14. Dezember: In ihren Augen ist ein Leuchten wie von Diamanten

Die dramatische Geschichte um die zunächst unerfüllte große Liebe nimmt bei Dieter und Monika doch noch ein romantisches Ende. Symbolfoto: Patrick Seeger, dpa
„Weihnachten mit Herz“ heißt in diesem Jahr der Titel unserer GZ-Adventsserie. Diesmal erzählt Hans-Joachim Deike aus Wiedelah die romantische Geschichte von der großen Liebe und einer wunderbaren, schicksalhaften Begegnung – an Heiligabend.
Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!
Wiedelah. Es war Sommer, einer jener Sommertage, an denen die Sonne selbst an diesem späten Nachmittag das etwas trostlose Büro von Dieter Hagen in ein helles, goldgelbes Lichtermeer verwandelt. Dieter Hagen ist Techniker in einem mittelgroßen Chemieunternehmen, und arbeitet an einem Projekt mit dem Ziel, den Produktionsablauf zu verbessern.
Nur heute will es ihm nicht mehr so richtig von der Hand gehen. So beschließt er, für heute Schluss zu machen. Er kann sich mit dem Heimweg Zeit lassen, denn seine Frau ist zu Besuch bei ihrer Mutter, die Kinder sind schon längst erwachsen und außer Haus, sodass ihn niemand zu Hause erwartet. Also schlendert er durch die Fußgängerzone der Innenstadt, geradezu auf ein kleines, gemütliches Café, um sich dort, wie immer, zum Abschluss des Tages noch ein Tässchen zu gönnen.
Es war ein Erlebnis aus seiner Jugend, das ihn noch immer verfolgt
Nun, eigentlich kann Dieter zufrieden sein. Er hat eine liebe Frau, seine Kinder sind gut geraten und führen schon längst ihr eigenes Leben, in seiner Firma ist er gut angesehen und hat ansonsten ein gutes Auskommen. Und doch wollte er mit sich selbst und im Innern seines Herzens nicht zur Ruhe kommen. Es war ein Erlebnis aus der Zeit seiner Jugend, das ihn sein ganzes Leben wie ein Phänomen verfolgt.
Es war das, was jeder Jugendliche erlebt, und woran sich jeder im späteren Alter gern, aber doch leicht schmunzelnd erinnert: Es war das Erlebnis der ersten Liebe.
Bei Dieter sieht das aber anders aus, für ihn ist die Geschichte, selbst nach Jahren, noch nicht abgehakt, weil er meint, damals einen folgenschweren Fehler begangen zu haben. Dieter lebte zu der Zeit mit seinen beiden Geschwistern und seinen Eltern in einem kleinen Dorf. Seine Mutter betrieb den einzigen Lebensmittelladen, den es dort gab, und sein Vater arbeitete als Büroangestellter in der nahe gelegenen Kreisstadt. Alles in allem verlebte Dieter eine unbeschwerte Jugend, wenn auch das Geld immer knapp war. Deshalb war es seinen Eltern ganz recht, dass er durch sein Hobby, das Angeln, etwas zum Lebensunterhalt beitrug.
Romantische Begegnung am Bootssteg
So ging Dieter oft hinunter zu dem kleinen Teich, der unterhalb des Dorfes lag, mit dessen Wasser früher einmal das Schaufelrad der alten Kornmühle angetrieben wurde. Wie auch an diesem Tag, an dem die Geschichte beginnt. Wie er nun so da saß, mit der Angel in der Hand, die eigentlich nur aus einer Weidenrute und einem Stückchen Schnur bestand, überfiel ihn eine eigentümliche, leichte Unruhe. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass er nicht mehr alleine war. Und als er instinktiv zum Rand des Teiches sah, bestätigte sich dieses Gefühl, denn vorn, am Anfang des Stegs, saß ein wunderschönes Mädchen.
Peter konnte den Blick nicht mehr von ihr lassen. Er fühlte sich auch ungeniert, weil er meinte, dass sie seine Neugier gar nicht bemerke, da ihr Kopf leicht nach hinten geneigt war, sodass ihre langen, seidenglänzenden Haare den Boden des Stegs berührten und sie die Augen, zumindest im Moment, noch geschlossen hatte.
Augen, so funkelnd wie Edelsteine
Das Mädchen war inzwischen aufgestanden und kam sanft lächelnd auf ihn zu. Dieter wusste nicht, ob er weglaufen oder sich freuen sollte. Zuerst vernahm er eine leise und warmherzige Stimme, die ihn mit einem fröhlichen „Hallo“ begrüßte. Das Erste, in das Dieter schaute, waren zwei klare, hell leuchtende blaue Augen. Er hatte zwar noch nie Diamanten gesehen, doch konnte er sich jetzt das Leuchten dieser Edelsteine vorstellen. „Kannst du nicht sprechen?“, fragte sie plötzlich, aber freundlich.
„Do...doch natürlich“, stotterte Dieter, und schob eiligst lächelnd ein „Hallo“ hinterher, weil er nun wieder in der Welt der Wirklichkeit angekommen war, was zur Folge hatte, dass sie nun beide über seine Unsicherheit lachen mussten. So kamen die beiden sich näher, und Dieter fühlte sich zu dem für ihn ja eigentlich fremden Mädchen hingezogen mit einer Kraft, die er nie zuvor erlebt hatte.
Er las viel und lebte in seiner eigenen Welt
Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis sie sagte, dass sie nun aber gehen müsse, worauf sie sich erhob, und ihn mit einem lächelnden „Tschüss“ verließ. Dieter schaute ihr nach, bis sie das Ufer des Teiches erreichte und seinem Blick entschwand. Gern hätte er mehr von ihr gewusst, er kannte ja noch nicht einmal ihren Namen. Warum hat er sich nicht mit ihr verabredet? All diese Fragen hämmerten in seinem Kopf. Doch beruhigte er sich, indem er sich sicher war, dass sie sich am nächsten Tag am Bootssteg bestimmt wieder treffen würden. Er wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er sich irrte und dieses Mädchen niemals wieder zu sehen bekam.
Dieter hatte sein Café in der Fußgängerzone erreicht. Er nahm, wie immer, an einem Tisch im Außenbereich Platz, von dem er aufmerksam die vorbeigehenden Passanten beobachten konnte. Er hatte ständig die aberwitzige Hoffnung, dem Mädchen von damals durch Zufall zu begegnen. Viele Jahre gingen vorüber. Dieter erreichte das Rentenalter und hatte das Glück, zusammen mit seiner Frau noch viele Jahre diese Zeit zu genießen.
Doch im hohen Alter wurden beide vom Schicksal nicht verschont. Dieter wurde von einer altersbedingten Krankheit erfasst, die es ihm zunehmend erschwerte, sich selbst zu versorgen. Und da seine Frau verstorben war, ließ er sich in ein Pflegeheim aufnehmen. Dieter genoss in diesem Heim den Ruf eines ruhigen, höflichen, aber kontaktarmen Gastes. Er las viel und lebte in seiner eigenen Welt.
Wunder an Heiligabend: Die zweite Begegnung
Doch am heutigen Tage gab es eine Abwechslung für die Heimbewohner, denn es war Weihnachten, und es war der 24. Dezember. Dieter sah diesem Abend eher gelassen entgegen, da seine Kinder ihn, auf seinen eigenen Wunsch hin, erst am 1. Weihnachtsfeiertag besuchen würden. So saß er wie immer an seinem Tisch, der heute Abend aber wunderschön dekoriert war. Wie er so gedankenverloren da saß, bekam er gar nicht richtig mit, dass von dem Pflegepersonal eine Heimbewohnerin, die erst seit Kurzem hier wohnte, an seinen Tisch gesetzt wurde. Sie wurde ihm auch vorgestellt, doch Dieter schenkte dieser Frau keine besondere Beachtung, so wie er es auch mit allen anderen Heimbewohnern tat.
Doch gerade, als er in das gelbe Licht der Kerze auf dem Tisch schauen wollte, um weiterhin seinen Gedanken nachzugehen, geschah etwas, das wie ein Ruck durch seinen Körper ging: Die Frau, die ihm jetzt gegenüber saß, begrüßte ihn mit einem freundlichen „Hallo“. Für ihn gab es nur einen Menschen auf der Welt, der mit einer derart warmherzigen und leisen Stimme ein so fröhliches“ Hallo“ sagen konnte. Sofort, und höchst beunruhigt, schaute Dieter der Frau ins Gesicht, sodass sich ihre Blicke trafen. Und als er in ihre Augen sah, die wie zwei Diamanten leuchteten, reifte in ihm eine dramatische Erkenntnis.
Verabredung mit der Frau seiner Träume
„Können Sie nicht sprechen?“, fragte sie plötzlich mit einem freundlichen Lächeln. „Do...doch, natürlich“, stotterte Dieter irritiert und schob eiligst ein „Schön’ guten Abend“ hinterher, weil sie beide nun erst einmal lächeln mussten. Es war für ihn unfassbar. Sollte er hier im Pflegeheim, im hohen Alter, die Frau wiederfinden, auf die er das ganze Leben gehofft hatte?
Natürlich hat Dieter sich mit all seinen Gedanken und Gefühlen zurückgehalten, und da sie ein nur oberflächliches Gespräch führten, bot sich ihm auch keine Gelegenheit, mehr über diese Frau zu erfahren. Dieter merkte nicht, wie die Zeit verging und dieser Abend sich dem Ende näherte. Er bedankte sich für die nette Unterhaltung, und als er sich vorausschauend zum Frühstück des nächsten Tages mit ihr verabreden wollte, geschah etwas Merkwürdiges. Sie fragte ihn, da sie sich in diesem Heim noch nicht so richtig auskenne, ob er sie am nächsten Morgen von ihrem Zimmer abholen könne. Dieter fand das im ersten Moment logisch, und bejahte natürlich ihren Wunsch, wunderte sich aber zugleich über den seltsamen Ausdruck in ihren Augen.
In dieser Nacht kam Dieter nicht zur Ruhe. Vieles ging ihm durch den Kopf. Vor allem die Frage, war sie es überhaupt, warum hatte auch sie sich nicht zu erkennen gegeben? Oder die Begegnung damals am Bootssteg hatte für sie nicht die Bedeutung wie für ihn und war deshalb in ihrer Erinnerung erloschen. Dieter ahnte nicht, dass er am nächsten Morgen auf jede seiner Fragen eine Antwort bekommen würde.
Dann erfuhr er den Namen der Frau, die er immer liebte
Es war so weit. Punkt acht Uhr, so hatten sie sich verabredet, stand Dieter vor ihrer Tür. Und in diesem Augenblick sollte er die erste seiner Antworten bekommen.
Hier, vor der weiß lackierten Tür in einem Pflegeheim, erfuhr er den Namen der Frau, die er sein ganzes Leben liebte. Er stand deutlich lesbar auf dem Namensschild neben der Tür. Endlich konnte er ihn aussprechen. Er nahm es gar nicht wahr, als ein leise gehauchtes „Monika“ seinem Mund entschwand.
Er klopfte an die Tür, und nachdem er ein freundliches „Ja, bitte“ vernahm, betrat er das Zimmer. Die Frau schaute aus dem Fenster, drehte sich aber zu ihm um, als er das Zimmer betrat, und Dieter bemerkte wieder diesen Blick in ihren Augen, als wenn jemand etwas Bestimmtes vorhat. Nachdem sie sich begrüßt und sich gegenseitig nach ihrem Wohlbefinden erkundigt hatten, bemerkte Dieter eine große Anzahl von Bildern, die an den Wänden ihres geräumigen Zimmers angebracht waren. Es waren Gemälde verschiedenster Art, die wunderschön gemalt waren und dem Raum eine besondere Note verliehen.
Dieters Blick streifte nur flüchtig die Bilderpracht, da er sie ja zum Frühstück abholen sollte. Gerade wollte er sich zu der noch immer regungslos am Fenster stehenden Frau zuwenden, da bemerkte er ein kleines Bild, das eingerahmt auf einer Vitrine stand. Als er das Motiv sah, verspürte er wieder diesen Ruck, der durch seinen Körper ging.
Das Bild vom Bootssteg besiegelt das Schicksal
Das Bild zeigte einen kleinen See, aus dessen mit Schilf bewachsenem Ufer ein kleiner Bootssteg hinausführt, auf dem ein junger Mann mit einer Angel in der Hand, daneben ein ebenso junges Mädchen in einem bunten Sommerkleid sitzen, und sich verträumt in die Augen schauen. Dieter bemerkte nicht, dass jede seiner Reaktionen von der Frau, die immer noch am Fenster stand, aufmerksam beobachtet wurde. „Ja, das habe ich selbst gemalt“, sagte sie – und beantwortete damit vorausahnend seine nächste Frage. „Und jetzt weiß ich, dass du es bist, denn kein anderer würde dieses Bild so anschauen wie du.“
Dieter begriff nun die Logik ihres Handelns. Sie musste gestern Abend das gleiche Problem gehabt haben wie er. Auch sie glaubte, ihn wiederzuerkennen, musste aber auch damit rechnen, dass sie sich irrte. Deshalb kam ihr die geniale Idee, es so einzufädeln, dass er dieses Bild zu Gesicht bekam, um seine Reaktion zu testen.
Dieter ging auf sie zu, beide nahmen sich in die Arme, und keine Sprache der Welt vermag das zu schildern, was in diesen Moment in ihnen vorging. Minuten später saßen sie sich gegenüber auf der Couch. Sie vergaßen Zeit und Raum. Beide erzählten sich gegenseitig ihr Leben und ihre Zuneigung zueinander, die sie ihr Leben lang in sich trugen.
Sie verzichteten auf das Frühstück und gingen, da schönes Wetter war, hinunter in den Park. Zwei Pflegerinnen, die nachschauen wollten, weil sie nicht zum Frühstück erschienen, fanden das Zimmer leer vor. Als eine von ihnen durch das Fenster in den Park schaute, und das Paar eng beieinander des Weges gehen sah, sagte sie zu ihrer Kollegin: „Sieh mal, da gehen die beiden, als wären sie ein frisch verliebtes Pärchen.“ Sie ahnte nicht, wie recht sie damit hatte.

Eine Geschichte über die wahre Liebe, und wie sie sich an Heiligabend wiedergefunden hat. Symbolbild: Pixabay