Kriseninterventionsteam hilft in schrecklichen Situationen

Abrufbereit: Am Rande eines Einsatzes hält sich Thomas Exner vom Kriseninterventionsteam bereit. Archivfoto: Epping
Das Kriseninterventionsteam im Landkreis Goslar ist gefordert, wenn für Menschen die Welt zusammenbricht, weil sie Angehörige verlieren oder weil Menschen bei Unfällen schwer verletzt werden. Wie bewältigen die Helfer ihre schwierige Arbeit?
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Harz. Eine ungewöhnliche Serie schwerer Unfälle, bei denen mehrere Menschen starben, hat Ende Oktober und Anfang November im Landkreis Goslar die Einsatzkräfte gefordert. Kreisbrandmeister Uwe Fricke hatte angesichts der Toten und von zertrümmerten Autos von „belastenden Einsätzen“ gesprochen. Wie gehen geschulte Kräfte des Kriseninterventionsteams mit solchen Tragödien um?
Oft erfahren die ehrenamtlichen Kräfte des 2014 gegründeten Kriseninterventionsteams erst in letzter Sekunde, was sie an einer Unfallstelle oder einem Tatort erwartet. Viel Zeit, sich darauf einzustellen, bleibt also nicht. Thomas Exner (66), Pastor im Ruhestand, erinnert sich an einen Einsatz und berichtet, dass er von der Polizei, die ihn um Hilfe bat, erst wenige Minuten vor dem Eintreffen bei einer Rentnerin erfuhr, dass er ihr mitteilen solle, dass eine Tochter in Süddeutschland starb. Exner sagt: „Es war mitten in der Nacht, und ich habe mich gefragt, müssen wir das jetzt machen?“ Die Dunkelheit flöße den Menschen „noch mehr Angst“ ein.
Schockierende Momente
Sabine Meyer kennt solche Situationen. Die 59-Jährige arbeitet im Jugendamt des Landkreises und hat sich 2017 für die Arbeit im Kriseninterventionsteam ausbilden lassen, ein halbes Jahr und 80 Stunden umfasst die Vorbereitung auf die Aufgaben.

Sabine Meyer
Schon häufiger musste Sabine Meyer, wie der ehemalige Pastor Thomas Exner ebenfalls, Hinterbliebenen mitteilen, dass ein Angehöriger bei einem Unglück starb. „Todesnachrichten überbringen“ heißt das. Die fürchterliche Situation beschreibt sie mit folgenden Worten: „Man geht auf ein Haus zu und weiß, man wird eine Welt zerstören.“ Es sind offenbar Szenen, die sich in ihr Gedächtnis gegraben haben, wenn sie sagt: „Die Lichter gehen an und die Tür geht auf und jemand erfährt, dass jemand gestorben ist.“ Wenn sie wieder gehe, fühle sie sich, als hinterlasse sie einen „Trümmerhaufen“. Sabine Meyer sagt: „Das macht einen traurig.“
Dankbarkeit spürbar
Häufig erhalte sie Zuspruch für ihren Einsatz, das berichtet auch Thomas Exner. Die Menschen würden sich dankbar zeigen und sagen, dass sie froh sind, „dass es uns gibt“.

Thomas Exner
In erster Linie kümmern sich die Krisen-Helfer um Unfallopfer und Angehörige. Einsatzkräfte suchen nach den Erfahrungen von Exner und Meyer seltener Rat, sie würden Probleme wohl eher in der Gruppe besprechen. Es gebe aber manchen, der nach Einsätzen grübele, ob er alles richtig gemacht habe und nicht noch besser hätte helfen können. Exner sagt, er habe erst kürzlich einem Feuerwehrmann nach einem Brand in Langelsheim, bei dem eine Frau starb, bestärken müssen, dass er alles richtig gemacht habe. Das habe ihm der Einsatzleiter zuvor bestätigt.
Einfach ist die Arbeit sicher nicht. Sabine Meyer sagt, in den Situationen, in denen Menschen verzweifeln, komme es darauf an zuhören zu können und nicht zu sagen, wie das Leben funktioniert. Sie selbst arbeite ebenso wie ihre Mitstreiter das Erlebte auf, indem es in den Dienstbesprechungen erörtert wird. Das sei wie eine Supervision, eine besondere Form der beruflichen Beratung, erklärt Exner.
Immer erreichbar
Aber wie hält sie die schrecklichen Bilder von Unfall- und Unglücksstellen aus? „Ich bin sehr gut aufgestellt“, sagt Meyer. „Ich nutze die Zeit zu Hause, um abzuschalten, auch emotional.“ Wenn sie merken würde, dass sie die Bilder, die sie zu Gesicht bekomme, nach Hause trage, „müsste ich überlegen, ob ich das noch weitermachen kann“.
Dass die Arbeit nicht jedermann liegt, ist offensichtlich. Von 33 Interessenten, die das aktuell 15-köpfige Kriseninterventionsteam verstärken wollten, blieben nach ersten Gesprächen über die Arbeit der Gruppe nur 14 übrig, die im Januar die nächste Ausbildung beginnen. Das Team war 2014 auf Initiative von Christian Lenz gegründet worden, der beim Rettungsdienst für das Qualitätsmanagement zuständig ist. Zuvor hatte sich die Notfallseelsorge aufgelöst. Wer Dienst im Interventionsteam hat, ist 24 Stunden über den Notruf 112 erreichbar, dort liegen die Telefonlisten des Teams bereit.
So erhielt Thomas Exner seinerzeit nachts einen Anruf, dass er der Seniorin die Nachricht vom Tod ihrer Tochter überbringen sollte. Wie ist die Geschichte ausgegangen? Exner sagt: „In der Nacht war es nicht möglich, sie zu erreichen, niemand hat die Tür geöffnet.“ Er fügt hinzu: „Gott sei Dank.“ Am Tag seien dann auch Nachbarn gekommen, um der Frau ebenfalls beizustehen.
Darin steckt eine wichtige Botschaft an Menschen, die Zeugen von Unfällen werden, mit dem Handy vielleicht im Vorbeifahren schnell Fotos schießen und diese dann gedankenlos ins Netz stellen. Nach den Erfahrungen von Sabine Meyer und Thomas Exner ist es für Hinterbliebene noch schmerzhafter auf diese Weise erfahren zu müssen, dass sie einen nahestehenden Menschen verloren haben. Zumal wenn vielleicht niemand bei ihnen ist, der ihnen beisteht.