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GZ-Adventsserie

Heiligabend: Das unbeschwerte Glück der Kindheit

In der GZ-Adventsserie „Mein schönster Weihnachtsbaum“ erzählen Leserinnen und Leser von besonderen persönlichen Erlebnissen.

In der GZ-Adventsserie „Mein schönster Weihnachtsbaum“ erzählen Leserinnen und Leser von besonderen persönlichen Erlebnissen. Foto: Bahlo/dpa

„Mein schönster Weihnachtsbaum“ heißt in diesem Jahr der Titel unserer GZ-Adventsserie. Brigitte Christine Rühe aus Goslar erzählt von traurigen Weihnachten fast ohne Baum – aber dann doch mit glücklichem Ende.

Sonntag, 15.12.2024, 11:00 Uhr

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Goslar. Weihnachten, das war für mich die schönste Zeit im Jahr. Nichts konnte dieses festliche Gefühl übertreffen. Es war die gemütlichste und spannendste Zeit des Jahres. Als ich Kind war, fing die Weihnachtszeit tatsächlich erst nach dem Totensonntag an. Dann erst wurden die Schaufenster der Geschäfte im Ort weihnachtlich geschmückt, und es gab die ersten Spielsachen im Schaufenster zu sehen.

Wunschzettel für Weihnachten an den Nikolaus

Natürlich warteten wir sehnsüchtig auf diesen Tag, schließlich galt es ja, sich eine Puppe oder sonst etwas Tolles auszusuchen, was das kleine Herz sich so wünschte. Ganz oft standen wir davor, und das Begehren nach den schönen Dingen wuchs. Der Wunschzettel wurde geschrieben und er war lang. Ein Glück: Am 6. Dezember holte ihn der Nikolaus ab.

Zehn Tage vor dem großen Fest gab es die ersten Weihnachtsbäume zu kaufen. Da es damals fast ausschließlich Fichten waren, wurde gewartet bis kurz vor dem Fest, weil sonst am Weihnachtstag der Baum fast keine Nadeln mehr hatte. Bei uns wurde das heilige Bäumchen auch erst am Heiligen Abend geschmückt – und zwar nur von den Eltern. Wir durften an diesem Tag nun nicht mehr ins Wohnzimmer.

Duftender Weihnachtsbraten und knisternde Spannung

Die Spannung war kaum auszuhalten. Wenn die Wohnzimmertür aufging, kam gleichzeitig ein Duft nach Tanne aus dem Raum. Oh, so lieblich, ich kann ihn jetzt noch riechen in meiner Erinnerung. Der Nachmittag war unendlich lang und wollte gar kein Ende nehmen.

Der Weihnachtsbraten duftete in der ganzen Wohnung und auch der Rotkohl. Die Klöße wurden erst am ersten Feiertag gerollt. Der Kartoffelsalat für den Weihnachtsabend war auch schon fertig, und die schlesische Bratwurst wurde erst kurz vor dem Essen gebraten.

Natürlich badeten wir zum festlichen Anlass, alle drei Kinder zusammen in einer Wanne. Es war Luxus, ein Badezimmer zu besitzen. Der Ofen in dem Raum wurde mittags schon angeheizt, damit das Wasser eine gute Temperatur hatte. Es kam eine Badetablette ins Wasser. Sie sprudelte und duftete nach Fichtennadeln, genau wie der Weihnachtsbaum.

Ab in die Wanne fürs Christkind

Nach dem Bad zogen wir die Sonntagskleidung an. Meine Mutter achtete darauf, dass wir immer schick und ordentlich ausschauten. So feingemacht, ging es nun in die warme Küche zum Essen. Wir aßen in der Küche, weil der Wohnzimmertisch ja mit Geschenken besetzt war.

Heiligabend 1954 mit Besuch vom Weihnachtsmann: Brigitte Rühe (unten in der Mitte) mit ihrer Mutter Gertrud (l.) und der kleinen Tochter Gabriele auf dem Arm, Urgroßmutter Julie Marie Albetine Jänsch und Brigittes Bruder Peter.

Heiligabend 1954 mit Besuch vom Weihnachtsmann: Brigitte Rühe (unten in der Mitte) mit ihrer Mutter Gertrud (l.) und der kleinen Tochter Gabriele auf dem Arm, Urgroßmutter Julie Marie Albetine Jänsch und Brigittes Bruder Peter. Foto: Privat

Nun gab es den Kartoffelsalat und Schlesische Bratwurst. Unsere Mutter kam aus Schlesien. Die Oma hatte schon die Würste gebraten, und jedes Kind nahm seinen Platz am Tisch ein. Ich hatte vor lauter Aufregung immer gar keinen Hunger. Es dauerte mir alles viel zu lange. Außerdem war ich nicht sicher, ob ich wohl das Gedicht ohne Stottern hinbekam.

Als alle fertig waren mit dem Essen, gingen die Erwachsenen wieder ins Weihnachtszimmer, und nun waren wir unter Hochspannung. Mein Bruder war so zappelig, dass er den Plüschhund aus dem Vorjahr zerpflückte, um zu schauen, was er im Bauch hatte. Na, das gab Ärger. Erst mal schob der ihn schnell unter das Sofa, weil das Glöckchen ganz zart läutete. Nun endlich durften wir hinein in den heiligen Raum.

Zuerst umfing mich der Duft nach Tanne und Lebkuchen. Dann ging mein Blick zum Weihnachtsbaum. Er war wieder wunderschön geschmückt mit Vögelchen und kunstvollen Kugeln, Lametta und auch Leckereien hingen an den Zweigen. Die Wachskerzen leuchteten in einem warmen Licht. Es sah aus, als würde der ganze Baum leuchten.

Die Augen der Kinder leuchten wie Kerzen

Die Äuglein der Kinder leuchteten mit den Kerzen um die Wette. Meine Wangen glühten, denn nun war das Gedicht dran. Aber mein Vater sagte: „Dieses Jahr singen wir alle zusammen ,O Tannenbaum‘.“ Wunderschön klang es.

Dann breitete sich Stille aus. Jedem Kind wurden seine Geschenke auf dem Gabentisch gezeigt. Wir brauchten nichts auszupacken, alles lag säuberlich gestapelt auf dem Tisch, oder stand daneben und unter dem Weihnachtsbaum. Der wurde immer ganz doll beobachtet, damit nichts passierte wegen der Wachskerzen. Und weil er so wunderschön aussah.

Auch die bunten Teller voller Leckereien standen unter dem Baum, manchmal waren Tannennadeln darinnen. Ich hatte immer das Gefühl, von dem Weihnachtsbaum ging ein ganz besonderer Segen aus. Er brachte die Grüße des Waldes mit ins heilige Wohnzimmer. Es war jedes Jahr wunderschön an Weihnachten, und auch der Baum war immer prachtvoll geschmückt. Die Eltern taten alles, damit wir Kinder Freude hatten. Es waren noch bescheidene Zeiten, in denen wir uns über eine Puppe oder ein Spielzeugauto freuten. Das stille Glück einer unbeschwerten Kindheit und eine heilige Freude dabei, alles anzuschauen und in Besitz zu nehmen. Ich denke sehr gerne an diese Zeit zurück. Ach, würde sie doch noch einmal zurückkommen.

Die nächste Folge:

„Tannenbaum aus Gänsefedern“, eine Weihnachtsgeschichte aus Bad Harzburg.

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