Lesung im Goslarer Kulturmarktplatz: „Wir Kinder des 20. Juli“
Autor Tim Pröse stellt sein Buch vor
Lesung im Goslarer Kulturmarktplatz: „Wir Kinder des 20. Juli“
Autor Tim Pröse liest im Kulturmarktplatz aus seinem Buch "Wir Kinder des 20. Juli".
Foto: Hartmann
Autor Tim Pröse stellte in Goslar sein Buch „Wir Kinder des 20. Juli“ vor. Rund 80 Besucher verfolgten den Vortrag im Goslarer Kulturmarktplatz über die Attentäter, die versucht hatten, Hitler zu beseitigen, und über ihre Nachkommen.
Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen und im ersten Monat 9,00 € sparen! Jetzt sichern!
Goslar. „Wir Kinder des 20. Juli“ heißt das Buch von Tim Pröse, aus dem der Verfasser am Mittwochabend im Goslarer Kulturmarktplatz vorlas. Es geht um die Nachkommen der Männer, die damals den Anschlag auf Adolf Hitler wagten, aber auch um Haltung, Glauben, Anstand und die Verteidigung der Demokratie heute.
20. Juli 1944: Im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ explodiert eine Aktentasche. Das Attentat auf Hitler, das Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Mitverschworenen geplant hatten, gilt als der bedeutendste Umsturzversuch der Nazi-Zeit. Doch der „Führer“ überlebt. Über 200 an den Umsturzplänen beteiligte Männer werden in der Folge hingerichtet. Und auch an ihren Familien nimmt das Nazi-Regime Rache.
Gekonnte Inszenierung
Pröse weiß, wie man eine Buchpräsentation inszeniert. In lilafarbenes Licht getaucht, sitzt er am Lesetisch, steht manchmal auf und wandert lesend und deklamierend durch den Raum. Auf einer Leinwand sind Buchcover, Stauffenbergs Büste und andere Bilder zum Vortrag zu sehen. Musikalische Einspielungen, darunter Dietrich Bonhoeffers „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, tragen zur eigenen Stimmung im Raum bei. Der Autor zitiert Gedichte, religiöse Bekenntnisse. Manchmal ein wenig süßlich, hart an der Grenze zum Kitsch, immer auch getragen vom Bekenntnis zur eigenen tiefen Betroffenheit.
Und Pröse weiß, wie man die Herzen der Goslarer gewinnt. Er sei besonders gern in dieser Stadt, zumal hier ja einer seiner Helden zur Schule gegangen sei, betont er. Henning von Tresckow, der in der Kaiserstadt das Ratsgymnasium besuchte, wird von Pröse mit den Worten zitiert: „Wer seinen Kinderglauben sich bewahrt, in einer reinen und unbefleckten Brust, und gegen das Gelächter einer Welt zu leben wagt, wie er als Kind geträumt bis auf den letzten Tag: Das ist ein Mann.“
Ehrfurcht vor den Helden
Der Autor macht keinen Hehl aus seiner Begeisterung für seinen Stoff, seiner Ehrfurcht vor seinen Helden. Beinahe hagiographisch schildert er die ruhige, fast heitere Gelassenheit, mit der sich der nur noch über drei Finger verfügende Stauffenberg dem Ort des Geschehens nähert. „Herr Oberst, um Himmelswillen, warum ist denn Ihre Tasche so schwer?“, bemerkt ein Leutnant, der ihm die mit zwei Sprengsätzen bestückte Aktenmappe in das Gebäude trägt. „Naja, ich habe nun mal viel zu tun heute“, versetzt ruhig der Attentäter.
Die Darstellung des Anschlags selbst und dessen Scheitern, die Verfolgung der Beteiligten, die Hinrichtungen ... All das schildert Pröse sehr deutlich, sehr intensiv. Aber was wurde aus den Kindern der Verschworenen?
Wettlauf mit der Zeit
Der Autor spricht von beeindruckenden Begegnungen, von einem Wettlauf mit der Zeit beim Versuch, Beteiligte und Nachkommen zu besuchen, sie zu interviewen. Aber auch von der Zurückhaltung der Nachkommen. Mit Berthold von Stauffenberg, dem ältesten Sohn des Attentäters, sprach er in dessen 90. Lebensjahr. Wie war das für den Zehnjährigen, den Namen des eigenen Vaters im Radio zu hören als des Anführers einer „ehrgeizigen, gemeinen Clique“, die sich verschworen hatte, den „heißgeliebten Führer“ zu ermorden? Wie war es, die Schlagzeile im „Völkischen Beobachter“ zu lesen?
Die Nazis hatten eigentlich vor, die gesamten Familien der Attentäter auszurotten, wie sie es aus der germanischen Tradition herauszulesen meinten. Am Ende wurde es „nur“ eine Internierung der Kinder und Jugendlichen in Bad Sachsa.
Rund 80 Zuschauer kommen zur Lesung in den Kulturmarktplatz.
Foto: Hartmann
„Sie haben sich mir geöffnet“
„Sie haben sich mir geöffnet“, sagt Pröse. Nicht sofort, aber dann doch. Der Journalist durfte dabei sein, als die Nachkommen der Hingerichteten sich trafen. Einmal im Jahr kommen sie zusammen, am 8. September um 4 Uhr nachmittags, in der Gedenkstätte Plötzensee, in einem Verschlag, der aussieht wie ein Stall. Dann stehen sie unter dem Querbalken mit den Haken, an denen die Väter hingen, im qualvollen, zwanzigminütigen Todeskampf an Stahlseilen. Ein Grab gibt es nicht, die Asche der Toten wurde auf einem Müllhaufen verstreut. Nicht alle starben hier. Stauffenberg etwa wurde bereits am 21. Juli standrechtlich erschossen.
Was bleibt? Die Haltung der Nachkommen bleibt. „Sie haben ihren Schmerz verwunden“, sagt Pröse. Und wie die Väter dem gehässigen, herumschreienden Volksgerichtshofpräsidenten Roland Freisler gelassen und ungebeugt begegneten, so habe ihn auch aus den Gesprächen mit den Nachkommen eine große Unabhängigkeit angeweht, erzählt Pröse. Was der Journalist über ihn schreibe, das habe Berthold von Stauffenberg gar nicht vorher lesen und kontrollieren wollen. „Es war ihm völlig egal. Weil sie es nicht nötig haben.“
Menschen wie Leuchttürme
Geblieben ist ein Eintreten für Demokratie, für Freiheit, gegen Nationalismus, gegen Antisemitismus in jeder Form. „Es sind Leuchtturm-Menschen“, betont Pröse. Für die Väter und die Kinder wohl gleichermaßen. Und was geblieben ist, das sei auch der eingangs zitierte Kinderglaube. Einmal, als er beim Sohn Stauffenbergs nicht weiterkam, habe er ihn nach seinem Glauben gefragt. Ob er an ein Weiterleben nach dem Tod glaube? „Ja“, sagte Berthold von Stauffenberg, „ich werde meinen Vater bald wiedersehen. Eines nicht so fernen Tages. Ich weiß nicht, wie das sein wird, aber ich bin mir sicher, ich werde ihn wiedersehen.“
Empfehlung - Lesung im Goslarer Kulturmarktplatz: „Wir Kinder des 20. Juli“ „Wir Kinder des 20. Juli“ heißt das Buch von Tim Pröse, aus dem der Verfasser am Mittwochabend im Goslarer Kulturmarktplatz vorlas. Es geht um die Nachkommen der Männer, die damals den Anschlag auf Adolf Hitler wagten, aber auch um Haltung, Glauben, Anstand und die Verteidigung der Demokratie heute.(...)
Link zum Artikel:
https://www.goslarsche.de/lokales/tim-proese-buch-praesentation-goslar-605166.html