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Jahresrückblick 2021: Goslar

Oberbürgermeisterwahl in Goslar: Schwerdtners Triumph – mit Fragezeichen behaftet

Die Goslarer SPD feiert im Konfetti-Regen, denn nach der genau einen Tag vor ihrem 58. Geburtstag mit Abstand gewonnenen Stichwahl ist klar: Amtsrichterin Urte Schwerdtner (SPD) wird neue Oberbürgermeisterin und löst im Januar 2022 den CDU-Amtsinhaber Dr.Oliver Junk an der Spitze der Stadtverwaltung ab.  Archivfoto: Epping

Die Goslarer SPD feiert im Konfetti-Regen, denn nach der genau einen Tag vor ihrem 58. Geburtstag mit Abstand gewonnenen Stichwahl ist klar: Amtsrichterin Urte Schwerdtner (SPD) wird neue Oberbürgermeisterin und löst im Januar 2022 den CDU-Amtsinhaber Dr.Oliver Junk an der Spitze der Stadtverwaltung ab. Archivfoto: Epping

Die Goslarer Oberbürgermeisterwahl war für einige Überraschungen gut: Erst gewann Herausforderin Urte Schwerdtner in zwei Wahlgängen deutlich gegen Amtsinhaber Oliver Junk. Dann stellte sich auch noch heraus, dass ihre Amtszeit deutlich länger als ursprünglich gedacht sein würde - ein Nachspiel, das die POlitik auch noch am jahresende beschäftigt.

Montag, 27.12.2021, 14:40 Uhr

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Ein Possenstück mit einem nach wie vor kniffligen juristischen Nachspiel: Da siegt die Berufsrichterin und SPD-Herausforderin Urte Schwerdtner in zwei Wahlgängen mit ungeahntem Vorsprung vor dem Amtsinhaber und Volljuristen Dr. Oliver Junk (CDU). Und nur wenige Tage später kommt heraus, dass die gebürtige Goslarerin – just am Tag nach ihrem großen Triumph 58 Jahre alt geworden – nicht nur bis Ende Oktober 2026, sondern sogar noch fünf Jahre länger zur Oberbürgermeisterin ihrer Heimatstadt gewählt ist.

Wie das funktioniert, fragen sich eigentlich immer noch Politiker, Verwaltungsmenschen und vor allem die Wähler. Auf jeden Fall gingen postwendend vier Einsprüche gegen die Wahl ein, über die der Rat nach langen Diskussionen und ausführlicher Experten-Hörung drei Tage vor Heiligabend zu befinden hatte. Eine Verlängerung vor dem Verwaltungsgericht ist nicht ausgeschlossen.

Aber zurück zu den beiden Wahltagen am 12.und 26. September: Fast sensationell war SPD-Fraktionsvorsitzende Schwerdtner schon im ersten Wahlgang mit 49,3 Prozent nur knapp am Durchmarsch gescheitert. Ein vorher so siegessicherer Oberbürgermeister Junk, der keinen PlanB in der Schublade für ein Leben ohne Verwaltungschefsessel hatte, kam auf nur 32,2 Prozent. Im zweiten Aufeinandertreffen – ohne die fünf anderen Kandidaten Holger Fenker (Grüne), Stephan Kahl (FDP), Michael Ohse (Linke), Henning Wehrmann (Bürgerliste) und den parteilosen Michael Lieblang – holte Schwerdtner sogar 62,78 Prozent. Ein fairer Verlierer Junk gratulierte schon eine halbe Stunde nach dem Schließen der Wahllokale, als die ersten Ergebnisse eingetrudelt waren.

War es der starke SPD-Bundestrend? Wollten die Goslarer erstmals eine Frau an der Spitze der Stadtverwaltung sehen? Und wie sehr hatten Junk Vorfälle geschadet, die sich vielleicht unter Pleiten, Pech und Pannen subsumieren lassen? Bereits Mitte Mai geriet Goslar in die überregionalen Schlagzeilen, als Junk die Internet-Seite seiner Kontrahentin gekapert hatte. Was als klamaukige Demonstration virtueller Überlegenheit geplant war, geriet jedenfalls zu einem Mega-Eigentor.

Nur wenig später wühlten SPD und FDP erneut am Kattenberg. Nicht die Explosion der Kosten war plötzlich Thema, sondern ein fehlendes Schreiben in der offiziellen Akte und ein vor der Politik geheim gehaltenes Investoren-Treffen. Die Kommunalaufsicht schaltete sich ein. Eine gute Woche vor der Stichwahl eröffnete das Innenministerium ein Disziplinarverfahren – Ausgang noch immer offen. Und zur Unzeit baute auch noch die Ehefrau des Oberbürgermeisters bei einer Privatfahrt einen Unfall mit dem städtischen Dienstwagen. Das Rechnungsprüfungsamt beantwortete FDP-Fragen und kam zu dem Schluss: So richtig erlaubt waren die Alleinfahrten der Gattin nicht.

Schwerdtner dagegen machte im Wahlkampf ihr Ding und keine entscheidenden Fehler. Selbst das Kneifen vor einer zweiten GZ-Podiumsrunde zur Stichwahl verziehen ihr die Goslarer großzügig. Sie konnte sich auf ein starkes Team verlassen, das in den Wochen und Monaten vor der Wahl eng zusammenstand und bei den meisten Entscheidungen strategisch richtig lag. Auch bei der Ratswahl siegten die Genossen mit 43 Prozent deutlich. Die CDU kam auf 25,6 Prozent. Junk, der selbst nicht für den Rat kandidierte, schien oftmals nicht mittendrin, sondern nur dabei zu sein – ein weiterer Fehler.

Skurril: Am Wochenende zwischen den beiden Wahlen zeichnete Junk das FDP-Urgestein Christian Rehse mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik aus. Der 75-jährige Jerstedter sitzt seit fast fünf Jahrzehnten im Rat und gilt als einer der härtesten Junk-Widersacher.

Premiere: Erstmals zog mit Sebastian Wirth ein Kandidat der Satire-Partei „Die Partei“ in den Rat ein. Mit drei Grünen und dem SPD-Überläufer Giovanni Graziano bildet er die Fraktion „Grüne Partei 42“.

Sensation: Mit dem Ohlhöfer Niklas Prause schaffte ein 18-jähriger Ratsgymnasiast als Einzelbewerber den Sprung ins Gremium. Seine 840 Stimmen knackte kein Grüner, kein Liberaler, kein Linker und niemand von der AfD oder der Bürgerliste. Das beste Einzelstimmen-Ergebnis mit herausragenden 9499 Stimmen hatte allerdings Schwerdtner – und sie zieht am 1.Januar als neue Oberbürgermeisterin ins Goslarer Rathaus ein – für wie lange auch immer ...

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Skurriler Termin am Wochenende zwischen den Wahlen: Oberbürgermeister Dr. Oliver Junk zeichnet Ratsrekordmann und Rivale Christian Rehse mit einem Orden aus.  Foto: Heine

Skurriler Termin am Wochenende zwischen den Wahlen: Oberbürgermeister Dr. Oliver Junk zeichnet Ratsrekordmann und Rivale Christian Rehse mit einem Orden aus. Foto: Heine

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