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Erinnerung an die alte Stiftskirche

Die Goslarer Domvorhalle und der Beginn des Denkmalschutzes

Das Foto zeigt ein altes Fenster in der Domvorhalle.

Das Foto zeigt ein altes Fenster in der Domvorhalle. Foto: Privat

Vom Goslarer Dom ist heute nur noch der Eingangsbereich zu sehen, die Domvorhalle. Nach Abriss der alten Stiftskirche wollten die Goslarer den Rest eigentlich auch beseitigen. Doch zeigte sich schon früh ein erstes Interesse an Denkmalschutz.

Von Helmut Liersch Mittwoch, 07.08.2024, 12:00 Uhr

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Goslar. Der Goslarer Dom wurde 1819 abgerissen, hier und da lagen anschließend noch Bruchstücke herum. Was sollte mit der Domvorhalle werden? Die zuständige hannoversche Regierung hatte bereits 1817 nach Rücksprache mit dem in London residierenden Prinzregenten festgelegt, dass sie unbedingt stehen bleiben müsse. Nur unter dieser Bedingung hatte man den Dom abreißen dürfen. Die Domvorhalle wurde – nicht zuletzt durch die Inschrift von 1824 – zu einem Mahnmal des Denkmalschutzes.

Bei der Goslarer Bürgerschaft hielt sich der Schmerz über den Verlust des ungeliebten Gotteshauses in engen Grenzen. Im Gegenteil: Mit erstaunlicher Zähigkeit versuchte der Goslarer Magistrat, sich des letzten Restes der einstigen Kirche zu entledigen. Aber der Versuch sacheiterte, auch noch die beim Abbruch der Türme erheblich beschädigte Vorhalle zu beseitigen.

Klagen über die Reparaturkosten

Man klagte über die Reparaturkosten, die der Prinzregent als Initiator zu bezahlen habe, und erhoffte sich vom zuständigen hannoverschen Hofbaumeister Laves die entsprechende Fürsprache bei Hofe. Gern möchte man, so heißt es in einem Schreiben vom 1. November 1819, anstelle der alten Kirche eine Grünanlage gestalten – und da stehe die Vorhalle eigentlich im Wege. So sehe man sich „verpflichtet, unterthänig anheim zu geben, ob es nicht rathsamer seyn mögte, die stehen gebliebene Halle der Domkirche ebenfalls abzubrechen, und die Denkwürdigkeiten, welche darin aufbewahrt werden sollen, in den hiesigen Stadtkirchen aufzustellen.“ Der Platz, auf welchem die Domkirche gestanden habe, werde „durch eine freiere Aussicht gewinnen“.

Innenansicht der Domvorhalle.

Innenansicht der Domvorhalle. Foto: Privat

Ausbau der Domvorhalle

Im Jahre 1823 nahm man den gleichzeitig mit der Erlaubnis des Dom-Abbruchs in Aussicht genommenen Ausbau der Domvorhalle in Angriff. Die entsprechende Jahreszahl wurde in die Giebelspitze der Südfassade in den Stein geschlagen und ist dort bis heute zu sehen. Da die Übernahme der Kosten noch immer nicht verbindlich geregelt war, wendete sich das hannoversche Ministerium am 20. März 1823 an den Grafen zu Münster in London und schilderte zunächst den Stand der Dinge: „Der Abbruch des uralten Dom-Gebäudes zu Goslar ist nunmehr soweit vollendet, daß zu Einrichtung der davon, wiewohl sehr beschädigt, stehen gebliebenen Vorhalle zu einer Kapelle im antiken Geschmack, nach dem anliegenden von dem Hofbaurath Laves skizzierten Entwurfe geschritten werden kann.“ Dann werden die Kosten genannt: 1376 Reichtaler, 16 Groschen und 5 Pfennige. Wir erfahren, dass der Verkaufserlös des Domes nicht der Einrichtung der Vorhalle diente, sondern für Schulden und den durch von Christian von Dohm in preußischer Zeit gegründeten Fonds verwendet wurde.

Königlicher Wunsch

Da der (nunmehrige) König seinerzeit selbst auf der Erhaltung der Vorhalle bestanden hatte, ist der folgende Wunsch an Graf Münster nur konsequent: „Wir hegen vielmehr die submisteste Hoffnung, daß Seine Königliche Majestät gnädigst geneigt seyn werden, die Einrichtungs-Kosten der mehrerwähnten, zum Andenken an ein uraltes Kunstwerk der deutschen Baukunst nach Ihrem Höchsten Befehlen beyzubehaltenden Kapelle auf die Königliche General-Casse anzuweisen. Und geben Ew. Excellenz gehorsamst anheim, die dazu erforderliche Königliche Entschließung durch Ihren gefälligen Vortrag geneigt bewirken zu wollen.“ Nach Rücksprache mit dem König kann Münster am 22. April 1823 nach Hannover melden, dass die Kosten von höchster Stelle übernommen werden.

Bitte um Schutz der Kapelle

Als das Drängen auf Abriss der Vorhalle dennoch nicht nachlässt, sieht Maschinendirektor Barthold Mühlenpfordt darin einen Bruch der Vereinbarungen. Er wendet sich am 16. November 1823 an den Magistrat mit der Bitte „um Schutz der auf dem Domplatz stehen gebliebenen Capelle“, wobei er darauf verweist, dass der hannoversche König schon viel für die Erhaltung der Vorhalle bezahlt habe. Die Gefährdung des erhalten gebliebenen Gebäudeteiles wiederholt sich, als 1832 und in den darauffolgendden Jahren südlich dahinter eine Kaserne errichtet wird und der zugehörige Exerzierplatz vergrößert werden soll: Die „Capelle“ wird als „Übelstand“ empfunden.

Die Domvorhalle. Colorierte Ansichtskarte aus dem Jahr 1932.

Die Domvorhalle. Colorierte Ansichtskarte aus dem Jahr 1932. Foto: Privat

Wechsel in der Einstellung

Dennoch ist gerade die „Domkapelle“ geeignet, um daran den allmählichen Wechsel der Einstellung zu den physischen Hinterlassenschaften der Vergangenheit abzulesen. Am 4. Mai 1827 bittet Barthold Mühlenpfordt „um die Erlaubniß und Zulassung, die genannten Stücke [konkret nennt er den „Altar des Grato“ und „die Glasmalerey“] aus der Stephani Kirche wegnehmen und in der Dom-Capelle aufstellen zu dürfen“; er bezieht sich dabei ausdrücklich auf den Auftrag des Königlichen Ministeriums zu Hannover, der ihm durch den „Herrn Baurath Laves“ erteilt worden sei. Im Laufe der Fertigstellung, also zwischen 1824 und 1827, wird eine Inschrift angebracht. Wahrscheinlich geht die Anbringung auf den schon 1817 geäußerten Wunsch des Kronprinzen zurück. Zentral über den beiden Bögen des Eingangs und diese nach rechts und links überragend kündet sie in lateinischer Sprache von dem nun klar ausgesprochenen Gedanken des Denkmalschutzes:

„PROPYLAEVM · AED · CATHEDR · TVENDIS · ANTIQ · GERM · MONIMM · INSTAVR · A·D·I·M·D·C·C·C·XXIIII“. Übersetzung: „Vorhalle der Cathedralkirche, wiederhergestellt zum Schutz der Denkmäler des deutschen Altertums im Jahre des Herrn 1824“. Der Text stammt von dem Göttinger klassischen Philologen Christoph Wilhelm Mitscherlich (1760 – 1854).

Tadel an Preußen und Westfalen

Die Erhaltung des Vorbaus der Kirche und die Sammlung der verbliebenen Einrichtung wird 1829 vom „Neuen vaterländischen Archiv“ als große Tat gepriesen, allerdings nicht ohne erst einmal die preußische Regierung sanft und die westphälische Herrschaft rüde zu tadeln. Aus typisch hannoverscher Sicht erinnert der Verfasser daran, „daß, wiewohl unter preußischer Herrschaft, dieses ehrwürdige Gebäude, wenn gleich nicht auf zweckmäßige Weise zu erhalten versucht, die westphälische Regierung, durch den von dem Minister des Innern am 22. Januar 1812 ertheilten Befehl, alles in und an demselben Vorzufindende meistbietend zu versteigern, dessen völligen Ruin veranlaßt hat, so daß im Jahre 1819 mit dem Abbruch desselben verfahren werden mußte.“

Inschrift an der Domvorhalle. Übersetzung: „Vorhalle der Cathedralkirche, wiederhergestellt zum Schutz der Denkmäler des deutschen Altertums im Jahre des Herrn 1824“.

Inschrift an der Domvorhalle. Übersetzung: „Vorhalle der Cathedralkirche, wiederhergestellt zum Schutz der Denkmäler des deutschen Altertums im Jahre des Herrn 1824“. Foto: Privat

Dieser argumentatorische Spagat wird ein fester Bestandteil der hannoverschen Erzählung: Angesichts der Tatsache, dass weder die Preußen noch die französischen Besatzer den Dom abgerissen haben, muss erklärt werden, warum ausgerechnet Hannover schließlich den Befehl dazu erteilt hat. Wohl um Preußen zu schonen, wird der Verlust der Dom-Preziosen allein der westphälischen Regierung angelastet, obwohl vieles schon davor verloren ging. Auch diese Erzählung verfestigt sich in der folgenden Zeit.

So wundert es nicht, dass es in der Fortsetzung heißt: „Daß dieser Abbruch unumgänglich nothwendig gewesen, beweisen die Berichte über den Zustand dieses unabwendbar den Einsturz drohenden Gebäudes zu der Zeit, als unsere Regierung in den Besitz von Goslar gelangte …“ Nach dieser Ouvertüre folgt der Lobpreis: „…aber, was derselben ewigen Ruhm bringen wird, ist, daß, bei dem nothwendig gewordenen Abbruche, mit möglichster Sorgfalt Alles gerettet worden ist, was sich nur irgend retten ließ.“ Der Verfasser ist nicht der einzige, der den Vorbau für den ältesten Bauabschnitt des Domes hält: „… der merkwürdigste Theil des Ganzen [blieb] also völlig erhalten.“

Dem „westfälischen Vandalismus“ entgangen

Ausführlich wird aufgezählt, welche Schätze, die „dem Westphälischen Vandalismus entgangen waren“, nun geborgen sind: „Den Hintergrund der Capelle, jedoch durch das dahinter befindliche und mit Draht übersponnene Fenster, sowohl geschützt, als erleuchtet, bildet das vormals auf dem hohen Chore vorhanden gewesene merkwürdige gemalte Glasfenster“ mit den drei Scheiben, die heute im Goslarer Museum zu sehen sind. Davor steht der „Altar des Crodo“. „In der Mitte der Capelle“ steht der hölzerne Sarkophag mit aufgeklapptem Deckel, darin die steinerne Platte. Diese drei Gegenstände gelten als „Hauptmerkwürdigkeiten“. Dann folgen „die steinernen Stufen zu dem sogenannten Kaiserstuhl“, dessen Lehne sich jetzt angeblich im Besitz der Prinzessin Wilhelm von Preußen befinde . Der Verfasser erkennt darauf „merkwürdige Gestalten“, die er samt einem Motiv auf der Hartmann-Säule abbildet. Schließlich nennt er „Die Mutter Gottes und die Geburt Christi, aus Glasfenstern entnommen und in einen hölzernen Rahmen gefaßt“, „Alte Wandtapeten und Teppiche …“, „Ein hölzernes Crucifix in halber Lebensgröße, darunter Maria und „zwei minder ausdrucksvolle Gestalten“, „Vier kolossale Personen, Maria, Jesus und zwei Kriegsknechte, in Holz gehauen“, „Zwei kleine Altarblätter…“, „Endlich Grabsteine der Wallmodenschen und Schwiecheldschen Familie, u.s.w.“

Die Aufzählung schließt mit dem Hinweis, dass man mit der Einrichtung noch nicht zum Ende gekommen sei: „Ein Theil dieser letztgedachten Gegenstände erwartet noch seine zweckmäßige Aufstellung; aufbewahrt wird außerdem noch ein in purpurfarbenen Sammet eingebundenes Diplom Kaisers Joseph II. vom Jahre 1787, wodurch den Stiftsherren, die Decoration eines goldenen Kreuzes, mit einer Krone, zu tragen verliehen worden ist.“ Im Jahre 1834 stellte der Magistrat einen „Konservator der Domkapelle“ ein, eine Position, die als erster (bis 1862) Carl Gelder übernahm. Er hatte die Aufgabe, die nach dem Verkauf des Inventars übriggebliebenen Ausstattungsgegenstände zu pflegen und Besuchern zu zeigen. Zur „Bequemlichkeit der Besuchenden“ schaffte er „vier alte mit rothem Tuch beschlagene Stühle aus 16tem Jahrhundert“ an.

Der Artikel wurde erstmals veröffentlich in den „Stadtgeschichten“, dem Magazin des Goslarer Geschichtsvereins. Es handelt sich um einen Auszug aus dem Buch „Goslars Dom – Eine Bilanz“, das demnächst in der Reihe „Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar / Goslarer Fundus“ erscheinen wird.

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