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4000 bei Kundgebung in Goslar

Auf dem Marktplatz rücken sie alle zusammen

„Nie wieder ist jetzt“: Diese zentrale Botschaft stellen bei der Kundgebung am 27. Januar nicht nur mehrere Redner ans Ende ihrer Beiträge. Der Satz ist auch wiederholt auf Bannern und Plakaten in der Marktplatz-Menschenmenge vor dem Rathaus zu entdecken. Archivfoto: Epping

„Nie wieder ist jetzt“: Diese zentrale Botschaft stellen bei der Kundgebung am 27. Januar nicht nur mehrere Redner ans Ende ihrer Beiträge. Der Satz ist auch wiederholt auf Bannern und Plakaten in der Marktplatz-Menschenmenge vor dem Rathaus zu entdecken. Archivfoto: Epping

Dem Aufruf zur Kundgebung „Demokratie verteidigen – AfD stoppen“ folgten Alt und Jung, Lehrerinnen und Schüler, Kirchenfrauen und Kneipengänger, Politiker und Parteilose, Supersportler und Gehbehinderte. Die Reden vom Marktplatz im Überblick.

Von Frank Heine Samstag, 27.01.2024, 17:40 Uhr

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Wer war am Samstag eigentlich nicht auf dem Goslarer Marktplatz? Als das Bündnis gegen Rechtsextremismus für High Noon zur Kundgebung „Demokratie verteidigen – AfD stoppen“ aufgerufen hatte, blickt Organisator Michael Ohse vom Redner-Wagen auf eine allenfalls erträumte, aber doch nicht für möglich gehaltene Kulisse herab. Dort trafen sich Alt und Jung, Lehrerinnen und Schüler, Kirchenfrauen und Kneipengänger, Schwarzgewandete und Grellgeschminkte, Politiker und Parteilose, Supersportler und Gehbehinderte.

 Carl Schierarndt zählte in der Spitze bis zu 4000 Menschen, die bei Sonnenschein, aber auch kalten fünf Grad Celsius im Schatten ausharrten. Der Einsatzleiter der Polizei sprach am Ende von einem harmonisch und entspannten Verlauf. „Darauf können wir stolz sein“, sagte Ohse und meinte nicht nur die Masse, sondern auch das Auftreten der Teilnehmer. 45 Ordner, darunter etliche Ratsvertreter, konnten sich im Grunde auf das Sammeln von Spenden konzentrieren. Eine Kundgebung kostet, Demokratie ist eben nicht nur lieb, sondern auch teuer. Am Ende kamen 3954,04 Euro zusammen.

Auch vor den verschlossenen Türen der „Kaiserworth“ stehen die Menschen dicht an dicht und haben aufgeschrieben, was ihnen politisch wichtig ist.

Auch vor den verschlossenen Türen der „Kaiserworth“ stehen die Menschen dicht an dicht und haben aufgeschrieben, was ihnen politisch wichtig ist.

„Die Galle kocht hoch“

Der jüngst erst protesterfahrene Jerstedter Bauer und FDP-Redner Christian Rehse hatte den Bühnen-Anhänger mit einem Traktor vors „Schiefer“ gezogen. „Landwirtschaft ist bunt, nicht braun“, kündeten Aufkleber. Wer kam, handelte aus tiefer Überzeugung, wenn er nicht gerade zu den ganz wenigen Spionen der anderen Seite zählte. „Ich will meine Meinung kundtun und der Gesellschaft zeigen, dass wir mehr sind und nicht die, die am lautesten schreien“, sagte etwa Elke Kausch aus Bad Harzburg. Sie war mit Ulrike und Dirk Becker sowie Elke Schimmelpfenning aus Goslar da, um „gegen Geschichtsvergessenheit, Dummheit und Intoleranz“ zu protestieren. Denn: „Mir kocht die Galle hoch.“

„Lieber kunterbunt als kackebraun “ oder „Es ist 5 vor 33“: Plakate künden davon, was den Protestierenden durch den Kopf geht.

„Lieber kunterbunt als kackebraun “ oder „Es ist 5 vor 33“: Plakate künden davon, was den Protestierenden durch den Kopf geht.

Beredte Botschaften prangten auf hochgehaltenen Plakaten. „Es ist 5 vor 33“, „Wer Nazis wählt, wird zum Nazi“, „Toleranz erfordert einen gewissen Mindest-IQ“ oder „Demokratie statt brauner Hetze“. Letzte Zeile verkündete die Goslarer CDU zum Fuß der Bühne. Zuletzt hatten sich die Christdemokraten in Braunschweig zu gleichem Anlass noch verschnupft über Einlademodalitäten gezeigt. Jetzt war aus der Löwenstadt der Bundestagsabgeordnete Carsten Müller angereist, der das „großartige Bild der Menschen auf dem Goslarer Marktplatz“ pries. In Sachen Parteienfinanzierung hat er eine klare Meinung: „Den Feinden der Demokratie darf man nicht noch das Werkzeug bezahlen, damit sie deren Fundament zerstören.“

Der Marktbrunnen-Adler thront über den Köpfen der Kundgebungsteilnehmer.

Der Marktbrunnen-Adler thront über den Köpfen der Kundgebungsteilnehmer.

Nach Bündnis-Sprecherin Christiane Dahncke sowie Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner und Landrat Dr.Alexander Saipa hatte in ausgeloster Reihenfolge zunächst der in Syrien geborene Oberharzer Ali Abo-Hamoud erklärt, er kenne sehr genau den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie. Sein neues Zuhause Deutschland könne ihm die AfD nicht wegnehmen. Der Liberale Rehse nahm sich Hass und Hetze im Netz vor. Bei allen Algorithmen, KI und in den sozialen Medien müsse man sehr genau hinschauen, um zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Das Europa der offenen Grenzen und sozialer Mindeststandards pries Uwe Schmidt-Klie für den Pulse of Europe. Erschreckend, dass „alte Nationalstaatsstrategien“ wieder Raum gewännen. Am 9. Juni ist Europawahl.

Putin und das Polonium

Für eine Pause mit Musik sorgte Peter Kerlin. Der Goslarer textete das alte Protest-Lied „Wehrt euch, leistet Widerstand“ gegen Faschismus und zur politischen Farbenlehre um. Was ist bloß los, wenn Menschen auf Typen wie Russen-Autokrat Putin hereinfielen? Propst Thomas Gunkel wusste sicher, dass in Deutschland „niemand einem andern eine Portion Polonium in den Tee kippt“, um ihn loszuwerden, und wunderte sich über Menschen, die behaupten, sie dürften ihre Meinung nicht sagen, und indem sie es tun, genau das Gegenteil bewiesen.

Junge Köpfe, klare Meinung.

Junge Köpfe, klare Meinung.

Für die Harzer Arbeiterwohlfahrt versprach Geschäftsführerin Tjorven Maack: „Wir rücken keinen Millimeter nach rechts.“ Pippa Schneider sah auf die AfD und sprach von „konkreter und tödlicher Gefahr für viele marginalisierten Gruppen“. Die Grünen-Landtagsabgeordnete verortete dies auch im Niedersachsen-Zweig der Partei: „Sie verteidigen Höcke und marschieren mit ihm.“ Für die Gewerkschaften legte Susanne Ohse nach: „Björn Höcke oder Alice Weidel – die nehmen sich beide nichts.“ Und die Harzer SPD-Chefin Annett Eine fragte leidenschaftlich rhetorisch: „Die wollen unser Land retten? Dann gute Nacht.“ Denn: „Wir wollen Frieden und nie wieder braunen Schmutz in unserem Land.“

Geflüchtete als Schatz

Den will auch Uta Liebau nicht. Für den Verein Leben in der Fremde mahnte sie, Geflüchtete in Deutschland weiter zu integrieren und nicht Erzählungen zu glauben, dass diese Menschen nur auf Bürgergeld aus seien. Im Gegenteil: „Die Mehrheit der Geflüchteten zahlt Steuern und bereichert unser Leben.“ Was bleibt einem erfahrenen Kommunalpolitiker wie dem Linken Rüdiger Wohltmann da noch zu sagen? Eins noch: „Lasst uns die braune Brut wieder dahin zurückdrängen, wo sie hingehört: in die Bedeutungslosigkeit.“

Am Samstag soll eine Demonstration gegen Rechtsextremismus in Clausthal-Zellerfeld stattfinden – so wie vor zwei Wochen in Goslar. Archivfoto: Epping

Am Samstag soll eine Demonstration gegen Rechtsextremismus in Clausthal-Zellerfeld stattfinden – so wie vor zwei Wochen in Goslar. Archivfoto: Epping

Thomas Mogge ließ die Menge schmunzeln. „Gott hat gewollt, dass ich mein Manuskript auf der Fahrradfahrt hierher verliere.“ Der leitende Pfarrer der katholischen Kirche Nordharz unterstrich, dass sich Menschenwürde nicht relativieren lasse. Was Kara-Arietta Lissy für den Verein Goslar Queer sicherlich ebenso sieht. Als Geschichtslehrerin wollte sie nie wieder erleben, wie die „Schatten der Vergangenheit aufziehen“, und wusste ein Lied zu singen über die „Gefahren des Schweigens“. Die Reaktion könnten nur Auftritte wie jener am Samstag auf dem Goslarer Marktplatz sein – am liebsten aber „an jedem verdammten Tag“.

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