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Experte im Interview

Fridays for Future: Eingängige Slogans, aber keine Hymne

„Klima retten“ steht auf einem Ballon, während Tausende bei einer Protestaktion von Fridays for Future vor dem Brandenburger Tor demonstrieren. Foto: Riedl/dpa

„Klima retten“ steht auf einem Ballon, während Tausende bei einer Protestaktion von Fridays for Future vor dem Brandenburger Tor demonstrieren. Foto: Riedl/dpa

Warum hat die Klimabewegung keine Hymne? Der Politologe Thorsten Philipp erklärt im GZ-Interview, welche Rolle Musik auf Demonstrationen von Fridays for Future spielt und warum es für die Bewegung so schwer ist, sich auf gemeinsame Lieder zu einigen.

Sonntag, 17.12.2023, 15:00 Uhr

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Berlin. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“: Junge Klimabewegungen wie Fridays for Future haben bekannte Slogans, die bei ihren Protesten zu hören sind. Auch Musik ist immer mit dabei und viele Künstler unterstützen die Aktivisten. Zuletzt traten Größen wie Juli oder Bosse beim globalen Klimastreik auf. Aber eine Hymne oder gezielte Protestmusik für eine bessere Klimapolitik, die im Mainstream bekannt ist und einen Wiedererkennungswert hat, scheint der Bewegung zu fehlen. Warum das so ist, erklärt der Politologe Dr. Thorsten Philipp im Interview. Er ist Experte für Nachhaltigkeit in Popsongs und Nachhaltigkeitskommunikation.

Herr Philipp, gibt es eine Hymne der aktuellen Klimaproteste?

Nein, die gibt es ganz sicher nicht. Man muss allerdings auch hinzufügen, dass die meisten sozialen Bewegungen keine Hymne haben. Es würde uns jedenfalls schwerfallen, eine Hymne der LGBT- oder der Frauenbewegung zu identifizieren. Bei der Friedensbewegung könnte einem vielleicht noch John Lennons „Imagine“ einfallen, doch auch da würden nicht alle zustimmen. Das heißt, der Wunsch nach einer Hymne lässt sich in den meisten sozialen Bewegungen nicht einlösen und in der Klimabewegung erst recht nicht. Das ist auch nicht sehr verwunderlich.

Warum ist das nicht verwunderlich?

Der Grund scheint mir darin zu liegen, dass in der Umweltbewegung verschiedene Anliegen zusammenkommen. Die große Überschrift mag dieselbe sein, aber in den ökologischen Bewegungen gab es schon immer Spannungen, beispielsweise durch verschiedene Ansätze beim Umwelt- und Naturschutz. Klimaschutz ist wieder eine andere Note, es kommen also unterschiedliche Zweige in dieser Bewegung zusammen und das zeigt die Komplexität der Interessen.

Mit einer Hymne ist der Wunsch verbunden, in einem musikalischen Akt Einheit und gemeinsame Ziele auszudrücken. Dies rührt vom Typus der Nationalhymne her. Historisch gesehen wurden diese jedoch in den meisten Fällen bestellt, also ein Künstler wurde gebeten, sie zu schreiben. Es gibt nur wenige Beispiele für ein Lied, das aus der Bevölkerung heraus entstanden ist und die Aura einer Hymne angenommen hat.

Die Berliner Sängerin Dota Kehr hat 2020 das Lied „Keine Zeit“ für die Fridays for Future-Bewegung geschrieben. Hätte der Song das Zeug zu einer Hymne?

„Keine Zeit“ war kein Auftrag von Fridays for Future. Dota Kehr sollte auf einer Kundgebung am Brandenburger Tor sprechen, hat sich stattdessen aber für Musik entschieden und so entstand der Song. Hier haben wir Protestbewegungen, die aus einem Momentum heraus ihre Anliegen oder Sehnsüchte in Worte und Musik bringen und ein Stimmungsbild einer ganz bestimmten Phase sind. Mit Dota haben wir eine Künstlerin, die explizit Position bezieht und ihr Song ist eindeutig ein Beitrag zu dieser Protestkultur. Der hatte aber nie den Anspruch, so etwas wie eine Hymne zu werden. Das politische Anliegen ist im Text aber sehr gut verständlich und es gibt einen klaren Kontext, der mir als Rezipient zeigt, dass es nicht nur um Entertainment geht.

Damit unterscheidet sich Dota Kehr fundamental von den vielen Beiträgen in der Popmusik zum Thema Umwelt, die überwiegend überhaupt nicht eingeordnet werden von den Hörern. Wer weiß denn, dass es im Sommerhit „Vamos a la Playa“ von Righeira um die Gefahren der Nuklearenergie ging? Ein neueres Beispiel wäre Billie Eilishs „All the good Girls go to Hell“. Die meisten werden sich das nicht als einen Song erschließen, bei dem es um Klimawandel und die brennenden Wälder vor Los Angeles geht.

Funktioniert das auch umgekehrt? Werden Lieder, die ursprünglich keine Protestsongs sind, als solche ausgelegt?

Das ist ein Grundproblem: Songs werden immer individuell aufgenommen. Wenn wir beide einen Song hören, hören wir in Wahrheit zwei Songs, weil wir unterschiedliche Zugänge dazu haben. Das lineare Übertragungsmodell im Sinne von „der sagt und ich verstehe“ funktioniert beim Popsong nicht. Hier ist sehr viel ambivalent, sehr viel mehrfach deutbar. Das primäre Ziel der Popmusik bleibt die Unterhaltung und darüber hinaus sehen einzelne Menschen auch einen Beitrag zu wie auch immer gearteter ökologischer Kommunikation.

Verwendet Fridays for Future bestimmte Lieder, weil die Bewegung sie als Protestsongs wahrnimmt?

Man kann tatsächlich eine Art Playlist ermitteln. Ein Song wie „Alles neu“ von Peter Fox taucht immer wieder auf. Er würde sich nicht als primär politischer Künstler definieren, aber der Text lässt sich offensichtlich so verstehen, dass er sich für die Protestbewegung eignet. Es gibt aber auch Phänomene wie den „American Idiot“, der zu Donald Trumps Amtszeit häufig gespielt wurde. Der Song hat nichts mit Ökologie und Donald Trump zu tun, er eignete sich aber in einer bestimmten historischen Phase dazu, den Frust gegenüber dem US-amerikanischen Präsidenten zum Ausdruck zu bringen. Deswegen war er auch häufig auf den Protesten von Fridays for Future zu hören, obwohl das bestimmt nicht die Idee von Green Day war, als sie diesen Song veröffentlicht haben.

Welchen Einfluss haben diese Songs auf die Proteste?

Alle Demonstrationen brauchen Musik, nicht nur Klimabewegung. Dabei ist die Protestmusik im engeren Sinne nur ein kleiner Teil der Musik. Wenn man zum Beispiel an historische Momente wie Gorleben denkt, wo Künstler wie Degenhardt ihre Kritik in Worte gefasst haben zum Klang der Gitarre und dadurch das Band der Gemeinschaft gestärkt haben, das ist das eine.

Wenn man aber nun fragt, warum die meisten Demos heute Musik haben, dann würde ich einmal provozierend antworten, dass es Unterhaltung ist. Eine Demo darf auch Spaß machen, und es spricht überhaupt nichts dagegen, auf eine Demo zu gehen und zu sagen, ich habe trotzdem auch eine gute Zeit gehabt dabei.

Könnten Protestsongs dabei helfen, die Ziele der Klimabewegung zu erreichen?

Ich würde sagen nein, aber das ist eine lange Debatte in der Forschung. Man kann sagen, dass sie zur Stärkung der ökologischen Kommunikation beitragen. Der Wissenschaftler Niklas Luhmann hat gesagt, solange wir nicht über Probleme sprechen und sie kommunikativ nicht bearbeiten, wird sich nichts ändern. Kommunikation ist also der Schlüssel zur Veränderung und eben auch zur politischen Bewältigung. Und in dieser Hinsicht haben alle diese Songs eine Funktion, denn sie tragen dazu bei, dass wir kommunikativ unsere Anstrengungen stärken. Das funktioniert aber nicht so linear, dass ich einfach nur etwas hören muss und werde es dann auch tun. Also der Gedanke, dass Michael Jacksons „Earth Song“ ernsthaft auf den Konsum oder das Umweltverhalten der Rezipienten Auswirkungen gehabt hätte, der ist aus meiner Sicht absurd. Von Sofia Dell’Aquila

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