Beim Kultursalon schlägt das Stimmungsbarometer voll aus

Christian Meyer fasst nach nur wenigen Angaben die Liebesgeschichte vom Ehepaar Gerd und Christine aus dem Publikum musikalisch zusammen. Foto: Meiß
Der Kultursalon on Tour, eine Erfolgsproduktion des Sapperlot-Theaters Lorsch, gastierte bereits zum sechsten Mal mit seinem sorgfältig zusammengestellten Programm aus Musik, Comedy, Chansons, Zauberei und Satire im Kulturkraftwerk Goslar.
Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!
Goslar. Der Kultursalon on Tour, eine Erfolgsproduktion des Sapperlot-Theaters Lorsch, gastierte bereits zum sechsten Mal mit seinem sorgfältig zusammengestellten Programm aus Musik, Comedy, Chansons, Zauberei und Satire im Kulturkraftwerk Goslar. Es war ein dreistündiges Erlebnis der besonderen Art im ausverkauften Haus, bei dem die Funken von der Bühne fast elektrisierend die Menschen im Saal berührten und von Anfang an in einen Zustand der Heiterkeit versetzten. Zu sehen waren das Duo Alix Dudel (Diseuse) und Sebastian Albert (Gitarre) sowie Chin Meyer (Finanzkabarettist), Martin Sierp (Stand-Up Comedy Magic) und Ole Lehmann (Comedian), die nun auch durch ihren gemeinsamen Auftritt in Goslar verbunden sind. Der Kabarettist und Musiker Daniel Helfrich, Organisator und Conférencier des Abends, schaffte es, dass in seiner geplanten Dramaturgie „jeder für sich optimal strahlen“ konnte. Wie erhofft, rollte er seinen Kollegen durch das Warm-Up des Publikums mit einem Rap und dem traditionellen Kultursalon-Ritual einen guten roten Teppich aus. „Damit sie sich in ein Stimmungsbett legen konnten“, wie Helfrich es nennt.
Den Abend eröffneten die Diseuse Alix Dudel und der Gitarrist Sebastian Albert, die aus ihrem Programm „zu spät. Aber egal.“ einige ihrer „gemein-gefährlichen Lieder und Gedichte“ vortrugen, die das Publikum zum aufmerksamen Zuhören anregten. Darunter waren das „Wasserhuhngedicht“ des Hannoveraner Dichters Friedhelm Kendler und „Boys in the Bassbus“. Für die sinnliche Interpretin mit der tiefen Stimme, die gegen die Dunkelheit des Raumes spielt, die Zuschauer also nur hört, ist es wichtig, wie der Raum klingt, dass er etwas Warmes an sie zurückgibt. Räume mit Seele wie das Kulturkraftwerk können das und Michael Zietz, Robin Bock und Cassie Turley von der Technik haben das ihre dazu beigetragen.
Das Goslarer Publikum im Kulturkraftwerk gab sich unkompliziert, offen. Schon von Backstage aus beobachtete Christian „Chin“ Meyer, der der ältere Bruder des Schauspielers Hans-Werner Meyer ist, die Zuschauer in den ersten Reihen und ihre Reaktionen. Meyer, der, wie er selbst sagt, auf der Langstrecke sehr gut funktioniert, will den Sprint, den 20-Minuten-Auftritt, noch besser beherrschen lernen. Doch seine Interaktion mit dem Goslarer Publikum brachte ihm selbst viel Spaß und so lief die Zeit einfach viel zu schnell davon. Elfriede und Michael aus der ersten Reihe, Olaf und Bernd (Bohrmaschinen) und Jan (Altersvorsorgeverkäufer), vor allem aber das Ehepaar Gerd und Christine (Liebe & Geld) werden allen Anwesenden als Publikumsassistenten sicher in Erinnerung bleiben. Denn Meyer bewies in wenigen Minuten sein in jahrzehntelanger Erfahrung erworbenes geniales Können, als er die Liebesgeschichte der beiden mit den wenigen Angaben, die sie preisgegeben hatte, vertonte und Helfrich ihn am Flügel begleitete. Das Publikum ging mit diesen Eindrücken in die Pause.
Elvis-Imitation
Den zweiten Programmteil nach der Pause eröffnete Helfrich mit einer stimmgewaltigen Elvis-Imitation am Klavier. Ein Klavierkabarett mit Ohrwürmern des King of Rock ’n’ Roll, die Helfrich allerdings als Reise zur Heiligen Familie nach Jerusalem umgeschrieben hatte. Kabarett und Religion, das mag für den einen oder anderen nicht zusammenpassen. Aber Glaube und Religion sind etwas sehr Persönliches, sodass es an dieser Stelle vermessen wäre, seinen Auftritt im Sinne der über zweihundert Anwesenden zu bewerten. Das kann jeder nur für sich selbst tun. Helfrich ist ein Kabarettist mit Theologiestudium, der einen modernen Zugang zur Religion hat. Eineinhalb Jahre hat der Odenwälder an seinem Programm gearbeitet. Gute Comedy zu schreiben, ist harte Arbeit.
Von ihm übernahm Martin Sierp die Bühne und verzauberte das Publikum sogleich mit nicht enden wollenden magischen 30-Euro-Scheinen und dem Verschwinden einer Ketchup-Flasche in Zeitlupe. Auch er ließ es sich nicht nehmen, Goslarer Publikumsassistenten in sein Programm einzubeziehen. Die bereits bewährte Elfriede garantierte auch ihm einen Lacherfolg, als er das hebräische Wort El Shalom (Shalom = Frieden) kurzerhand als Elfriede ins Deutsche übersetzte. Im letzten Teil seiner Show suchte der Comedian Paare aus dem Publikum und es meldete sich Rita aus Goslar, die sich für Sierp entschied. Sie ist seit 37 Jahren mit ihrem Mann Clemens verheiratet, der praktischerweise neben ihr saß, und beide wurden unter Applaus auf die Bühne gebeten, um Sierp zu assistieren. Als Dankeschön für ihre Teilnahme bei seiner Bauchrednerei, die den ganzen Saal minutenlang zum Lachen brachte, erhielt das Ehepaar zwei Freikarten für eine seiner Vorstellungen.
Bühnenerfahrung
Mit Ole Lehmann betrat der letzte Künstler des Abends die Bühne. Der in Berlin lebende Hamburger brachte zahlreiche Nummern aus seiner dreißigjährigen Bühnenerfahrung mit. Gags wie die ICE-Lautsprecherdurchsagen auf Hamburgisch und Sächsisch, eine Mitreisende aus Gütersloh namens Alice Weidel und ein gewisser Adolf, der zufällig an diesem Tag im Bordbistro arbeitete. Anekdoten von „Muddi“ und Oma rundeten sein Programm ab. Vorbilder für Lehmann sind britische und amerikanische Stand-ups. In den ersten drei Minuten entscheidet er, wohin die Reise an einem solchen Abend geht. Durch seine schwule Nummer, die er gleich zu Beginn in eine kleine Publikumsverwirrung einbaut, das Coming-out als Fleischesser, nehmen die Zuschauer seiner Meinung nach schon viel mit, weil da nicht nur ein schwuler Mann auf der Bühne steht, der darüber Gags macht, sondern keine Hemmungen hat. Auch er bevorzugt für seine Arbeit die Clubatmosphäre, denn nicht nur für ihn ist es immer schöner, wenn es alt und bunt ist. Auch die Zuschauer sitzen in Räumen mit Aura anders als in Mehrzweckhallen. Lehmann ist ein ständiger Beobachter des Publikums, denn die Gesichter im Publikum sind sein Gradmesser. Es ist nicht die Lautstärke des Gelächters, die einen guten Abend widerspiegelt. Es sind die fröhlichen Gesichter, in die man schaut. Auch Stille und Freude sind vereinbar. In Goslar war alles gut.
Die Hauptpersonen des Abends waren selbstredend die Künstler. Aber zum guten Gelingen trugen neben der stimmungsvollen Atmosphäre auch die Menschen bei, die hinter den Kulissen ehrenamtlich dafür sorgten, dass sich die davor hier in Goslar so wohlfühlten, dass alles reibungslos und perfekt funktionierte. Es sind die zwischenmenschlichen Beziehungen zu den Ehrenamtlichen im Kulturkraftwerk, die den Künstlern auch an diesem Abend so gut gefallen haben, wie sie unisono berichteten. Sehr beeindruckend, wie Chin Meyer sagte.