Von Jahr zu Jahr schrumpfen die Weihnachtsbäume

GZ-Adventsserie: Leserinnen und Leser erzählen von besonderen Weihnachtsbäumen. Foto: Bahlo/dpa
„Mein schönster Weihnachtsbaum“ heißtder Titel unserer GZ-Adventsserie. Die frühere Wildemannerin und Lautenthalerin Yasmin Mai-Schoger erzählt von Weihnachtsbäumen, die immer kleiner wurden – aber nichts von ihrer Magie verloren haben:
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Wildemann/Lautenthal. Ich muss ein wenig in meinen Erinnerungen kramen. Tief, tief vergraben im hintersten Winkel meines schweren Kopfes werde ich fündig, und sofort blitzen haufenweise Bilder von früher auf. Wie sah unser Weihnachtsbaum aus? War er groß oder eher klein? Was hing an den grünen Zweigen? Wie war er geschmückt?
Fichte aus dem Wald: Selbst ist der Großvater
Ich blicke auf 53 Heiligabende zurück – somit also auch auf 53 Weihnachtsbäume. Die ersten 25 Jahre meiner 53 Weihnachten habe ich in Lautenthal verbracht. Heiligabend waren wir bei den Großeltern. Der Weihnachtsbaum stand im Wohnzimmer und stammte aus dem dortigen Wald, mein Großvater hatte ihn eigenhändig geschlagen.
Es war eine dunkelgrüne Fichte, naturgewachsen – heute würde man es krumm und schief nennen. Die nadeligen Arme des Baumes waren meist ungleichmäßig, und nach oben hin verdünnte sich der Ast. Den schweren grünen Ständer aus Metall sehe noch vor mir. Genauso wie den hölzernen Baumbehang. Ein hölzernes Schaukelpferd. Ein Nussknacker mit Bart, knallrot. Beide mit zarten Bändeln in Gold. Und natürlich Kerzen, weiße Kerzen!
Kerzen und glitzernde Kugeln
Sie wurden in kleine Klipser gesteckt und auf den Armen des Baumes platziert. Bei den unteren Armen ging das problemlos, die oberen waren meist etwas kraftlos und neigten sich samt Kerze bis zum nächsten unteren Arm. Notfalls wurden in den Stamm Löcher gebohrt und Zweige eingesteckt. Am Ende waren dann doch alle Kerzen aufgesteckt, und somit konnte das nächste Schmuckstück angehängt werden: bunte Glitzerkugeln in Rot oder Blau oder Gold. Und zwar stets „oder“ – niemals und!
Immer nur eine Farbe am Baum
Bei uns kamen immer einheitliche Kugeln an den Baum. Rot und Blau und Gold gleichzeitig wäre, glaube ich, so was wie ein „Vergehen“, ein „Unrecht“, ein „Verbrechen“ gewesen. Dafür gab es Unmengen silberfarbenes und bleihaltiges Lametta – heute ebenso ein „Vergehen“, ein „Unrecht“, ein „Verbrechen“. Wahrscheinlich kann man heute solches Lametta gar nicht mehr kaufen ...
Den Weihnachtsbaum gab es damals, wie gesagt, noch „kostenlos“, da er ja dem Wald entsprungen war. Nicht wie heute vom Baumarkt für 27 Euro. Ich rechne hoch: Die letzten 20 Jahre gab es eben genau diesen vom Baumarkt – 20 Jahre. Ich schlucke kurz: macht über 500 Euro. Dafür aber hochgewachsen, rundherum gleichmäßig grün, und die Fichtenarme konnten durchaus zwei, drei Kerzen tragen, ohne nach unten zu sinken.
Leise rieseln die Nadeln
Dafür rieselten die Nadeln bereits nach sieben Tagen. Irgendwie habe ich in Erinnerung, dass früher der Weihnachtsbaum bis ins Neujahr nicht gerieselt hatte. Aber vielleicht meine ich das auch nur. Schließlich ist es in den Erinnerungen oftmals viel, viel schöner, als es tatsächlich war.
Mit dem weisen Blick einer Endvierzigerin überdachte ich mein Bild von Weihnachten und passte den Weihnachtsbaum nach und nach an mein Weltbild an. Die Kinder wurden von Jahr zu Jahr größer, der Baum von Jahr zu Jahr kleiner. Schmücken wollte ihn eigentlich auch niemand mehr. Irgendwann stand auf dem knallroten Beistelltisch nur noch ein etwa 50 Zentimeter hoher Weihnachtsbaum, ohne Kerzen, ohne Lametta. Schmücken musste ich ihn mittlerweile allein.
Schön war er trotzdem. So klein, so unscheinbar, so einfach – und doch geht von ihm eine Magie aus. Mein Blick verliert sich in ihm. Alle Erinnerungen scheinen in den Nadeln zu stecken. Ist es das Grün? Der Duft? Oder das hölzerne Schaukelpferd, welches noch immer an ihm schaukelt? Meine Freude ist in jedem Jahr aufs Neue groß, auch mit kleinem Weihnachtsbaum.
Die nächste Folge:
„Eine Zeitreise – Weihnachten im Jahr 2124“, eine Geschichte aus Liebenburg.
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Der gestohlene Weihnachtsbaum – und ein Wunder
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Ein großes Wunder für fünf Mark
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Ein zweites Leben für das Bäumchen


Yasmin Schoger erzählt von ihrem Weihnachtsbaum mit Hund. Foto: Privat