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Nachgedacht: Das klebrige Laster

Gib Gummi – am besten in die Tonne

Mit Kaugummis lassen sich kunstvolle Blasen machen. Wenn das Gummi am Ende auf der Straße landet, wird es ärgerlich. Archivfoto: dpa

Mit Kaugummis lassen sich kunstvolle Blasen machen. Wenn das Gummi am Ende auf der Straße landet, wird es ärgerlich. Archivfoto: dpa

Millionenfach landen Kaugummis als hartnäckiger Plastikmüll einfach auf den Wegen. Das verunstaltet viele Innenstädte und ist teuer bei der Straßenreinigung. Eine klebrige Unsitte, befindet GZ-Chefredakteur Jörg Kleine in seiner Kolumne "Nachgedacht".

Von Jörg Kleine Sonntag, 01.05.2022, 15:15 Uhr

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Jörg Kleine ist Chefredakteur der GZ

Jörg Kleine ist Chefredakteur der GZ

Mit dem Kehraus in der Fußgängerzone hat der Ver- und Entsorger Eurawasser im Auftrag der Stadt Goslar ein gutes Werk getan. Jeder Fleck auf dem Pflaster der schmucken Einkaufsmeile war so manchem schon seit Jahren ein Dorn im Auge: ein wahres Dornenmeer aus Abertausenden Kaugummis, die Abertausende Goslarer und Besucher ganz offensichtlich achtlos ausgespuckt hatten. Wer sich mal mit Kaugummi in den Haaren oder unter den Schuhen herumärgern musste, weiß, wie hartnäckig der mit Speichel durchgekaute Kunststoff kleben kann. Mit Betonpflaster geht solche Lifestyle-Masse eine geradezu symbiotische Langzeitverbindung ein, die nur durch aufwendige und spezielle Prozeduren wieder aufzutrennen ist, ohne dass Pflastersteine oder Fugen richtig Schaden nehmen.

Städte wie Augsburg, Stuttgart, Köln oder Mannheim verhängen für Kaugummi-Sünder inzwischen Bußgelder zwischen 30 und 250 Euro, um die Plage einigermaßen einzudämmen. Dabei könnte doch alles so einfach sein, wie es Muttern uns (vielleicht) gelehrt hat: Man nehme das ausgelutschte Kaugummi, klebe es auf ein Taschentuch oder ein kleines Stück Papier und werfe es dann in den Mülleimer. Doch viele Zeitgenossen scheren sich ganz offensichtlich einen feuchten Kehricht um ein Problem, das teure und unsoziale Wirkung entfacht. „Gründe für das in Fachkreisen auch Littering genannte Vermüllungsproblem sind nach einer Studie des Umweltministeriums Faulheit und mangelnde Erziehung“, klärt uns die Online-Enzyklopädie Wikipedia auf. So manchen unerzogenen Faulpelz würde man da am liebsten per Speichelprobe ausfindig machen.

Warum überhaupt Millionen Deutsche mehrfach pro Woche gerne auf Plastik mit Geschmacksverstärker beißen, ist ohnehin kurios – hat aber weitaus längere Tradition als Walpurgis im Harz. Jedenfalls sollen Archäologen in Südschweden bei Ausgrabungen einer 9000 Jahre alten Siedlung das älteste Kaugummi der Welt gefunden haben: Birkenpech, das unsere menschlichen Vorfahren wohl nur deshalb in den Mund nahmen, um es weich zu kauen. Im alten Ägypten labten sich dagegen vor allem Frauen an Kaukugeln aus Myrrhe, Weihrauch und Melone. Während die Spanier bei der kolonialen Eroberung Amerikas auf indigene Völker trafen – in Vorkaugummizeiten auch Indianer genannt–, die mit dem Latexsaft des Breiapfelbaums einem modernen Kaugummi schon sehr nahe waren.

Der US-Amerikaner John Curtis soll Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals Kaugummi industriell fabriziert haben: nach einem indianischen Rezept aus Fichtenharz und Bienenwachs. Ein gewisser William Wrigley führte dann ab 1890 das Kaugummi zu einem Welterfolg. 1893 brachte er die ersten Gummis mit Fruchtgeschmack und mit Minze auf den Markt. Elastische Kaugummis, aus denen sich dann auch wunderbare Blasen formen ließen, gelangten Ende der 1920er Jahre durch den US-Amerikaner Walter Diemer unters Volk – das in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg dann vor allem durch US-amerikanische Soldaten inspiriert wurde.

Hunderte Millionen Euro geben deutsche Kauer heutzutage pro Jahr fürs Gummi aus, wenngleich die Corona-Pandemie auch dieser Branche zusetzte. Vitamin- und wirkstoffreiche Sorten sollen den Zugriff aufs Kaugummi wieder stärken, wenngleich es mit biologisch vollständig abbaubaren Varianten ohne Plastik doch eher schwierig ist. Auch aus ökologischen Gründen und Klimaschutzperspektiven liegt da also im wahrsten Sinne des Wortes ein Thema auf der Straße.

Statt saftiger Strafen könnte die Stadt Goslar vielleicht künftig auf Alternativen setzen: Alte Sorten aus Fichtenharz scheinen derzeit zwar weniger zukunftsträchtig, aber vielleicht ist eine Geschmacksbegrenzung auf Birkenpech eine wirksame Lösung für die Schonung des Goslarer Pflasters. Wer auch beim Gehen nicht aufs Kauen verzichten möchte, dem seien ansonsten Möhren empfohlen. Die sind gut für die Augen – was auch den Blick schärft fürs Allgemeingut.

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