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Posttraumatische Belastungsstörung

Goslarer Männergruppe spricht über Panikattacken und Flashbacks

Angstzustände und Traumata: Ein Lichtstrahl oder ein Geruch reicht bereits, um Flashbacks auszulösen.  Symbolfoto: Pixabay

Angstzustände und Traumata: Ein Lichtstrahl oder ein Geruch reicht bereits, um Flashbacks auszulösen. Symbolfoto: Pixabay

Eine Goslarer Selbsthilfegruppe nur für Männer: Wer eine posttraumatische Belastungsstörung hat, wird oft von Panikattacken und Angsstörungen gepackt. Zusätzliche Probleme haben Männer, denn es gibt keine speziellen Therapiegruppen für sie.

Von Petra Hartmann Mittwoch, 09.08.2023, 18:00 Uhr

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Goslar. Eine ganz harmlose Szene: drei Fichten im Wind, Sonnenlicht. Und plötzlich sind die Bilder wieder da. Schüsse, Bomben, Schreie, Tote, Angst. Wenn der ehemalige Soldat über seine Flashbacks aus dem Kosovo spricht, wird seine Stimme ganz leise. Es sind kleine Dinge, die ihn wieder zurückschleudern in die furchtbare Zeit. Ein Geruch oder die Art, wie ein Lichtstrahl einfällt. Sicher kann er niemals sein, dass ihn die Bilder überfallen.

Der 47-Jährige hat eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), so der medizinische Ausdruck. Doch kein Mediziner kann beschreiben, durch welche Höllen die Erkrankten gehen, wenn ein Anfall sie packt. Bei männlichen Erkrankten kommt erschwerend hinzu: Während die Gesellschaft Frauen durchaus Angstzustände zugesteht, sind Angst- und Panikattacken bei Männern oft tabuisiert.

„Bevor sich ein Mann Hilfe sucht, muss es schon 5 vor 12 sein“, sagt Volker von Thenen. Er hat vor zehn Jahren in Goslar eine PTBS-Männergruppe unter dem Dach der Awo gegründet. Schon die Möglichkeit, mit anderen über die Krankheit reden zu können, hilft den Teilnehmern viel. „Hier muss ich nichts erklären“ beschreibt ein Gruppenmitglied die Situation. „Hier machen alle das Gleiche durch wie ich und wissen, wovon ich spreche.“

Missbrauch, Gewalterfahrung, Burnout und Krieg

Dabei sind die Ursachen durchaus unterschiedlich. Sexueller Missbrauch in der Kindheit, Gewalterfahrung, Belastungen im Beruf, der Druck, immer funktionieren zu müssen. Ein Burnout. Oder Einsätze der Bundeswehr in Kriegsgebieten. Traumatisierte Flüchtlinge sind bisher noch nicht in der Gruppe, aber von Thenen steht in telefonischem Kontakt mit zwei von ihnen, die Hilfe suchen. Und zwei ehemalige Soldaten gehören der Gruppe an, der eine war in Afghanistan, der andere im Kosovo eingesetzt.

„Wie ein Maikäfer auf dem Rücken“

„Ich war im Vertrieb beschäftigt“, erzählt einer der Männer. Bei ihm fing es mit Stress und zu hoher Arbeitsbelastung an. Dann kamen hoher Blutdruck und Herzprobleme hinzu. Schließlich Vorhofflimmern. „Dann lag ich wie ein Maikäfer auf dem Rücken. Burnout, lautete die erste Diagnose, aber die Angstzustände, das Trauma wurde er nie wieder los. Auch er erzählt von Flashbacks. Ein Geruch, ein Geräusch, eine Farbe löst sie aus, und die Panik übermannt ihn.

Die Gruppe um Volker von Thenen (2. von rechts) trifft sich an unterschiedlichen Orten. Hier ein Gespräch in der Goslarer Gaststätte „Kinderbrunnen“.  Foto: Hartmann

Die Gruppe um Volker von Thenen (2. von rechts) trifft sich an unterschiedlichen Orten. Hier ein Gespräch in der Goslarer Gaststätte „Kinderbrunnen“. Foto: Hartmann

„Das kannst du nicht steuern“, sagt der ehemalige Afghanistan-Soldat. „Ich bin jetzt zehn Jahre raus aus dem Ganzen, aber ich wache immer noch nach Träumen schweißgebadet auf.“ Einmal überfiel es ihn beim Autofahren, er baute einen schweren Unfall. „Es war wie ein epileptischer Anfall. Ich bin zwei Jahre nicht mehr Auto gefahren.“ Sein Kollege aus dem Kosovo schwört auf gute Vorbereitung: Die Situation selbst visualisieren, immer wieder durchspielen, vorbereitet sein, das könne helfen. Doch die anderen sind skeptisch: Das hieße ja, den belastenden Bildern noch mehr Raum zu geben, wenn man sie antizipiere, sie selbst wieder hervorhole und die Situation neu durchspiele ...

Keine vollständige Heilung

Eine professionelle Therapie kann die Selbsthilfegruppe nicht leisten, dazu ist sie auch nicht da. Hier treffen sich Männer, die bereits eine Therapie hinter sich haben. Aber eben noch immer an ihrer PTBS leiden. Vollständige Heilung gibt es meist nicht. Besonders schlimm sei auch, dass nicht genug Traumatherapeuten vorhanden seien.

„Das Problem ist, dass es speziell für Männer keine Hilfsangebote gibt“, sagt Gruppen-Gründer von Thenen. Dabei sei die Suizidrate bei betroffenen Männern um drei Viertel höher als bei Frauen. „Es gibt Therapiegruppen für Frauen, und es gibt gemischtgeschlechtliche Therapiegruppen, aber keine reinen Männergruppen“, beschreibt von Thenen die Situation.

Das sei aus zwei Gründen problematisch: Zum einen hätten viele der betroffenen Männer Gewalt von Frauen erfahren, der Kontakt mit weiblichen Patientinnen in der Therapie sei daher oft mit Angst behaftet. Zum anderen treffe man in den gemischten Gruppen auch Frauen, die von Männern Gewalt erfahren haben – als Mann werde man dort oft als möglicher Täter wahrgenommen. Er erzählt auch von einer angeblich nur für Männer bestimmten Therapie-Einrichtung, in der aber weibliches Personal gearbeitet habe – für Männer, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, ein furchtbarer Zustand.

„Es gibt 438 Frauenhäuser und nur 13 Männerhäuser in Deutschland“, macht von Thenen auf eine weitere Ungleichbehandlung aufmerksam. „Es fehlt von Seiten der Politik und des Landes Niedersachsen die finanzielle Unterstützung.“

Die Gruppe nimmt gern noch neue Mitglieder auf. Informationen: 01523-7394479, volkervonthenen@ptbs-maennergruppe.de oder www.ptbs-maennergruppe.de.

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