Verfolgungsjagd durch Sudmerberg: Bewährungsstrafe für Raser

Aus der Haft heraus schickte der Angeklagte ein Entschuldigungsschreiben an die Goslarer Polizeidirektion. Im Amtsgericht wird der 41-Jährige nun zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er Polizeibeamte angegriffen hat. Archivfoto: Epping
Schon im März 2021 hatte sich ein 29-jähriger Mann in einer wahnwitzigen Verfolgungsjagd einer Polizeikontrolle entziehen wollen. Er raste kreuz und quer durch Goslar. Jetzt stand der Mann vor dem Schöffengericht und erhielt eine Bewährungsstrafe.
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Goslar. Für die spektakuläre Verfolgungsjagd im März 2021, die von Polizeibeamten im Stadtteil Sudmerberg mit Schüssen in die Reifen des Fluchtautos beendet wurde (die GZ berichtete), musste sich nun der 29-jährige Fahrer vor dem Schöffengericht verantworten.
In Übereinstimmung mit dem Antrag des Staatsanwaltes bekam der Mann für den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Sachbeschädigung und Widerstand gegen Polizeibeamte eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Für den Schaden am Streifenwagen, den er rammte, muss er aufkommen. Bisher verfügte der Mann nur über eine Fahrerlaubnis aus seinem Heimatland Aserbaidschan. Den deutschen Führerschein bekommt er für die Dauer von eineinhalb Jahren nicht ausgestellt.
Kameraaufnahmen lassen den Atem stocken
Die Beweise waren eindeutig, bestanden diese doch primär aus der Kameraaufzeichnung eines der verfolgenden Beamten. So konnte der Ablauf des Geschehens per Großbildschirm im Gerichtssaal verfolgt werden. Die Bilder eines durch die Stadt rasenden Wagens, der sich weder um rote Ampeln noch um Stoppschilder oder vorfahrtsberechtigte andere Straßenteilnehmer scherte, ließen einen das Atmen vergessen. Die Perspektive der Körperkamera, die in der Regel im Bereich der Schulter sitzt, und die Tonspur, über die man quietschende Reifen, gegeneinanderkrachende Autos und schließlich Pistolenschüsse hören konnte, taten ihr Übriges.
Das Ganze begann als einfache Verkehrskontrolle in der Nähe des Breiten Tores, der sich der 29-Jährige durch plötzliches Beschleunigen entzog. Die Polizeikommissare nahmen sofort die Verfolgung auf. Der Skoda raste ohne jede Rücksicht durch die Stadt auf die B6, verließ diese in Richtung Baßgeige, nur um sofort wieder auf die Schnellstraße Richtung Bad Harzburg zu brausen. Beim Abbiegen nahm er einem Krankenwagen die Vorfahrt. Auf der B6 beschleunigte er zum Teil auf 180 Stundenkilometer. An der Abfahrt Vienenburg verließ er die B6 und bog Richtung Goslar ab. Dann fuhr der Fluchtwagen in den Stadtteil Sudmerberg und raste durch eine 30er Zone, eine enge, mit parkenden Autos gesäumte Wohnstraße. Ein Anwohner trat auf die Straße, um dem Raser zu verdeutlichen, dass er langsamer fahren solle. „Ich dachte nur, bitte geh von der Straße!“, erzählte die involvierte Polizistin noch immer sichtlich bewegt im Zeugenstand. Der Wagen habe keine Anstalten gemacht, abzubremsen, so die Zeugin. Der Mann hatte sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Schließlich fuhr sich der flüchtende Wagen vor einer Sperre fest, die den dahinter liegenden Fußweg abtrennte. Der Streifenwagen postierte sich dahinter, um eine weitere Flucht zu verhindern.
Auto knallt gegen die Wand, Fahrer versucht wegzulaufen
„Der war wie von Sinnen, der wollte nur weg“, erzählte eine weitere Augenzeugin. Tatsächlich legte der Flüchtende den Rückwärtsgang ein, rammte den Polizeiwagen mehrfach und schob diesen ein Stück beiseite. Einer der Polizisten hatte den Streifenwagen zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen, seine Kollegin saß während der Kollision noch drinnen. Als der 29-Jährige Anstalten machte, seine Flucht fortzusetzen, zogen die Beamten ihre Waffen und schossen in die Reifen. Der manövrierunfähige Fluchtwagen knallte gegen eine Hauswand. Der Flüchtende sprang heraus und versuchte es zu Fuß. Die Polizisten erwischten ihn und rangen ihn zu Boden. Nach weiteren kurzen Widerstandshandlungen konnten sie ihm die Handfesseln anlegen und ihn den mittlerweile eingetroffenen Kollegen übergeben.
Als Motiv dieser irrationalen Verfolgungsjagd wurde zunächst vermutet, dass sich der 29-Jährige der Polizei entziehen wollte, weil er keine gültige Fahrerlaubnis besaß. Doch der Angeklagte gab ein ganz anderes Motiv an. Er sprach von einer Panikattacke, die ihn stets überfalle, wenn er Polizisten sehe. Als er sich 2017 in seine Heimat begeben habe, sei er von aserbaidschanischen Polizisten festgenommen und schwer misshandelt worden. Das habe ein Trauma bei ihm ausgelöst. „Ich hätte anhalten sollen, aber ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle“, bekannte der 29-Jährige reumütig.
Geordnete Verhältnisse und Therapie gegen Panikattacken
Dass seine Reue echt war, zeigte sich daran, dass der Angeklagte bereits die Hälfte des rund 10.000 Euro umfassenden Schadens zurückgezahlt hat. Auch hat er eine Therapie begonnen, um seine Panikattacken in den Griff zu bekommen. Dies, sowie der Umstand, dass der 29-Jährige in geordneten Lebensverhältnissen mit einer Festanstellung lebt, brachte ihm dann doch eine Bewährungschance ein. Möglicherweise könnte jedoch nun seine Aufenthaltsberechtigung gefährdet sein, zumal der 29-Jährige schon einmal wegen eines Diebstahls auffiel.