Churchwalk in Goslar: Mit fünf Konzerten durch die Nacht

Zauberhaftes Klingeln und Läuten: Zum Pfingstsamstag gibt es in der Neuwerk-Kirche sogar ein Weihnachtslied vom Seesener Handglockenchor. Fotos: Zietz/Hartmann
Goslars musikalische Pfingsttradition, der Churchwalk, lebt wieder auf: Nach der Corona-Pause und der abgespeckten Version im Vorjahr konnten wieder rund 600 Musikfans von Kirche zu Kirche wandern und Konzerte unterschiedlicher Stilrichtungen hören.
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Goslar. „Woran scheiden sich die Geister?“ Das Motto des ökumenischen Pfingstwochenendes stammt von Gerald de Vries. Der Landeskirchenmusikdirektor hatte es auf den Churchwalk bezogen, bei dem in den vergangenen Jahren immer mal wieder die eine oder andere ungewöhnliche Gruppe für Stirnrunzeln gesorgt hatte. Auch diesmal gab es ein so weit gefächertes, stimmenreiches Programm, das gar nicht erst versuchte, eine Einheit künstlich herbeizuspielen. Dissonant wird diese Vielfalt jedoch kaum jemand unter den weit über 600 Teilnehmern nennen. An der Musik schieden sich die Geister jedenfalls nicht.
Über 500 Besucher drängten sich zum Auftakt in der Marktkirche, und Pfarrer Ralph Beims stellte fest, „dass es uns gut tut, wieder so nahe zusammen zu sein“. Was folgte, war eine musikalische Weltreise, für die das fünfköpfige Ensemble „The String Company“ einen weiten Bogen aus Weltmusik und Klezmer gespannt hatte. Vom Balkan mit dem „Makedonsko devojce“ ging es bis zum goldenen Jerusalem.

Sigrun Krüger und Ulli Kiehm swingen als Duo „Zuckerhut“ in St. Stephani. Fotos: Zietz/Hartmann
Auf ein eigenes eher sanftes deutschsprachiges Lied über das Gefühl, einem Kind Halt zu geben, folgte ein sehr temperamentvolles spanisches Stück, in der eine flügge gewordene Tochter mit ihrer Mutter spricht. Ein kleines Erfurter Geheimnis aus dem jüdischen Schatz der Stadt fand ebenfalls Eingang ins Konzert: Lange Zeit gab ein silberner Gegenstand den Erfurtern Rätsel auf, bis endlich eine Wissenschaftlerin herausfand, dass es ein silberner Stimmschlüssel für eine Harfe war. „Wer nur, wer warst du, wofür lebtest du?“ besang die Gruppe das seltsame Artefakt.
Das vollkommene Kontrastprogramm erlebten die Churchwalker nach einer Wanderung hinauf zur Frankenberger Kirche. Japanische Obertöne tief aus ungewohnten Abgründen der menschlichen Kehle, exotische Schwingungen von den Saiten der Koto oder von den Tasten der Osmose hervorgerufen, erschufen vor dem zartlila illuminierten Altar eine ganz eigene Atmosphäre. Manch einer dachte an Sphärenklänge und elbische Welten. Die Filmmusiken, die das Duo „Invert“ zu Gehör brachte, dürften allerdings die wenigsten mit eigenen Kinoerfahrungen verbunden haben.

Japanische Musik mit dem Saiteninstrument Koto in der Frankenberger Kirche. Fotos: Zietz/Hartmann
Seesener Handglockenzauber
Märchenzauber und die Magie von Spieluhren und glöckchenbesetzten Rentierschlittengeschirren beschwor der Seesener Handglockenchor in der Neuwerkkirche herauf. Die elf Musiker, von denen jeder zwei Glocken bedient, üben eine in Deutschland seltene Kunst aus. Sie sind einer von nur zwei Handglockenchören in Niedersachsen, wie Chorleiter Andreas Pasemann verriet.
Vom hellen, feinen Klingeln bis zum kräftigen Läuten der großen Bronzeglocken und zum lang nachhallenden, beinahe an Orgeltöne erinnernden Klang der „Chimes“ spannten die Seesener ihren vollen Tonumfang von vier Oktaven im Gotteshaus aus, spielten eigens für Handglocken verfasste Lieder amerikanischer Komponisten, aber auch bekannte Kirchenlieder und, auch wenn es nicht ganz zur Jahreszeit passte, ein Weihnachtslied mit glockenklarem Titel. Die Seesener waren die einzige der fünf Formationen, die bereits zum zweiten Mal zum Churchwalk eingeladen waren. Auch der zweite Zauber wirkte.

„Mit der Stimme von Pablo Casals“: Cellist Roger Morelló in St. Jakobi. Fotos: Zietz/Hartmann
Neckend, fröhlich und beswingt sorgte das Duo „Zuckerhut“ in St. Stephani für gute Laune. Sigrun Krüger und Ulli Kiem nahmen die Gäste mit nach Brasilien, erzählten mit Saxofon, Klarinette und Gitarre von „Kokosnussmarmelade“ und „Zuckerhut-Stil“, und den Samba oder Chachacha hätte vermutlich jeder gern mitgetanzt, wenn er nur in der Tanzschule besser aufgepasst hätte. Mit deutschen Schlagern aus den 1920ern begeisterte das Duo sein Publikum, und schließlich beim „Bei mir bist du shein“ klatschte und jubelte alles mit.
Katalanische Hommage
Stiller, intimer und getragen von einer großen persönlichen Liebe geleitete schließlich Cellist Roger Morelló seine Zuhörer durch die Nacht. In St. Jakobi erzählte er von Pablo Casals, dem er mit seinen Bogenstrichen ein Denkmal errichtete. Casals, dessen Todestag sich dieses Jahr zum 50. Mal jährt, gilt als bedeutendster katalanischer Musiker und wurde in der Nähe von Morellós Heimatstadt geboren.

Goldenes Jerusalem und ein silberner Harfenschlüssel: „The String Company“. Fotos: Zietz/Hartmann
Doch Morelló fühlt sich dem bedeutenden Dirigenten und Komponisten nicht nur aufgrund der geografischen Nähe verbunden, vor allem feierte er ihn als großen Humanisten und als Gegner jedes Totalitarismus. Bach und katalanische Volkslieder, ein Lied über Vögel, das Casals als Zeichen des Friedens spielte, aber auch Kompositionen späterer Künstler zu seinen Ehren erklangen im Kirchenschiff.
„Heute werden Sie sagen können, dass Sie die katalanische Kultur ein bisschen erlebt haben“, sagte Morelló und versprach nicht zu viel. Wer am Ende des Konzerts gegen Mitternacht die Kirche verließ, hatte in der Tat viel Katalanisches erlebt und einen großen Künstler kennengelernt.