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Gast aus Afrika in Westerode

Ein Kuhreiher auf Abwegen im Harz

Kuhreiher Paul in einem Käfig in Münchehof, mittlerweile lebt der Vogel im Zoo Hannover.  Foto: Raba

Kuhreiher Paul in einem Käfig in Münchehof, mittlerweile lebt der Vogel im Zoo Hannover. Foto: Raba

Kuhreiher sind in Afrika und Südeuropa beheimatet. Wegen des Klimawandels verirren sich manche der kleinen Reiher auch in nördliche Gefilde. Jetzt wurde ein erschöpftes Exemplar in Westerode entdeckt und über Umwege nach Hannover gebracht.

Von Oliver Stade Sonntag, 01.01.2023, 14:00 Uhr

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Wie kommt ein Kuhreiher in den Harz? Klar, mithilfe seiner Schwingen, aber was treibt einen Vogel, der in Afrika oder Südspanien zu Hause ist, mitten im Winter in den Norden? Fragen, die sich auch Dr. Katrin Klinge gestellt hat. Die Westeröderin hat kurz vor Weihnachten, in den Tagen, an denen es besonders kalt war, einen Kuhreiher an ihrem Schafstall gefunden.

Kaum zu glauben, dass der Reiher aus den fernen Landen nicht gewusst hat, wo er hinfliegt: Am offenen Schafstall der Familie Klinge hat sich der entkräftet wirkende Vogel eine windgeschützte Stelle ausgesucht. Bei den Schafen fand er Gesellschaft bei Vierbeinern, das mögen Kuhreiher.

Ziemlich sicher ist, dass der Vogel schlau sein muss. Mit Katrin Klinge hat er sich eine Biologin als Gastmutter ausgesucht, die für den Landkreis als Kreisnaturschutzbeauftragte für Ornithologie tätig ist und über Fachkenntnisse aus der Vogelwelt verfügt. Dennoch gehört der Exot mit den schneeweißen Federn, dem markanten Schnabel und der typisch reiherhaft-geduckten Gestalt nicht zu den Vögeln, mit denen sie vertraut ist. Sie hielt den Zugeflogenen für einen „Gefangenschaftsflüchtling“, wie sie sagt: Sie nahm also an, er sei irgendwo ausgebüxt und suche nun bei ihren Schafen, die jederzeit aus dem Stall laufen können, nach Gemeinschaft.

Katrin Klinge sagt: „Ich fand ihn morgens um 7 Uhr, er muss über Nacht gekommen sein.“ Weil es extrem kalt war, sorgte sie sich um das Tier. Sie trieb den Vogel morgens vorsichtig in den Schafstall, nahm ihn in ihre Hände und setzte ihn in einen passenden Karton, davon hat sie als Ornithologin immer einen kleinen Vorrat.

Ein weiter Weg

Der Karton musste nicht besonders geräumig sein. Kuhreiher sind deutlich kleiner als heimische Grau- und Silberreiher, die auch im Harz leben. Die kleinen Verwandten sind nur krähengroß. Wer Tiersendungen im Fernsehen schaut, hat die Vögel vermutlich schon gesehen. Sie sitzen, wie bestellt, höchst dekorativ auf den Rücken von Büffeln und anderen großen Vierbeinern.

Der Kuhreiher, so heißt es auf der Internetseite „Vögel in Deutschland“, sucht die Nähe weidender Tiere, vor allem von Rindern – daher rührt der Name. Die Mini-Reiher ernähren sich vorwiegend von Insekten, die von Weidetieren aufgescheucht werden, heißt es dort weiter. Von Afrika ist es ein weiter Weg zum Schafstall nachWesterode. Katrin Klinge wandte sich an den erfahrenen Ornithologen Paul Kunze aus Wiedelah und brachte ihm den kleinen Reiher. Der hatte das Tier ebenfalls rasch bestimmt und benachrichtigte Sandra Raba, die in Münchehof ehrenamtlich verletzte und verwaiste Wildtiere aufnimmt und aufpäppelt.

Raba taufte den Vogel auf den Namen Paul, weil Ornithologe Kunze ihn vermittelt hatte. Dann nahm sie Kontakt zum Zoo Hannover auf. Der nahm das Findeltier in Quarantäne, bald verstärkt es die Afrika-Kolonie im Zoo.

Alle Freiheiten

Im Zoo leben in der Afrika-Abteilung neben den bekannten Vierbeinern schon rund 40 Kuhreiher. „Die Vögel“, sagt Sandra Raba, „können sich frei bewegen.“ Damit ist gemeint, dass sie auch ins Stadtgebiet fliegen können. „Die meisten kommen zurück“, wie Raba aus Gesprächen mit Zoo-Beschäftigten erfahren hat. Wer sich im Internet durch die Tierwelt des Zoos in Hannover klickt, findet auch Kuhreiher und erfährt über sie, dass sie bis zu23 Jahre alt werden können.

Bruten in Österreich

Bevor Reiher Paul in den Zoo durfte, wurde er auf Vogelgrippe untersucht. Zudem prüften die Tierpfleger, ob er einen Chip unter seinem Federkleid trägt, der etwas über seine Herkunft verrät, vielleicht stammt er ja aus einem Zoo oder Tierpark. Das Tier ist gesund – und ohne Chip-Kennung. So darf vermutet werden, dass Paul ein Zugvogel ist. Sandra Raba aus Münchehof hat recherchiert und fand heraus, dass einige Kuhreiher sich im Zuge des Klimawandels mittlerweile auch in Deutschland aufhalten. Ornithologen aus Göttingen hätten im Sommer beispielsweise zwei Vögel im Raum Northeim gesichtet. Wer weiter im Internet sucht, findet auch einen Bericht über einen Kuhreiher, der in Hamburg gesehen wurde. Die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ berichtete im Sommer sogar, Kuhreiher hätten den Unteren Inn als Brutgebiet entdeckt.

Aber im Winter, wenn Insekten und auch kleine Fische schwer zu finden sind, gibt es für Kuhreiher in Norddeutschland Probleme, erklärt Ornithologe Kunze. Vielleicht ist Reiher Paul ein zugereister Sommerbesucher der, vom Winter überrascht, in seiner Not bei Schafen in Westerode Gesellschaft suchte. Mal sehen, ob der Wandervogel im Zoo Hannover bleibt oder ob er im Sommer weiterzieht.

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