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Eisenbahnen fordern Staatshilfen

Hilferuf von Europas Bahnen

Ein Zug der Metronom Eisenbahngesellschaft steht am Bahnhof. Foto: dpa

Ein Zug der Metronom Eisenbahngesellschaft steht am Bahnhof. Foto: dpa

Die hohen Strompreise gefährden viele Eisenbahnunternehmen in ganz Europa. Für sie drohen Milliarden Mehrkosten. Was die Bahnen vom Staat fordern und weshalb sie sich an die EU-Kommission gewendet haben. Kann eine Stromoberpreisgrenze helfen?

Mittwoch, 19.10.2022, 16:30 Uhr

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Die Eisenbahnunternehmen in Europa haben sich mit einem gemeinsamen Hilferuf für weitere Finanzhilfen an die EU-Kommission gewandt. „Die Eisenbahnen brauchen ausreichend staatliche Beihilfen“, fordert die Gemeinschaft der Europäischen Bahnen (CER) in einem Brief an die EU-Kommission, der unserer Redaktion vorliegt. Unternehmen sollten für die hohen Energiepreise teilweise entschädigt werden. Dem Verband CER gehört auch die Deutsche Bahn (DB) und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen an.

Konkret wünschen sich die Verbände als finanzielle Entlastung eine mögliche Strompreisobergrenze für den Schienenverkehr in Europa. Zudem sollten die Mitgliedstaaten den Eisenbahnunternehmen die Wegeentgelte für die Schienennutzung „reduzieren, erlassen oder stunden“ dürfen. Die Energieversorgung für Eisenbahnen müsse zudem gesichert werden, um eine Verkehrsverlagerung auf weniger energieeffiziente Verkehrsträger zu vermeiden.

Milliardenkosten

Angesichts der stark gestiegenen Strompreise rechneten einige Verkehrsunternehmen mit jährlichen Mehrkosten von bis zu zwei Milliarden Euro. Aktuell sind staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise von maximal 50 Millionen Euro vorgesehen. „Die Eisenbahnen sind daher stark von dem anhaltenden Anstieg der Energiepreise betroffen und sehen ihre finanzielle Existenzfähigkeit trotz ihrer sehr hohen Energieeffizienz gefährdet“, warnt die CER in dem Brief.

Da die Preise für Diesel vergleichsweise geringer angestiegen sind, erhalten Verkehrsträger mit fossilen Brennstoffen – wie Lastwagen, aber auch Dieselloks – einen Wettbewerbsvorteil gegenüber nachhaltigen, strombasierten Verkehrsträgern. Dadurch sei das Rückgrat der nachhaltigen Mobilität und des nachhaltigen Verkehrs in der EU in Gefahr und der „ökologische Wandel in der EU unmöglich“, warnt die CER.

Allein in Deutschland verbraucht der Schienenverkehr insgesamt rund zehn Terawattstunden (TWh) Strom. Der Strompreis für 2023 ist zuletzt stark auf 500 Euro je Megawattstunde (MWh) gestiegen, nach noch knapp 100 Euro im Jahr 2021. Damit würde dem deutschen Schienenverkehrssektor bei der Strombeschaffung zu Strombörsenpreisen eine Kostensteigerung insgesamt von rund vier Milliarden Euro pro Jahr drohen.

Die Beschaffungskosten für Dieselkraftstoff haben sich demgegenüber in den letzten zwölf Monaten „nur“ um rund 80 Prozent erhöht. Damit übersteigt der Kostenanstieg bei Strom den Anstieg bei Diesel massiv. Noch glimpflich davongekommen ist bisher die Deutsche Bahn. Das Unternehmen hat sich rechtzeitig gegen steigende Preise abgesichert.

Doch diese Kontrakte laufen aus. Im kommenden Jahr wird der Konzern daher sehr viel mehr für Energie bezahlen müssen. Die Bahn ist der größte einzelne Stromverbraucher Deutschlands. Dazu kommen noch mehrere Hundert Millionen Tonnen Dieselkraftstoff, vor allem für Güterzüge.

Der DB-Vorstand rechnet 2023 allein durch die steigenden Energiepreise mit Mehrkosten von zwei Milliarden Euro. Einen Teil davon kann das Unternehmen durch höhere Ticketpreise wieder hereinholen. Zudem wird wohl der Gewinn zurückgehen. Im ersten Halbjahr konnte die Bahn ein operatives Ergebnis von 876 Millionen Euro verbuchen. Die Mehrkosten zeigen, wie sehr die Energiekrise der Deutschen Bahn zu schaffen macht.

Konkurrenz leidet auch

Auch die Konkurrenten des Konzerns leiden. Die Nahverkehrsunternehmen beziffern ihre Mehrkosten auf 1,65 Milliarden Euro, die sie vom Bund verlangen. Darüber wird vermutlich auf dem Treffen der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler an diesem Mittwoch entschieden.

Die Verkehrsunternehmen warnen schon vor den Folgen, sollte es keine weitere Hilfe geben. Landauf, landab werde an Kürzungsplänen für den Nahverkehr gearbeitet, heißt es bei ihren Verbänden. Auch für die Umwelt sind die hohen Strompreise Gift. Denn die Güterbahnen büßen dadurch an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Lkw ein. Eine der Folgen: Sie erwägen wieder den verstärkten Einsatz von Dieselloks. So unterstützen die deutschen Bahnen den Brandbrief an die EU-Kommission. In einigen anderen Ländern ist die Lage noch dramatischer.

In den meisten europäischen Ländern ist die Eisenbahn einer der größten Einzelverbraucher von Strom, da etwa 80 Prozent aller Zugkilometer mit elektrischer Energie gefahren werden. Die europäischen Eisenbahnverkehrsunternehmen zahlen im Jahr 2022 bis zu 420 Euro pro Megawatt. „Im Durchschnitt hat sich der Strompreis im Vergleich zu 2021 mindestens verdreifacht, in einigen Ländern sogar verzehnfacht“, rechnet die CER vor. „Für das Jahr 2023 müssen viele Energielieferverträge neu verhandelt werden, und die Preisprognose liegt in einigen Fällen bei über

500 Euro je MWh. Infolgedessen steigen die Kosten für die Bahnen weiterhin erheblich.“

Manche Ökonomen sehen angesichts solcher Zahlen die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale, welche die Inflation anheizen könnte. Der Abschluss in der Chemie mit Sonderzahlungen könnte nun ein Modell sein. dpa

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