Musiker im Rausch: Goldberg-Variationen in St. Jakobi
Lisa Jacobs, Lech Antonio Uszynski und Johannes Krebs (v.li.) spielen in St. Jakobi die Goldberg-Variationen für Streichtrio. Foto: Martin Schenk Foto: Martin Schenk
Das vorletzte Konzert des Internationalen Musikfestes bot am 24. August in der Kirche St. Jakobi in Goslar eine musikalische Perle, Bachs Goldberg-Variationen in einer Transkription von Dmitri Sitkovetsky für Violine, Violoa und Violoncello.
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Goslar. Das Kirchenschiff war voll, nur Plätze ohne Sicht waren am Samstag in St. Jakobi noch zu vergeben: Das Internationale Musikfest hatte nach einem grandiosen Konzert am Vorabend im Bündheimer Schloss zum vorletzten Konzert des Festivals eingeladen. Eine Perle der Klassik stand auf dem Programm, Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“, nicht in der ursprünglichen Version für Cembalo, sondern in einer Bearbeitung von Dmitri Sitkovetsky für Streichtrio. Die einstündige Komposition wurde von einer Lesung der neuen Wortwerkerin Jonë Zhitia bereichert.
Bevor Zhitia ihre literarische Kostprobe, ein düsteres Werk über Sterben, Tod und Sinnsuche anlässlich des Genozids im Kosovo, zum Besten gab und damit die Raumtemperatur noch etwas zu reduzieren schien, schaltete das Streichtrio, bestehend aus Lisa Jacobs (Violine), Lech Antonio Uszynski (Viola) und Festivalleiter Johannes Krebs (Violoncello) zum Aufwärmen ein kurzes Bach-Stück davor. Nach früher Pause stimmte Krebs das Publikum auf eine Spiel-Stunde ohne Pause ein, die vor allem den Musikern einiges abverlangt: Die Goldberg-Variationen seien „ein musikalischer Gipfelpunkt“, den alle Musiker irgendwann einmal zu erklimmen versuchten.
Schlaflose Nächte
Der Anlass der Komposition waren die schlaflosen Nächte des kränkelnden Grafen Kaiserling. Böse Zungen behaupten, die extra für ihn geschriebenen Stücke wären als Einschlafhilfe gedacht; tatsächlich sollten sie aber zu seiner Erbauung dienen, führte Krebs aus – und räumte ein, dass ein jeder selber die individuelle Wirkung auf sich beobachten müsse. Johann Gottlieb Goldberg, der Privatmusikus des Grafen, musste die schlaflosen Nächte seines Herrn in dessen Nebenzimmer zubringen, um ihm während der Schlaflosigkeit (kein leichtes Leiden, das zu Depressionen führen kann) etwas vorzuspielen. Der Graf erbat sich dafür Stücke von Bach, die später als „Goldberg-Variationen“ in die Musikgeschichte eingingen. Es sind 32 an der Zahl. „Sie müssen nicht mitzählen“, sagte Krebs – und tatsächlich ließ die Musik das Zählen schnell vergessen, auch wenn die „Büßerbänke“ ihre Wirkung während des Konzerts nicht verfehlten. Das Trio spielte sich vor dem prächtigen Altar der Kirche St. Jakobi förmlich in einen Rausch und überzeugte wohl alle Kenner der Komposition von der Bearbeitung für Violine, Viola und Violoncello. Die Noten wurden nicht geändert, erklärte Krebs später, nur die Instrumentierung sei eine andere, mit ganz anderer Wirkung: „Wie 3D statt 1D“.
Jedes der Instrumente stand mal im Vordergrund, mal wartete die Bratsche, wenn sich Violoncello und Violine die Töne zuspielten, mal setzte die Violine aus, oft legte sie als dominierendes Instrument vor, und die Bratsche etwas später nach, die ganze Tiefe brachte das Cello ein, und alles fand sich zusammen in vollkommener Harmonie. Das Zupfen der Saiten wirkte manchmal wie Augenzwinkern, große Gesten waren ebenso zu erleben wie zartes Spiel, das auch den Ausgang in der Aria da Capo bestimmte, die wie eine zärtliche Umarmung wirkte. Vielleicht war er dann doch endlich eingeschlafen, der schlaflose Graf. Nicht so das Publikum in der St. Jakobikirche, es spendete großen Beifall für eine weitere Sternstunde der Klassik in Goslar.