Clausthaler Messer-Angriff: Opfer sagt vor Gericht aus

An der Marktkirche wird der Beschuldigte von der Polizei gefasst. Archivfoto: Neuendorf
Im Clausthaler Messerstecher-Prozess bringt die Aussage des Geschädigten neue Details ans Licht. Er berichtet von bizarren Verhaltensveränderungen bei dem Beschuldigten. Die Staatsanwaltschaft geht inzwischen von einem versuchten Mord aus.
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Clausthal-Zellerfeld/Braunschweig. Der letzte Tag der Beweisaufnahme im Sicherungsverfahren gegen einen 22-jährigen Iraner, der im August vergangenen Jahres einen Mitbewohner in Clausthal-Zellerfeld mit einem Messer lebensgefährlich verletzte, brachte weitere Details ans Licht, bevor der 1. Staatsanwalt Ulrich Weiland sein Plädoyer vortrug.
Dass dieses mit dem Antrag auf dauerhafte Unterbringung des Beschuldigten in der Psychiatrie endete, war keine Überraschung, handelte es sich doch bei diesem Prozess vor dem Landgericht Braunschweig um ein Sicherungsverfahren. Dem Beschuldigten fehlte nach erster Einschätzung die Einsichtsfähigkeit, Unrecht zu begehen. An diesem Tag bestätigte ein Sachverständiger die Schuldunfähigkeit.
Die Zeugenaussage offenbarte Erschreckendes über die Tat. Das Opfer, ein 25-jähriger Medizinstudent, berichtete, dass der Beschuldigte in der Zeit vor der Tat eine deutliche Wesensveränderung gezeigt habe. Er habe kaum geschlafen, sich seltsam verhalten und viel gebetet.

Am vierten Verhandlungstag spricht der Geschädigte. Der Beschuldigte ist in Begleitung seines Anwalts und seiner Dolmetscherin. Foto: Klengel
Beschuldigter wollte mit Säbel in den Supermarkt
Zwei Wochen vor der Tat habe er mit einem Säbel in den Supermarkt gehen wollen. Die Waffe wurde später von Ermittlern in der Wohnung des Beschuldigten gefunden. Der Geschädigte konnte dem 22-Jährigen dieses Vorhaben ausreden. Er schilderte auch, wie der 22-Jährige kurz vor der Tat im Hinterhof auf einen leeren Stuhl eingeredet habe. Dabei hätte er sich ein Hemd um den Kopf geschlungen. Der imaginären Person auf dem Stuhl, die er mit dem Vornamen des Geschädigten ansprach, verkündete er, dass er sie enthaupten müsse. Dennoch rechnete das Opfer nicht damit, angegriffen zu werden. „Wir waren doch Freunde“, sagte er.
Gericht und Staatsanwalt hörten genau hin, als der Geschädigte erzählte, er habe dösend im Bett gelegen, als der Beschuldigte das erste Mal zustach. Denn dieses Vorgehen erfüllt das Mordmerkmal der Heimtücke. Dementsprechend änderte der Staatsanwalt seinen Antrag von versuchtem Totschlag auf versuchten Mord ab. Andreas Zott, Verteidiger des 22-Jährigen, hielt dagegen. Ein Mann wie der Beschuldigte, der nicht wisse, was er tue, könne auch nicht heimtückisch handeln. Bei ihm blieb es bei einem versuchten Totschlag.
Sachverständiger: Tat erinnere an rituelle Tötung
Die Art des ersten Zustechens, das Messer mit beiden Händen gepackt in Richtung des Herzens gestoßen, erinnere an eine rituelle Tötung, so Ulrich Weiland. Zu den grausigen Szenen, die sich danach draußen auf der Silberstraße abspielten, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer: „Das war wie in einem Horrorfilm.“
Das Verhalten des 22-Jährigen spreche für eine psychotische Dekompensation, so Dr. Christian Riedemann, Chefarzt des Maßregelvollzugszentrums Niedersachsen. Der Sachverständige bescheinigte dem Beschuldigten eine paranoide Schizophrenie und sprach sich für die dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie aus. Der 22-Jährige habe während der Tat den Kontakt zur Realität verloren, so der forensische Psychologe. Im Moment sei er zwar medikamentös eingestellt, doch fehle ihm die Einsicht, krank zu sein. Der 22-Jährige sei noch immer der Meinung, Königsblut in sich zu tragen. Seinen Mitbewohner habe er töten wollen, weil der seinen Bruder, in seiner Wahrnehmung auch ein König des Iran, habe umbringen wollen.
Geschädigter hat bei Aussage zu kämpfen
Während der Geschädigte sein Martyrium während und nach der Tat mit leiser Stimme schilderte, saß der Beschuldigte mit verschränkten Armen da und fixierte den Opferzeugen. Ihm gehe jegliche Empathie für sein Opfer ab, erklärte der Psychologe. Der Geschädigte, der als Nebenkläger auftrat, hatte bei seiner Aussage sichtlich zu kämpfen. Die Narben in seinem Gesicht bildeten einen drastischen Gegensatz zu dem sehr gepflegten Auftreten in Anzug und Krawatte. 30.000 Euro habe ihn die ärztliche Behandlung gekostet, sagte der ebenfalls aus dem Iran stammende Mann. Bisher sei er nicht in der Lage, sein Studium fortzusetzen.