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Aufarbeitung: Paul Lincke und seine Nazi-Vergangenheit

Welches dunkle Geheimnis hast du noch? Als Udo Lindenberg 2003 den Paul-Lincke-Ring erhält, ist die Rolle des Berliner Operettenkönigs unter den braunen Machthabern noch kein Thema.

Welches dunkle Geheimnis hast du noch? Als Udo Lindenberg 2003 den Paul-Lincke-Ring erhält, ist die Rolle des Berliner Operettenkönigs unter den braunen Machthabern noch kein Thema. Foto: Schenk (Archiv)

In vier Wochen dreht sich alles um seine Rolle im „Dritten Reich“: Der Berliner Operettenkönig Paul Lincke, der dem Hahnenkleer Musikpreis seinen Namen gab, wird am 25. September von drei Experten durchleuchtet. Wer will, kann sich anmelden.

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Von Frank Heine
Mittwoch, 28.08.2024, 18:00 Uhr

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Hahnenklee. Auf vier Stunden ist die Aufarbeitung angesetzt, drei Experten kommen zu Wort, und wer will, kann vor Ort oder im Netz live mit dabei sein: Der Berliner Komponist Paul Lincke, der auf dem Waldfriedhof in Hahnenklee begraben liegt und dem Musikpreis des Kurortes seinen Namen gab, wird auf seine Vergangenheit unter den braunen Machthabern im „Dritten Reich“ durchleuchtet, wenn die Stadt Goslar am Mittwoch, 25. September, ab 16 Uhr zum Paul-Lincke-Ring-Symposium in den Hahnenkleer Kursaal einlädt.

Ab sofort sind Anmeldungen für das Symposium über den Link https://PLR.goslar.de möglich. Alternativ können Interessierte die Veranstaltung per Livestream im Internet verfolgen. Die Adresse veröffentlicht die Stadt nach eigenen Angaben rechtzeitig vorher im Internet auf www.goslar.de. „Unsere Gesellschaft und die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert ist, unterliegen einem stetigen Wandel. Dies betrifft auch die Erinnerungskultur, die sich in den vergangenen Jahren verändert hat und heute anderen Standards und Maßstäben folgt als noch vor wenigen Jahren“, heißt es sibyllinisch-philosophisch in der Einladung.

Basis für eine Entscheidung

Auf Grundlage der Ausführungen der drei Referenten soll demnach zunächst ein Diskussionsprozess angestoßen werden. Er bildet die Basis, wenn auf einem späteren Termin die Frage geklärt werden soll, inwieweit Lincke als Namensgeber weiterhin als unbedenklich erachtet wird.

Teil zwei soll laut Mitteilung der Stadt ein zusätzlicher Workshop sein, auf dem die wissenschaftlichen Ergebnisse des Symposiums und die daraus resultierenden Implikationen für den Paul-Lincke-Ring diskutiert werden.

Details dazu, so heißt es, würden zeitnah veröffentlicht.

Zurück zu Teil eins: Das Symposium findet in Kooperation mit der Historischen Kommission Niedersachsen und der Abteilung Musikwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz statt. Als Experten sind Professor Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann, Professor Dr. Peter Niedermüller sowie Martina Staats eingeladen.

Historiker Schmiechen-Ackermann aus Hannover setzt seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre und beschäftigt sich mit dem Nationalsozialismus und vergleichender Diktaturgeschichte, sozialen Bewegungen und der innerdeutschen Grenze. Er war Mitglied der vom Landtag eingesetzten Enquetekommission „Verrat an der Freiheit – Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“. Er ordnet nach einer Einführung in die Definition „Nationalsozialist/Nazi“ auch allgemeine Kriterien zum Ausmaß einer Verwicklung ein. Des Weiteren erfolgt eine Prüfung, Betrachtung und Einordnung der formellen, materiellen und sonstigen Belastung beziehungsweise Entlastung Linckes unter Berücksichtigung seines Handelns und Wirkens – insbesondere in den Jahren zwischen 1933 und 1945 sowie in der Nachkriegszeit.

Musikwissenschaftler Niedermüller leitete von 2021 bis 2024 unter anderem das Forschungsprojekt „Deutsche Unterhaltungsmusik im 20. Jahrhundert“, das die Zeit vom Ende der Weimarer Republik bis 1945 untersucht. Auf der einen Seite stellt sich die Frage nach der politischen Einflussnahme und Repression, aber auch andererseits auch nach dem Handeln des Einzelnen vor diesem politischen Hintergrund.

Brüche und Kontinuitäten

Im Symposium bewertet Niedermüller das künstlerische Wirken Linckes. Zudem erläutert er Brüche und Kontinuitäten in der bundesdeutschen Unterhaltungskultur nach 1945. Weitere Felder in seinem Vortrag sind die frühen Preisträger und ihre Rolle in der Bundesrepublik und in etwaige Verstrickungen in der Nazi-Zeit sowie eine Betrachtung der Vergabepraxis des Preises inklusive der Einordnung der betreffenden Preisträger samt ihrer Maße der Verwicklung in den Nationalsozialismus.

Staats, Leiterin der Gedenkstätte Wolfenbüttel, ergänzt die Expertenrunde mit den Forschungsschwerpunkten Geschichte des Nationalsozialismus und Erinnerungskultur, insbesondere der Geschichte der historischen Orte Bergen-Belsen und des Strafgefängnisses Wolfenbüttel. Sie referiert über die Erinnerungskultur im Wandel der Zeit, aktuelle Standards sowie Beispiele aus der Praxis. In einem moderierten Plenum erhält im Anschluss das Publikum die Möglichkeit zum Mitdiskutieren.

Welche neuen Kapitel zu Linckes Leben können die Goslarer Aktivitäten aufschlagen? In seiner Heimatstadt ist mit dem Paul-Lincke-Ufer am Landwehrkanal im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht nur eine Straße nach ihm benannt. Am Prenzlauer Berg im Stadtbezirk Pankow liegt auch eine Grundschule, die seit 1992 über ein musikalisches Profil verfügt. 1996 erhielt sie den Namen des Komponisten Paul Lincke. Nach immer noch offizieller Lesart soll im Zuge der Vorbereitungen für den 70.Geburtstag des Ringes Linckes Rolle unter den Nazi-Machthabern geklärt werden. Ein offenes Geheimnis ist aber auch, dass der designierte Preisträger Sven Regener größtmögliche Klarheit wünscht, bevor er den Ring annimmt. Kein Wunder vielleicht auch deshalb, weil sich beim Musiker (Element of Crime) und Buchautor („Herr Lehmann“) selbst kommunistische Jugendkapitel finden lassen.

Seit 2016 kein Geheimnis mehr

Aber seitdem Jan Kutscher in seiner Lincke-Biographie 2016 bis dato unveröffentlichte Dokumente aus der Zeit verarbeitet hatte, konnte eigentlich jeder von Linckes Anbiederei und Duckmäusertum wissen. Lincke verband eine Nähe zu Magda Goebbels. Nazi-Chefpropagandist Joseph Goebbels verlieh Lincke zu seinem 75. Geburtstag im Auftrag von Hitler die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft und den Berliner Ehrenbürgerbrief. Derselbe Lincke war allerdings nie Mitglied der NSDAP. Öffentliche antisemitische Äußerungen sind nicht bekannt. „Was man definitiv sagen kann, ist: Er war kein Nationalsozialist, und er war auch kein Antisemit.“ Mit diesen Worten zitierte der NDR Kutscher, als die Goslarer Debatte im Januar losging.

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