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Axel Franke

Ex-Chemielehrer führt jetzt als Zimmermann durch die Altstadt

In der Kluft der Zimmermänner führt Axel Franke die Gruppe durch die Altstadt von Osterode. Foto: Kulke

In der Kluft der Zimmermänner führt Axel Franke die Gruppe durch die Altstadt von Osterode. Foto: Kulke

Axel Franke unterrichtete bis zu seiner Rente an der Robert-Koch-Schule. Nun schlüpft der Ex-Chemielehrer in die  Rolle des Zimmermannes Heinrich und führt durch die Altstadt von Osterode. Er gehört zu dem Schlag Mensch, der nicht gerne still sitzt.

Donnerstag, 03.08.2023, 13:00 Uhr

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Clausthal-Zellerfeld/Osterode. „Ein echter Zimmermann braucht keinen Regenschirm und keinen Schutzhelm“, scherzt Axel Franke, wenn Regentropfen in der Altstadt von Osterode niedergehen. „Ich habe meinen Hut“. Der 71-Jährige greift sich an die Krempe, gestützt auf seinen Stenz, den traditionellen Wanderstab der Zimmermannsgesellen auf Walz. Als Zimmermann Heinrich führt er heute im Auftrag der Stadt interessierte Gäste durch die Gassen der Altstadt der Sösestadt und trotzt in dichtem Cord jedem Wetter. Seine Zuhörerinnen und Zuhörer führt er so in die Geheimnisse der altehrwürdigen Architektur ein, die das Handwerk über die Jahrhunderte errichtet hat: das Fachwerk.

Denn in Osterode verbergen sich bauliche Schätze, die dem Nichteingeweihten wohl verborgen bleiben. Fachwerkbau ist nicht nur schön anzusehen, sondern verbirgt auch so manches Symbol, dass die Mitglieder der Zunft der Zimmerleute auf den Fassaden hinterlassen haben. Zimmermann Heinrich zeigt sie auf seinem Weg durch die Altstadt und erklärt die Unterschiede zwischen den Gebäuden, zeigt die alten Handwerkszeichen, die sich bis heute auf den Balken erhalten haben. Beim Rundgang wird den Zuhörern erst bewusst, wie viel Arbeit und Know-how in den Häusern steckt.

Pensionierter Lehrer

Eigentlich ist Franke gar kein Zimmerer – tatsächlich ist er Chemielehrer im Ruhestand. Der 71-Jährige unterrichtete an der Robert-Koch-Schule und leitet heute noch die Chemie-AG. Denn er gehört zu dem Schlag Mensch, der nicht gerne still sitzt, der mehr wissen möchte und Neues ausprobieren will. Als die Stadt Osterode vor einigen Jahren auf der Suche nach neuen Stadtführern ist, muss er nicht groß überlegen. Kunst, Kultur und Architektur haben ihn schon immer fasziniert, wie er berichtet.

Und so hat Franke auch im Ruhestand nicht aufgehört, ein bisschen Lehrer zu sein – nur, dass seine Schüler jetzt eher älter sind. Und seine Tafel, das sind die Balken, Wände und Symbole auf den Häusern zwischen Kornmarkt und oberer Neustadt.

Auge für Details

Nun öffnet er beim Stadtrundgang die Augen für die baulichen Details, die man im Alltag oft ignoriert. Kannten Sie zum Beispiel die Schreckmaske am Haus Ratswaage in der Waagestraße, die Brände verhindern soll? Oder wussten Sie, dass die Blütenornamente an den Hauswänden am Kornmarkt acht Blätter haben und die Menschwerdung nach den sieben biblischen Schöpfungstagen symbolisieren? Franke kennt diese Details, ihre Bedeutung und die historische Bewandtnis dahinter. Zahlreiche Kurse hat er besucht, um sie sich anzueignen. Wie zum Beweis seines Erfolgs trägt er deswegen jetzt ehrenhalber die Kluft der Zimmerleute. Sogar den traditionellen Ring der Zunft hat Franke am Ohr – aber nur angesteckt. Ein echtes gestochenes Piercing, das wäre dann doch zu viel des Guten.

Die Altstadt Osterode gehört mit ihren Fachwerkbauten zum sogenannten „Fachwerk5Eck“, dem auch die Städte Northeim, Einbeck, Duderstadt und Hann. Münden angehören. Das Projekt versucht, die Besonderheit des Fachwerks, der über Jahrhunderte vorherrschenden Bauweise in Europa, erfahrbar zu machen. Denn das Fachwerk prägt nicht nur die Ansicht der Städte in Mitteleuropa bis heute, sondern ist auch kulturell und sprachlich Teil unseres Alltags. Ob etwas „fachgerecht“ gearbeitet ist, kommt zum Beispiel aus dem Sprachgebrauch der Zimmerleute.

Fachwerk im Wandel

Dabei hat sich das Fachwerk selbst über die Jahrhunderte den ästhetischen und baulichen Gepflogenheiten der Epoche angepasst. Diese Unterschiede sind für das geübte Auge bis heute erkennbar. Ältere Gebäude, sogenannte Renaissancebauten, haben oft lange durchgehende Ständerbalken. Später, als lange Baumstämme maßgeblich im Bergbau gebraucht wurden, wird das Fachwerk etwas kleinteiliger. Im späten 19. Jahrhundert setzt dann nach und nach die Harzer Querverbrettung ein, die man am Kornmarkt gut beobachten kann.

Am Kornmarkt finden Betrachter ein Beispiel für die Harzer Querverbrettung. Foto: Kulke

Am Kornmarkt finden Betrachter ein Beispiel für die Harzer Querverbrettung. Foto: Kulke

Und so hinterlässt jede Ära ihre typischen Erkennungsmerkmale: die Klarheit des Barock, die detaillierten Feinheiten des Rokoko oder die Backsteinfassaden des Historismus. Axel Franke berichtet dabei nicht nur über die Häuser, sondern auch über die Gepflogenheiten und Eigenarten der Männer, die einst schwindelfrei und eingespielt das Holz zur rechten Zeit schlugen und aufwendig in die Städte brachten. Wie viel Arbeit es wohl gewesen sein muss, nach der großen Feuersbrunst von 1545, als gerade mal ein einziges Haus in der Altstadt die Flammen überstand?

Auch Passanten hören zu

Fragen, auf die Axel Franke alias Zimmermann Heinrich Antworten gibt und das nur zu gerne. Wenn er über die Feinheiten des Fachwerks erzählt, mit dem Laserpointer die Details der Handwerkskunst an den Balken verdeutlicht, bleibt so mancher Passant an den Lippen des schwarz gewandeten Herrn hängen. Man spürt, wie sehr Franke sich begeistern kann und wie er als ehemaliger Lehrer diese Begeisterung weiterzutragen vermag: „Die Osteroder haben sich oft selbst aus dem Sumpf gezogen“, berichtet er, auch mit Blick auf Feuersbrünste und andere Verwerfungen. Denn die Rahmenbedingungen waren dafür gut: Rohstoffe, allen voran Holz, gab es meistens genug. Auch deswegen hat sich in der Altstadt von Osterode so ziemlich jeder denkbare architektonische Stil entwickelt, den das Fachwerk zu bieten hat.

Dafür nimmt man schlechtes Wetter auch in Kauf. Wer sich entscheidet, sich einer Tour durch die Stadt anzuschließen, wird Osterode danach mit anderen Augen sehen. Und sich neue Fragen stellen. Zum Beispiel, ob das Fachwerk als Bauhandwerk auch im 21. Jahrhundert, zwischen Glas, Beton und Stahl, einen Platz hat.

Von Kevin Kulke

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