der Polizei. Foto: Hartmann

Aiko Kempen berichtet im Gemeindehaus der St.-Trinitatis-Gemeinde über Rassismus in der Polizei. Foto: Hartmann

Mehr als nur Einzelfälle

Ja, es gibt sie: Rassisten und Rechtsextremisten in der Polizei. Und: Nein, es handelt sich nicht um „bedauerliche Einzelfälle“, stellte Kempen klar, der in seinem Eingangsstatement darüber nachdachte, „warum wir den Rechtsstaat vor der Polizei schützen müssen und die Polizei vor sich selbst“. Immerhin: Es handele sich um „die einzige Berufsgruppe, die mit Waffen und Tasern durch Wohnviertel streifen darf. Und sie wendet diese Mittel auch täglich an“, sagte Kempen. Nahezu jeder Nicht-Weiße könne über negative Erfahrungen mit der Polizei berichten. „Wer unzufrieden ist mit einem Handwerker, der ruft beim nächsten Mal einen anderen. Aber wer die Polizei ruft, hat keine Alternative“, stellte der Autor fest.

Erschreckend: Kempen stellte sehr dezidiert den Hamburger Polizeiskandal aus dem Jahr 1995 vor. Damals hatte ein Polizist massive rassistische Übergriffe von Kollegen, meist gegen Schwarze, öffentlich gemacht. Darunter Scheinhinrichtungen und Körperverletzungen, die Kollegen hatten, laut Aussagen des Polizisten auch sechs Männer gezwungen, sich auszuziehen, sie in eine Zelle gesperrt und mit Tränengas besprüht. Vorfälle, die zum Rücktritt des damaligen Hamburger Innensenators Werner Hackmann führten. Doch für die meisten Polizisten habe es keine Konsequenzen gegeben. Die Aufklärung und Aufarbeitung? Sie lief intern, die Polizei ermittelte in ihren eigenen Reihen, Kollegen gegen Kollegen ...

Interne Ermittlungen

Ob Hamburger Polizeiskandal oder NSU-Morde: Kempen legte dar, dass sich an der Argumentation und dem Umgang mit rechter Gewalt in der Polizei sowie in der Aufklärung so gut wie nichts geändert hat. Vom reflexartigen „Das sind Einzelfälle“ bis hin zu internen Ermittlungen, bei denen am Ende nicht viel herauskommt.

Aiko Kempen berichtet im Gemeindehaus der St.-Trinitatis-Gemeinde über Rassismus in der Polizei. Foto: Hartmann

Aiko Kempen berichtet im Gemeindehaus der St.-Trinitatis-Gemeinde über Rassismus in der Polizei. Foto: Hartmann

Eine Frage, die die Zuhörer bewegte: Was kann man tun? Kempen sieht ein wirksames Gegenmittel in der Wachsamkeit der Öffentlichkeit. Übergriffe sollten publik gemacht und öffentlich verurteilt werden, riet er. Hier habe der Journalismus als „vierte Gewalt“ eine besondere Rolle. Solange die Gewalt sich nur gegen Minderheiten richte, sei der Bürger oft bereit wegzusehen. So habe es Kundgebungen von Angehörigen der NSU-Opfer gegeben, auf die die Öffentlichkeit so gut wie gar nicht reagiert habe. Auch, dass eine „diversere“ Polizei weniger zu rechtsextremistischen Übergriffen neige, könnte Kempen sich vorstellen. Die rassistischen Taten in der Polizei seien überwiegend von Männern begangen worden.

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Zahlreiche Zuhörer lauschen dem Vortrag und diskutieren mit dem Autor. Foto: Hartmann

Zahlreiche Zuhörer lauschen dem Vortrag und diskutieren mit dem Autor. Foto: Hartmann

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