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Nach Großrazzia

„Reichsbürger“-Verdacht: Verfahren gegen zwei Polizisten

Einsatzkräfte der Polizei kontrollieren vor einem Veranstaltungsgelände anreisende Teilnehmer eines mutmaßlichen Reichsbürgertreffens und stellen dabei ein verändertes Kennzeichen an einem Fahrzeug fest. Foto: picture alliance/dpa | -

Einsatzkräfte der Polizei kontrollieren vor einem Veranstaltungsgelände anreisende Teilnehmer eines mutmaßlichen Reichsbürgertreffens und stellen dabei ein verändertes Kennzeichen an einem Fahrzeug fest. Foto: picture alliance/dpa | -

Nach einer Razzia gegen „Reichsbürger“ im vergangenen Dezember hat das niedersächsische Innenministerium Disziplinarverfahren gegen zwei Polizeibeamte eingeleitet. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, einen gewaltsamen Umsturz geplant zu haben.

Von Sebastian Krause Samstag, 02.09.2023, 12:00 Uhr

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Hannover. Nach einer Großrazzia gegen sogenannte Reichsbürger im vergangenen Dezember hat das niedersächsische Innenministerium Disziplinarverfahren gegen zwei Polizeibeamte eingeleitet. Hintergrund sei der Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Zusammenhang mit der „Reichsbürger“-Gruppe, teilte das Ministerium am Freitag mit. In einem Fall handele es sich um einen Polizeioberkommissar im Ruhestand, dessen Bezüge bereits um 30 Prozent gekürzt wurden. Nach Informationen des NDR Niedersachsen war er zuletzt bei der Polizeidirektion Göttingen beschäftigt, gehörte in früheren Jahren auch einer Spezialeinheit an.

Beim zweiten Fall gehe es um einen Kriminalhauptkommissar. Er war zuletzt längere Zeit krank und im Landeskriminalamt in der Abteilung Staatsschutz beschäftigt –  ausgerechnet der Dienststelle, die sich zentral auch mit Ermittlungen gegen Reichsbürger beschäftigt. Er ist bereits seit Dezember vorläufig vom Dienst enthoben, zudem wird ein Teil seines Gehalts einbehalten.

Weiterer Beamter ist bereits vor Festnahme aus Dienst entfernt

Ein weiterer Beamter, der ebenfalls im Zusammenhang mit Heinrich XIII. Prinz Reuß als einen der mutmaßlichen Rädelsführer präsent war, sei bereits vor den Festnahmen aus dem Dienst entfernt worden, sagte ein Ministeriumssprecher. Die Disziplinarverfahren wurden den Angaben zufolge für die Dauer der strafrechtlichen Ermittlungen ausgesetzt. In einem Fall sei der Beamte zugleich vorläufig des Dienstes enthoben worden, zudem wird ein Teil seines Gehalts einbehalten. Die Bezüge des Beamten im Ruhestand seien bereits um 30 Prozent gekürzt worden.

Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sagte dem NDR: „Wir unterstellen den beiden, dass sie ihrer Pflicht zur Verfassungstreue nicht nachkommen, dass sie im Reichsbürgermilieu sozialisiert sind und dass sie die Bundesrepublik Deutschland und ihre Gesetze ablehnen.“ Auch wenn es nur zwei von mehr als 21.000 Beamten seien, sei jeder Einzelfall zu viel und werde geahndet. „Das sind ernste Vorwürfe, wir prüfen die Ruhestandsgehälter und die Entfernung aus dem Dienst“, sagte Behrens dem NDR.

Verteidiger: „Er sagt, er habe nichts von Umsturzplänen gewusst“

Nach der Großrazzia mit zahlreichen Festnahmen vor neun Monaten sind vier weitere Niedersachsen immer noch in Untersuchungshaft. Darunter Michael F., ehemaliger Experte für Einbruchschutz bei der Polizei Hannover. Er wurde mittlerweile aus dem Dienst entfernt. Die Bundesanwaltschaft ordnet ihn einem militärischen Arm der Gruppe zu. Einer seiner Verteidiger, Martin Heynert, sagte dem NDR Niedersachsen, sein Mandant habe sich in den Vernehmungen eingelassen, er weise die Vorwürfe aber zurück: „Er sagt, er habe nichts von Umsturzplänen gewusst – und wenn er etwas gewusst hätte, wäre er ausgestiegen.“ F. habe keinesfalls Menschen gefährden wollen.

Die Bundesanwaltschaft wirft der Gruppe vor, einen gewaltsamen Umsturz geplant zu haben. Im Gegensatz zu den Ermittlern rechnet Verteidiger Heynert seinen Mandanten nicht dem inneren Kreis zu. Er gehöre vielmehr einem Umfeld von etwa 80 Menschen an, die nach seinen Angaben vor allem der Reichsbürgerideologie anhingen, die esoterisch geprägt und gegen die strikten Corona-Regeln gewesen seien.

Hat der russische Staat die Gruppe finanziell unterstützt?

Wie NDR Niedersachsen weiter berichtet, sollen die Ermittlungen dem Vernehmen nach weitgehend abgeschlossen sein. Der Verteidiger ist aber der Ansicht, dass wesentliche Bereiche weiter ausgeleuchtet werden sollten – etwa, inwieweit der russische Staat die Gruppe finanziell oder ideologisch unterstützt habe. Auch eine Ärztin aus Vechelde sitzt weiter in Untersuchungshaft, ebenso ein Anwalt aus Hannover und ein Finanzberater, der rund 140.000 Euro an die Vereinigung gespendet haben soll. Er wurde erst im Mai verhaftet. Mit einem Gerichtsprozess wird zum Jahresende gerechnet.

Sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik an. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht von rund 23.000 Menschen aus, die dieser Szene angehören. Die Bundesanwaltschaft hatte Anfang Dezember 2022 mehr als zwei Dutzend Verdächtige in Deutschland, Österreich und Italien festnehmen lassen, darunter frühere Offiziere, Polizeibeamte und eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete. Die Gruppe um den ebenfalls inhaftierten Reuß soll vorgehabt haben, das politische System in Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen.

Mit Material von dpa

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