Aschersleben will touristisch aufholen

Das Zentrum von Aschersleben ist von vielen Bauten des Architekten und Stadtplaners Hans Heckner (1878 bis 1949) geprägt. Sein Stil wird dem süddeutschen Neobarock zugeschrieben. Foto: Stade
Quedlinburg hat Lyonel Feininger, Aschersleben Neo Rauch und in Halle gibt es ohnehin viel Kunst zu sehen, zugleich verfügt die Stadt über einen Kunst-Geheimtipp: Bei einer Pressereise durch die Städte warb Sachsen-Anhalt für seine Kulturschätze.
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Harz/Halle. Als verbrieft gilt, dass Aschersleben die älteste Stadt in Sachsen-Anhalt ist, 748 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt. Nicht verbrieft, aber hin und wieder erzählt wird, Aschersleben sei die hässlichste Stadt Sachsen-Anhalts. Viele Menschen hätten das jedenfalls lange geglaubt. So steht es auf einem Infoblatt in einem Gebäudetrakt des Bildungszentrums im Bestehornpark, der überwiegend als Schule genutzt wird.
Das mit der hässlichen Stadt kann aber schon deswegen nicht stimmen, weil Aschersleben das Glück hatte, dass der aus Bayern stammende Architekt und Stadtplaner Hans Heckner von 1906 bis 1935 als Baurat in der Stadt wirkte. Seine Ideen und etliche seiner Gebäude, es sollen mehr als 100 sein, prägen das Stadtbild. Heckners Stil wird dem süddeutschen Neobarock zugeschrieben. An vielen Plätzen wirkt die Stadt zwar gemütlich-heimelig, doch der repräsentative Stil Heckners und der an einigen Stellen großzügige Entwurf der Stadt mit prächtigen Gebäuden und einer schönen Grünanlage in Innenstadtnähe verleihen ihr im Kontrast zum vielerorts vorherrschenden Harzer Fachwerk einen eigenen Charakter.
Sehenswerte Architektur
Einer, der von Aschersleben überzeugend schwärmt, ist Matthias Poeschel. Als Vorstand der Ascherslebener Kulturanstalt ist sein Enthusiasmus natürlich beruflich begründet. Aber als Ascherslebener wurde ihm die Begeisterung zugleich in die Wiege gelegt. Der 47-Jährige hat kürzlich mehrere Journalisten aus unterschiedlichen Ecken Deutschlands durch seine Heimatstadt und durch Quedlinburg und Halle geführt, im Auftrag der Investitions- und Marketinggesellschaft (IMG) des Landes Sachsen-Anhalt. Poeschel und die IMG, deren Aufgabe die Wirtschaftsförderung ist, nahmen die Journalisten mit auf eine dreitägige Kunstsafari.

Ein Blickfang: Der Hennebrunnen auf dem Marktplatz von Aschersleben. Foto: Michael Bartholomaeus
In Aschersleben herrscht zwar weniger touristischer Trubel als in Wernigerode und Quedlinburg oder Goslar, aber nicht nur das architektonische Erbe ist sehenswert. So sind in der Stadt viele Arbeiten von Künstlern zu sehen. Und spätestens seit der international renommierte Leipziger Künstler Neo Rauch seine Heimatstadt wiederentdeckt und offenbar auch wieder schätzen gelernt hat, befindet sich die 27.000-Einwohner-Stadt für Kunstreisende auf der Landkarte lohnenswerter Ziele. Seit 2011 zeigt Rauch in der nach ihm benannten Grafikstiftung im Bestehornpark sein grafisches Werk und weitere Arbeiten. Derzeit präsentiert die Galerie Kostüme und Bühnenbilder Rauchs sowie seiner Frau Rosa Loy, die beide für die Bayreuther Festspiele 2018 angefertigt haben.
Zahlen verdoppelt
Als Wendepunkt bezeichnet der Aschersleben-Schwärmer Poeschel das Jahr 2010 für seine Stadt. Landesgartenschau und Internationale Bauausstellung ermöglichten vieles: Die Herrenbreite, eine sieben Hektar große historische Grünanlage in Innenstadtnähe, wurde wiederhergestellt und mit Kunstwerken im Wortsinn aufgemöbelt. Ein Jahr später entstand auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik Bestehorn das „Bildungszentrum Bestehornpark“.
Die Übernachtungszahlen sollten nach der Landesgartenschau verdoppelt werden, das gelang sogar. Aber, man muss es so sagen, auf einem niedrigen Niveau. 2009, ein Jahr vor Landesgartenschau zählte die Stadt 17.867 Übernachtungen, 2022 waren es 40.050 und ein Jahr später mit 39.386 wieder etwas weniger. Die Welterbestadt Quedlinburg mit ihren 24.000 Einwohnern kommt auf etwa 450.000 Übernachtungen, Braunlage sogar auf 1,4 Millionen.

Ein Geheimtipp: Skulpturen mehrerer Künstler überraschen die Besucher im Berggarten der Hallenser "Kunsthalle Talstraße". Foto: Stade
Über Quedlinburg muss ohnehin nicht viel gesagt werden. Mit ihren 2000 Fachwerkhäusern, dem Stiftsberg, der umfangreich saniert wird und bis 2025 neu gestaltet sein soll, verfügt die Stadt über ein bilderbuchschönes Zentrum. Dazu kommt ein eigenes Flair. Quedlinburg ist Spielstätte des Nordharzer Städtebundtheaters (heute Harztheater). Die Einrichtung beschäftigt Schauspieler, Balletttänzer und Musiker. In der Stadt lebt daher eine bunte kreativ-künstlerische Szene. Viele der idyllischen Ecken, auch auf dem historischen Münzenberg mit seinen engen Gassen, muten südfranzösisch an. Oder vielleicht sogar italienisch? Oberbürgermeister Frank Ruch schwärmte vor der Presserunde von der „höchsten Kaffeehausdichte nördlich von Mailand“.
Feininger und Rauch
Wer über Kunst in Quedlinburg spricht, darf das Lyonel-Feininger-Museum nicht vergessen. Dass die Stadt über das einzige Museum verfügt, das dem Werk des großen Bauhausmeisters gewidmet ist, verdankt sie wie Aschersleben mit Neo Rauch einem biografischen Zufall: Feininger, dessen Werk die Nazis als „entartet“ brandmarkten und der 1937 in die USA auswanderte, übergab viele seiner Arbeiten seinem Freund Hermann Klumpp, beide hatten sich an der Kunstschule am Bauhaus kennengelernt. Und weil Klumpp aus Quedlinburg stammt, gelangten die Feininger-Werke in die Stadt am Harz. Neo Rauch ist eigentlich Leipziger, aber als seine Eltern in der DDR bei einem Eisenbahnunglück starben, kam er im Alter von vier Wochen zu seinen Großeltern und wuchs in Aschersleben auf.
Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei in Magdeburg und Kulturminister, sagte während der Pressereise bei einem Treffen in Quedlinburg, Sachsen-Anhalt sei das Land mit den dritthöchsten Kulturausgaben pro Kopf. Das ist nicht nur in Quedlinburg zu spüren, sondern ebenso in Halle, der Stadt, die zwar weniger glänzt als Leipzig, aber unter anderem dank der Kunsthochschule Burg Giebichenstein über ein ungemein vielfältiges Kulturangebot und engagierte Künstler verfügt – wie Quedlinburg in Großformat.
Natürlich ist das Kunstmuseum Moritzburg sehenswert, das ein Sammelsurium der Epochen beherbergt: Dazu gehören unter anderem sakrale Kunst, Gemälde, Plastiken und Kunsthandwerk aus der Zeit vom 16. bis 19. Jahrhundert, Arbeiten ostdeutscher Maler – und in einem eigenen Raum, gleichsam als ein Debattenbeitrag, Kunst, die im Dritten Reich genehm war. Die klassische Moderne weist Lücken auf, weil Bilder, die als „entartete Kunst“ galten, während der Nazi-Diktatur weggegeben wurden. Museumsdirektor Thomas Bauer-Friedrich versucht diese Wunde durch An- beziehungsweise Rückkäufe zu schließen. Einen festen Etat dafür hat er nicht zur Verfügung. Die Summen müssen von ihm jedes Mal mit Hilfe von Geldgebern zusammengebracht werden.
Geheimtipp in Halle
Zu den Glanzstücken der Sammlung im Kunstmuseum Moritzburg gehört das Bildnis Marie Henneberg von Gustav Klimt, eine der wenigen Arbeiten des Österreichers in deutschen Museen. Aus Sorge um Attacken von Klimaaktivisten der „Neuen Generation“ wurde das Werk mit einer Glasscheibe geschützt. Ein Geheimtipp selbst für Halle-Fans, die die Stadt regelmäßig besuchen, ist die Kunsthalle „Talstrasse“, 1991 von Absolventen der Burg Giebichenstein gegründet. Das Haus in einem Villenviertel wird von einem Verein getragen. Die Kunsthalle ist nicht nur Ausstellungsort, sondern außerdem ein Künstlertreffpunkt mit Lesungen und Konzerten in einem wildromantischen Berggarten mit etlichen zauberhaften Skulpturen.
Zu erzählen wäre vor allem auch die Geschichte des Vereinsvorsitzenden und Kunsthallen-Leiters sowie Giebichenstein-Absolventen Matthias Rataiczyk, der das Haus, in dem er aufwuchs und in dem er mit seiner Mutter wohnt, mit Herzblut führt und als Kulturperle pflegt. Noch bis zum 3. November läuft die Ausstellung „Sehnsucht – Romantik“, eine epochenübergreifende Schau, die unter anderem viele Bilder von Landschaftsmalern zeigt, die im 19. Jahrhundert im Harz unterwegs waren. Unter den Werken sind viele Leihgaben aus dem Kunstgussmuseum Ilsenburg und der Sammlung Schloss Wernigerode. Thematisch würden allerdings auch Werke Neo Rauchs in die Ausstellung passen. Immer wieder sind in seinen Arbeiten Landschaften aus dem Harz zu sehen. Ein Bild, das auf eine frühere Ausstellung in der Grafik-Stiftung in Aschersleben hinweist, heißt sogar „Heimkehr“. So hätte auch Neo Rauch aus Aschersleben einen Platz neben den romantischen Harz-Malern finden können, die derzeit in Halle zu sehen sind.