Weiß oder warm? So wird der Winter in Deutschland
Bei saisonalen Klimavorhersagen ist die Unsicherheit groß, da viele Faktoren mit einfließen müssen. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Wenn man doch schon wüsste, wie kalt der Winter in Deutschland wird. Muss viel geheizt werden? Ein milder Winter wäre mit Blick auf die Energiekrise für viele Verbraucher eine gute Nachricht. Modellrechnungen des Deutschen Wetterdienstes geben Aufschluss.
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Der Deutsche Wetterdienst (DWD) erwartet einen eher milden Winter in Deutschland. Die drei Monate Dezember, Januar und Februar könnten laut Modellrechnungen eine Mitteltemperatur von mindestens 2 Grad erreichen, erklärte der DWD am Donnerstag in Offenbach. Das vieljährige Mittel der Referenzperiode von 1991 bis 2020 lag im Winter mit 1,4 Grad darunter. Der kommende Winter würde demnach laut DWD zu den mildesten Wintern in dem Zeitraum gehören.
Gerade jetzt stellt sich die Frage, ob in der kalten Jahreszeit die Energie knapp wird. Jüngst prognostizierte der Helmholtz-Vizepräsident im Bereich Energie, Holger Hanselka, bei einem milden Winter werde es wahrscheinlich keine Engpässe geben.
„Für alle Energieverbraucher eine gute Nachricht”
„Die Winterprognose des Deutschen Wetterdienstes ist für alle Energieverbraucher eine gute Nachricht”, erklärte DWD-Vorstand Klima und Umwelt Tobias Fuchs. „Sollte das Modell recht behalten, können wir dadurch Heizenergie einsparen.” Auch Modelle anderer nationaler Wetterdienste wie des britischen Met Office oder von Meteo France gingen von einem etwas zu milden Winter in Deutschland aus.
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, erklärte, ein vergleichsweise milder Winter könne helfen, die notwendigen Einsparungen von mindestens 20 Prozent beim Gasverbrauch auch in den kommenden Monaten durchzuhalten. Es gebe zwar dank voller Gasspeicher eine gute Ausgangslage. Doch schon ein paar kalte Tage könnten ausreichen, dass der Verbrauch steige und die Speicher sich schnell leerten. Auch bei milderen Temperaturen sei Sparsamkeit das Gebot der Stunde.
Welche Faktoren beeinflussen den Winter in Mitteleuropa?
Ein „Blumenstrauß an Phänomenen“ bestimme, wie der Winter werde, erklärt Klimawissenschaftler Klaus Pankatz vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Eine relativ große Rolle spielt ein Phänomen in der Stratosphäre über dem Nordpol: der Polarwirbel. Dieser kann die Westwind-Zirkulation beeinflussen, die milde feuchte Luft vom Atlantik Richtung Mitteleuropa transportiert. Wird diese Zirkulation beeinträchtigt, kann kalte Luft zu uns gelangen.
„Wenn der Polarwirbel instabil ist - was im Winter regelmäßig vorkommt -, stört er die Stabilität der Westwind-Zirkulation. Dadurch macht er die Wahrscheinlichkeit für Kälteeinbrüche größer“, sagt Pankatz. Die gute Nachricht: „Im Moment ist der Polarwirbel auf absehbare Zeit sehr stark und stabil.“
Zudem hat etwa die Schneebedeckung in Sibirien und Zentralasien Einfluss auf den Verlauf des nächsten Winters. Der Klimawissenschaftler erklärt: „Eine hohe Schneebedeckung im Frühwinter verstärkt das sibirische Kältehochdruckgebiet. Es kann sich im Spätwinter weiter nach Westen ausbreiten und uns in der Folge kalte Ostlagen bescheren.“ Bei dieser Großwetterlage strömt kontinentale Luft von Osten nach Mitteleuropa.
Wie kommen saisonale Vorhersagen zustande?
Für saisonale Vorhersagen simulieren Computer auf Grundlage spezieller Klimamodelle mit einer riesigen Menge Daten verschiedene mögliche Wetter-Szenarien. So berechnen sie, mit welcher Wahrscheinlichkeit die kommende Jahreszeit nasser, trockener, wärmer oder kälter als im langzeitlichen Mittel wird. Es werden also immer relative Aussagen getroffen und niemals absolute Werte wie etwa konkrete Temperaturen genannt. „Saisonale Vorhersagen sind Klimavorhersagen, keine Wettervorhersagen“, erklärt DWD-Klimaforscher Andreas Paxian.
Was sind die Unterschiede zur Wettervorhersage?
Saisonale Vorhersagen arbeiten mit dem „Gedächtnis“ langfristiger Prozesse, sagt Pankatz. Die Simulationen der Wissenschaftler beziehen sich auf wiederkehrende und länger anhaltende klimatische Muster, die sich über große Gebiete erstrecken. „Bei der Wettervorhersage schaut man sich einzelne Tage an, etwa deren Höchst- und Tiefsttemperatur. Aber sobald man über den Zeitraum von zehn Tagen bis zwei Wochen hinaus ist, muss man anfangen zusammenzufassen, zu mitteln“, beschreibt der Klimawissenschaftler.
Bei der saisonalen Prognose ist es ein Drei-Monats-Mittel, das mit dem der Referenzperiode verglichen wird. „Auf der saisonalen Vorhersage-Skala macht es keinen Sinn, einzelne Tage anzuschauen.“ Und genau das ist „wichtig für die Aussage“, betont Pankatz. „Wenn wir sagen: Es gibt eine Tendenz für wärmere Zustände für das Drei-Monats-Mittel, dann können einzelne Tage, Wochen oder sogar ein ganzer Monat in diesem Zeitraum kalt sein.“
Welche Daten werden ausgewertet?
Für saisonale Prognosen arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem Erdsystem-Modell. Dafür ist die Erde in dreidimensionale Gitterboxen unterteilt, in denen jeweils der Zustand der Atmosphäre, des Ozeans, der Landoberfläche und des Meereises beschrieben wird.
„Ich muss auf der ganzen Weltkugel in einer bestimmten räumlichen Auflösung in der Höhe der Atmosphäre und der Tiefe des Ozeans überall Beobachtungspunkte haben“, beschreibt Paxian. Das sind zum einen gemessene Daten und zum anderen berechnete Werte für jene Teile des Erdsystems, für die es keine gemessenen gibt. Darüber hinaus fließen Annahmen zur Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre über die gesamte Zeit der Simulation ein.
Wie sicher sind die Ergebnisse?
Die Wissenschaftler lassen enorm viele Werte in ihre Simulation einfließen, von denen ein Teil auf Hochrechnungen basiert. „Da gibt es natürlich eine große Unsicherheit“, sagt Paxian. Kennen die Wissenschaftler etwa für einen Startwert nur den Bereich, in dem er liegt, lassen sie das Modell mit verschiedenen Werten rechnen.
Eine weitere Schwierigkeit: Man kenne längst nicht alle Prozesse und Wechselwirkungen von Atmosphäre, Ozean, Landoberfläche und Meereis. Somit fließen diese nicht in die derzeitigen Simulationen ein. Zudem stoßen Computer bei den komplexen Berechnungen schnell an Kapazitätsgrenzen. Paxian fasst zusammen: „Die Qualität der Vorhersage hängt davon ab, welcher Zeitraum, welcher Ort und welche Variable betrachtet wird.“
Und wie sieht die saisonale Prognose derzeit aus?
Die DWD-Wissenschaftler werten gerade Daten von verschiedenen Klimamodellen für Deutschland aus. Dafür berechnen sie, wie viele der Modelle anteilig warm, normal oder kalt im Verhältnis zur jeweiligen Referenzperiode als Ergebnis haben. Der DWD selbst vergleicht für den Zeitraum 1991 bis 2020, andere einbezogene Modelle arbeiten mit länger zurückreichenden Referenzperioden. Der aktuelle Stand, so Paxian: „Für die drei Monate - November, Dezember, Januar - sehen wir eine leichte Tendenz für wärmere Bedingungen.“
An einzelnen Tagen oder Wochen könne es dennoch deutlich kälter als im vieljährigen Mittel werden, teilte der DWD mit. Die Winterprognose basiert auf saisonalen Klimavorhersagen, die klimatische Tendenzen über größere Gebiete und längere Zeiträume im Vergleich zu einem durch Messwerte abgedeckten Referenzzeitraum der Vergangenheit vorhersagen.