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Thema beim Verkehrsgerichtstag

Freie Fahrt oder Pflichttests für Senioren?

Der Verkehrsgerichtstag in Goslar hat empfohlen, dass bei wiederholten Trunkenheitsfahrten das Fahrzeug eingezogen werden kann. Symbolfoto: dpa

Der Verkehrsgerichtstag in Goslar hat empfohlen, dass bei wiederholten Trunkenheitsfahrten das Fahrzeug eingezogen werden kann. Symbolfoto: dpa

Nach Auto-Unfällen von Senioren wird immer wieder darüber diskutiert, ob ältere Menschen ihre Fahreignung bei Tests nachweisen sollen. Auch der Verkehrsgerichtstag in Goslar hat dieses Fass mit hochbrisantem Inhalt noch einmal geöffnet.

Von Hendrik Roß Sonntag, 28.01.2024, 12:00 Uhr

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Goslar. Der Fall einer 88-Jährigen aus Bad Harzburg hat im Mai 2023 für Aufsehen gesorgt: Sie war mit ihrem Auto unkontrolliert mehrere Hundert Meter auf dem Fußweg vor einer Grundschule gefahren – sieben Menschen wurden verletzt. Immer wieder wird nach Pkw-Unfällen von Senioren darüber diskutiert, ob ältere Menschen ihre Fahreignung ab einem gewissen Alter unter Beweis stellen sollten. Auch der Verkehrsgerichtstag (VGT) in Goslar hat dieses Fass mit hochbrisantem Inhalt noch einmal geöffnet.

Streitthema: Pflichttests für Senioren

Pflichttests für Senioren am Steuer war das Thema des Streitgesprächs im Großen Saal des Hotels „Der Achtermann“. Anja Käfer-Rohrbach, Vize-Geschäftsführerin des Gesamtverbands der Versicherer (GDV), und Michaela Engelmann, Vorstandschefin des Sozialverbands Deutschland (SoVD), tauschten ihre Argumente aus und beantworteten die Fragen von Moderatorin und NDR-Journalistin Hilke Jannsen. Die Kontrahentinnen kamen mit völlig unterschiedlichen Standpunkten nach Goslar. Während es der Versicherungsfrau vor allem um mehr Verkehrssicherheit ging, machte sich die Sozialverbands-Vertreterin vor allem Sorgen um die Folgen für ältere Menschen. Engelmann sprach von Vorverurteilung und nannte verpflichtende Tests nur für ältere Verkehrsteilnehmer den „absolut falschen Weg“. Engelmann: „Es ist diskriminierend, die Fahreignung lediglich vom Alter abhängig zu machen.“ Wenn schon regelmäßige Pflicht-Checks, dann doch bitte für alle Autofahrer.

Anja Käfer-Rohrbach, Vize-Geschäftsführerin des Gesamtverbands der Versicherer (r.) , und Michaela Engelmann, Vorstandschefin des Sozialverbands Deutschland (l.), diskutieren beim VGT-Streitgespräch mit Moderatorin Hilke Jannsen. Foto: Epping

Anja Käfer-Rohrbach, Vize-Geschäftsführerin des Gesamtverbands der Versicherer (r.) , und Michaela Engelmann, Vorstandschefin des Sozialverbands Deutschland (l.), diskutieren beim VGT-Streitgespräch mit Moderatorin Hilke Jannsen. Foto: Epping

Vernünftige Diskussion kaum möglich

Käfer-Rohrbach störte sich daran, dass in Deutschland sofort eine „große Aufgeregtheit“ losbreche, sobald es ums Thema Auto geht. Eine vernünftige Diskussion sei kaum möglich. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat sich bereits gegen eine Testpflicht ausgesprochen, auch wenn es solche Regelungen in anderen Ländern längst gibt.

Die Zahlen des Statistischen Bundesamts und der Unfallforschung würden eine eindeutige Sprache sprechen, meinte Käfer-Rohrbach. Zwar seien ältere Menschen seltener in Unfälle verwickelt als Jüngere. Allerdings würde die Statistik schon ganz anders aussehen, wenn man berücksichtigt, dass Senioren auch viel weniger Kilometer fahren. Ab einem Alter von 75 Jahren steige das Unfallrisiko enorm an. Als Moderatorin Jannsen anmerkte, dass Gesundheitschecks in anderen Ländern kaum Auswirkungen auf die Unfallstatistik hätten, bringt Käfer-Rohrbach eine GDV-Idee ins Spiel: „Rückmeldefahrten mit geschultem Personal haben eine hohe Akzeptanzquote.“

Probefahrt mit Experten

Wie funktioniert das? Ab einem gewissen Alter müssen Pkw-Fahrer eine Probefahrt mit Fahrschullehrern, Verkehrspsychologen oder anderen Experten absolvieren. Die Fachleute beurteilen dann die Fahrleistung und geben eine fundierte Empfehlung ab. Das Ergebnis ist aber nicht bindend. Testläufe hätten eine deutliche „Verhaltensänderung“ bei den Betroffenen aufgezeigt. Kann das ein Weg sein?

Engelmann blieb skeptisch, wollte auf keinen Fall eine Pflicht daraus machen. Stattdessen plädierte sie dafür, „breit zu denken“. Hausärzte, Familienangehörige und Freunde könnten bei Gesprächen zur Fahreignung einbezogen werden. Außerdem kritisierte sie, dass bereits vorhandene Fahrtest-Angebote für Senioren nur kostenpflichtig zu haben sind. Ohnehin würde sich bei Pflichttest die Kostenfrage stellen. Auch der Organisationsaufwand würde enorm sein.

Aufs Auto angewiesen

Gerade im ländlichen Raum seien ältere Menschen oft aufs Auto angewiesen, etwa um einzukaufen oder Freunde zu treffen. Es bräuchte echte Alternativen, einen guten öffentlichen Nahverkehr oder Bürgerbusse, die bisher ausschließlich über Vereine finanziert werden – wenn es sie überhaupt gibt.

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