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Mörder und Straftäter als Kunden

Gefahren im Job? Schwangere Goslarerin zeigt Arbeitgeber an

May Biermann ist schwanger und hat Probleme mit ihrem Arbeitgeber. Sie erhielt keine Gefährdungsbeurteilung, und ihr Gehalt steht seit Anfang Januar – wegen Zweifeln an ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – aus. Jetzt hat sie das Gewerbeaufsichtsamt eingeschaltet. Foto: Hartmann

May Biermann ist schwanger und hat Probleme mit ihrem Arbeitgeber. Sie erhielt keine Gefährdungsbeurteilung, und ihr Gehalt steht seit Anfang Januar – wegen Zweifeln an ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – aus. Jetzt hat sie das Gewerbeaufsichtsamt eingeschaltet. Foto: Hartmann

May Biermann betreut psychisch Kranke, darunter ehemalige Straftäter, auch Mörder. Nun ist sie schwanger und hat Stress mit der Firma. Eine Gefährdungsbeurteilung erhielt sie nicht. Seit Januar gibt es auch kein Gehalt mehr.

Von Petra Hartmann Montag, 19.02.2024, 08:00 Uhr

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Goslar. May Biermann ist schwanger. Eigentlich ein Grund zur Freude. Doch inzwischen stehen die Zeichen zwischen der 24-Jährigen und ihrem Arbeitgeber, der „Neue Wege Neue Chancen gGmbH“, auf Sturm. Strittig sind eine Gefährdungsbeurteilung für die Schwangere und ihr seit Januar ausstehendes Gehalt.

Biermann ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet sei März als qualifiziere Assistenz bei „Neue Wege Neue Chancen“. Die Goslarerin betreut psychisch kranke Menschen. Es gehe um Begleitung beim Arztbesuch, Hilfe beim Putzen, Ernährungsfragen, Unterstützung bei der Lebensführung. Das klingt harmlos, doch seien „auch Personen, die gefährlich sind“, darunter, ehemalige Straftäter – „wir haben auch Mörder“ – und Kunden, die „Substanzen“ nehmen. Gewalttätig sei noch keiner gegen sie geworden: „Bisher gab es nur Beleidigungen und Gewalt gegen Gegenstände“, sagt sie. Es komme vor, „dass sie mich anschreien und mit der Faust auf den Tisch hauen“. Als Krankenschwester habe sie auf der Intensivstation Schlimmeres erlebt.

Streit um Dokument

Doch seit September ist sie schwanger. Anfang November gab sie dies der gGmbH bekannt und erwartete eine Gefährdungsbeurteilung. Die Erstellung ist laut Mutterschutzgesetz Pflicht. Aber: „Mein Arbeitgeber hatte auch nach mehrmaligem Nachfragen keine Gefährdungsbeurteilung für mich. Nach drei Wochen, in denen mein Arbeitgeber mehrfach gegen das Mutterschutzgesetz verstoßen hatte, konnte ich nicht mehr“, erzählt die werdende Mutter. „Ich war mehrfach gezwungen, Überstunden zu machen, konnte keine Pausen nehmen. Außerdem kam es zu Auseinandersetzungen mit Klienten, diese sind in diesem Beruf natürlich gang und gäbe, aber ich habe mich als Schwangere sehr unsicher gefühlt. Ich wies meinen Arbeitgeber darauf hin, aber er reagierte nicht.“ Auch ihr Frauenarzt habe die Beurteilung vergeblich angefordert.

Im Dezember habe sie den Fall dem Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig gemeldet. Dort sei dann die Beurteilung eingegangen. „In dieser steht, es gebe keinerlei Gefährdungen an meinem Arbeitsplatz“, sagt sie. „Ich wies meinen Berater darauf hin, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Mein Arbeitgeber hatte zum Beispiel behauptet, ich würde nur in Goslar im Büro arbeiten.“ Inzwischen wurde sie nach Osterode versetzt, sodass nun das Gewerbeaufsichtsamt Göttingen zuständig ist. Dessen Leiterin Annette Kruggel bestätigte auf Anfrage, dass ihre Behörde in dem Fall tätig sei. „Wir stehen im engen Austausch mit der Betroffenen“, sagte sie. Mehr Informationen könne sie wegen der noch laufenden Überprüfung nicht geben.

Frauenarzt verhängt Beschäftigungsverbot

Die 24-Jährige war inzwischen mehrfach krank geschrieben, ihr Frauenarzt verhängte schließlich ein Beschäftigungsverbot. Mit für Biermann üblen Folgen: Seit Anfang Januar bekommt sie kein Gehalt mehr. Begründung des Arbeitgebers sind Zweifel an ihrer Erkrankung. Biermann nahm sich einen Anwalt. Im März soll der Fall am Göttinger Amtsgericht verhandelt werden.

Bei „Neue Wege neue Chancen“ sieht man die Sache anders. Prokurist Christoph Filler betont, man habe Biermann „zur Vermeidung der Gefährdung angewiesen, sich aus der aufsuchenden Tätigkeit zurückzuziehen und den Bereich der Verlaufsberichte, Bürotätigkeiten und des allgemeinen Tagesgeschehens zu übernehmen“. Sie sei aufgefordert worden, „kürzer zu treten und 14 Arbeitsstunden abzugeben“. Damit solle auch sichergestellt werden, dass sie Arbeitszeiten gemäß dem Mutterschutzgesetz erhalte und keine Überstunden anfielen. Es sei „nicht richtig, wenn die Behauptung erhoben wird, dass keine Gefährdungsbeurteilung erfolgt sei“.

Chef sieht sich im Recht

Filler betont, es sei „üblich und rechtlich nicht zu beanstanden“, dass nach Bekanntgabe der Schwangerschaft „unmittelbar, auf Grundlage einer allgemein vorliegenden Gefährdungsbeurteilung, Maßnahmen ergriffen werden, um für das Unternehmen erkennbare Gefährdungslagen auszuschließen“. Ebenfalls üblich und rechtlich nicht zu beanstanden sei, „dass erst, nachdem diese Maßnahmen ergriffen wurden, zu einem späteren Zeitpunkt eine Dokumentation erfolgt“. Zwar werde empfohlen, die Beurteilung und ihre Dokumentation noch einmal mit der Schwangeren durchzugehen und das Papier zum Nachweis der Kenntnisnahme zu unterzeichnen. „Dies ist aus Ermangelung an Zeit bisher unterblieben, da die Arbeitnehmerin erkrankte beziehungsweise ein Beschäftigungsverbot hatte und auf den Vorschlag, sich gemeinsam zur Besprechung der Gefährdungsbeurteilung zusammenzusetzen, bisher nicht eingegangen ist.“ Die Beschwerde beruhe „offensichtlich auf der fehlerhaften Vorstellung der Beschäftigten, sie hätte einen Rechtsanspruch auf Aushändigung einer schriftlichen Gefährdungsbeurteilung“. Er weise den Vorwurf „mangels Anspruch und auch aufgrund der fehlenden eigenen Mitwirkung der Beschäftigten zurück“. Filler legt Mail-Kopien aus dem Dezember als Beleg für Gesprächsangebote vor. Biermann betont: „Bis heute antwortet mir mein Chef nur einmal monatlich auf Mails. Ich habe ihn in all den Wochen im dreistelligen Bereich versucht anzurufen und bitte in jeder Mail um Rückruf.“

Krankheit mit Ansage?

Was das einbehaltene Gehalt angeht, sieht Filler sich im Recht. Grund sei, „dass die Beschäftigte sich mit der Begründung krank meldete, dass sie so lange nicht zur Arbeit erscheinen würde, bis sie vom Arbeitgeber die von ihr geforderte schriftliche Gefährdungsbeurteilung erhalten würde“. Dies habe sie mehrfach telefonisch und per E-Mail angekündigt. In einer Mail vom 28. November war zu lesen: „Werde aber auf jeden Fall auch weiterhin nicht kommen, weil mir noch immer keine Gefährdungsbeurteilung vorliegt. Mal sehen, was mein Frauenarzt sich da weiter einfallen lässt.“ Für Filler ist dies der Beleg dafür, dass bei den Krankmeldungen etwas nicht in Ordnung sei. Er fordert Beweise für die Erkrankung, etwa ein ärztliches Attest. Anfang Januar schrieb er: „Bis heute hast du die formulierten ernsthaften Zweifel an der Erkrankung nicht ausgeräumt. Entsprechend besteht (zunächst) kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.“ Wobei Biermann betont, sie habe angeboten, zum Betriebsarzt zu gehen oder ein Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen zu besorgen. Biermann: „Ich habe eine Risikoschwangerschaft, und mir geht es aktuell jeden Tag psychisch immer schlechter, gestern dachte ich bereits über eine Einweisung nach, weil ich einfach nicht mehr kann.“

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