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Krippenspiel in Alt Wallmoden

Hinter den Kulissen einer Legende

Wolfgang Spittler ist von Anfang an der Regisseur des Stückes – auch jetzt wieder mit seinen 96 Jahren sitzt er auf dem Regiestuhl. Foto: Gereke

Wolfgang Spittler ist von Anfang an der Regisseur des Stückes – auch jetzt wieder mit seinen 96 Jahren sitzt er auf dem Regiestuhl. Foto: Gereke

Der Puppenspielkreis führt am 4. Advent das Krippenspiel in der Gutskirche Alt Wallmodens auf. Seit der Uraufführung sind bereits 30 Jahre vergangen. Regie führt der 96-jährige Wolfgang Spittler, der künftig die Leitung in jüngere Hände legen möchte.

Von Andreas Gereke Sonntag, 18.12.2022, 17:00 Uhr

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Alt Wallmoden. Im Altarraum geht es turbulent zu – doch in den Besucherreihen wird davon nichts zu sehen sein. Denn ein Vorhang schützt die Akteure des Puppenspielkreises vor Blicken, die derzeit fleißig wirbeln, damit ein legendäres Stück nach mehrjähriger Pause wieder zur Aufführung kommen kann: das Alt Wallmodener Krippenspiel.

Ja, genau, das Dörfchen hat ein eigenes Krippenspiel. Insgesamt 25Figuren sind in dem Stück zu erleben, das in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstand. Der Liebenburger Lehrer Rudolf Otto Wiemer schrieb das Stück in den Nachkriegsjahren für die Schulkinder seines Freundes, den Lehrer Watkinson aus Alt Wallmoden. Es entstand in der Nachkriegszeit und hat als Kern die klassische Weihnachtsgeschichte. Dem Autor war es wichtig, dass Menschen aus seiner Zeit, Menschen mit Schuld und Not, in Armut und Angst zur Krippe treten dürfen – und beim Christkind Verständnis finden. So treten nicht die drei Weisen aus dem Morgenland an die Krippe mit dem Jesuskind, sondern Menschen der Gegenwart, nämlich ein jugendlicher Motorradfahrer, ein gestresster Bürger und ein heimatvertriebener Flüchtling. Figuren, die es heute genauso gibt, wie vor rund 70 Jahren.

Das Alt Wallmodener Krippenspiel ist berühmt für seine prachtvollen Puppen. Foto: Gereke

Das Alt Wallmodener Krippenspiel ist berühmt für seine prachtvollen Puppen. Foto: Gereke

Wiemers Botschaft ist nach wie vor brandaktuell. Jeder könne an die Krippe treten. Dazu müsse man kein König sein oder großartige Geschenke mitbringen, hatte vor einigen Jahren der damalige Dorfpfarrer Peter Röthke die Zeitlosigkeit des Stückes gerühmt.

Dorf auf den Beinen

Einstmals wurde das Krippenspiel in jedem Jahr von den Schulkindern in der Kirche aufgeführt, bis das irgendwann einschlief. Als der pensionierte Kunstlehrer Wolfgang Spittler Anfang der 1990er Jahre in den Ort zog, erfuhr er von dem Juwel und erweckte das Spiel zu neuem Leben. „Ich entdeckte, dass die Textbücher noch verteilt waren, aber ansonsten war nichts da“, hatte er sich vor einigen Jahren an die Anfänge erinnert. Die Charaktere wurden modernisiert, die Texte von den früheren Spielern auf Band gesprochen.

Vor mehr als 30 Jahren entstanden die Requisiten für das Stück. Foto: Gereke

Vor mehr als 30 Jahren entstanden die Requisiten für das Stück. Foto: Gereke

1992 kam sie erstmals wieder zur Aufführung. „Das ganze Dorf war damals auf den Beinen und an den Vorbereitungen beteiligt“, erinnert sich seine Frau. Es bildeten sich Gruppen aus Puppen- und Bühnenbauern, Spielern und Sprechern. Dabei entstanden die liebevollen Stabpuppen, die auch heute noch zum Einsatz kommen, sowie die Kulisse, die immer auf Ständern befestigt werden muss, damit sie über den Vorhang ragt.

Einstudieren von Laufwegen

Spittler fungiert auch jetzt noch mit seinen 96 Jahren, die er seit gestern ist, als Regisseur des Stückes. Er sorgte dafür, dass die vorweihnachtliche Alt Wallmodener Tradition nicht durch die Corona-Pandemie in der Versenkung verschwindet und auch für den Neustart, lockte neue Akteure. Denn von der alten Puppenspielergarde hatten im Vorfeld einige abgewunken. Auch sie sind älter geworden und trauten sich das Spiel nicht mehr zu. In Spittlers Augen aber lodert das alt Wallmodener Krippenspiel-Feuer.

Die Stabpuppenspieler ziehen mit den Engeln ein: Das Stück erfordert Kraft in den Armen und Konzentration für die Bewegungen zum Text vom Band. Foto: Gereke

Die Stabpuppenspieler ziehen mit den Engeln ein: Das Stück erfordert Kraft in den Armen und Konzentration für die Bewegungen zum Text vom Band. Foto: Gereke

So wie die Spieler die Bewegungen und Blickrichtungen der Puppen wieder trainieren, damit sie harmonisch wirken, so müssen sie auch selbst wieder ihre Laufwege hinter der Bühne einstudieren. An diesem Probenvormittag könnte jeder der Anwesenden zudem gut vier Arme benötigen, um alle Puppen rechtzeitig zum Einsatz bringen zu können. Denn auch die Puppenspieler sind nicht von der Krankheitswelle verschont worden, einige fehlen.

Steht Abschied an?

Und so haben die Gesunden wahrlich alle Hände voll zu tun, denn die Bewegungen müssen zu den Sätzen aus dem Lautsprecher sitzen, damit alles synchron erfolgt. Einigen wird anschließend der Nacken vom ständigen nach oben schauen schmerzen, oder anderen die Arme wehtun, weil es nicht leicht ist, die Puppen zu halten.

Zu sehen gibt es das einzigartige Stück am morgigen Sonntag in der Alt Wallmodener Gutskirche. Beginn ist um 17 Uhr. Traditionell ist dann wieder ein Jahr Pause – eine nächste Gelegenheit würde es dann erst wieder 2024 geben. Ob Spittler dann noch dabei ist? Er denkt daran, den Regiestuhl zu räumen. „Mit dann 98 Jahren, das muss dann wirklich nicht sein. Manches macht mir schon jetzt Mühe – und man wird ja nicht jünger“, gesteht er. Aber er hat schon jemandem im Auge, der es aus seiner Sicht ein Alt Wallmodener Puppenspiel weiterführen könnte.

Und so ist das Stabpuppenspiel aus doppeltem Grund etwas Besonderes: Es feiert seinen 30. Geburtstag seit der Uraufführung – und es ist vermutlich das Letzte, mit Wolfgang Spittler, dem wahrscheinlich ältesten Regisseur des Harzvorlands, in der Regie.

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