Zähl Pixel
Koalitionsausschuss

Die Ampel-Beschlüsse – und was sie bedeuten

Die Parteichefs der Koalitionsparteien Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP, v.r.) sprechen im Bundestag nach dem Koalitionsausschuss. Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP haben nach dreitägigen Verhandlungen eine Einigung in mehreren Streitfragen erzielt. Foto: Michael Kappeler, dpa/pa

Die Parteichefs der Koalitionsparteien Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP, v.r.) sprechen im Bundestag nach dem Koalitionsausschuss. Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP haben nach dreitägigen Verhandlungen eine Einigung in mehreren Streitfragen erzielt. Foto: Michael Kappeler, dpa/pa

Fast drei Tage Ringen hinter verschlossenen Türen. Am Ende habe sich das alles gelohnt, verkündeten die Spitzen der Ampel-Koalition am Dienstagabend. „Wir haben echte Durchbrüche erzielt“, sagte FDP-Chef Christian Lindner.

Mittwoch, 29.03.2023, 07:31 Uhr

Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!

Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP haben nach dreitägigen Verhandlungen eine Einigung in mehreren Streitfragen erzielt. SPD-Chef Lars Klingbeil sprach am Dienstagabend in Berlin nach Beratungen des Koalitionsausschusses von einem „Bündel an Maßnahmen“ bezogen auf einen schnelleren Ausbau der Infrastruktur, Anpassungen beim Klimaschutzgesetz und der Umrüstung von Heizungen. Klingbeil, Grünen-Chefin Ricarda Lang und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner äußerten sich zufrieden mit den Ergebnissen.

Klingbeil sagte, vorgesehen sei, Planungs- und Genehmigungsverfahren „massiv zu beschleunigen“. Das Klimaschutzgesetz solle effizienter gestaltet werden, um es besser erreichbar zu machen, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann. Bei der „Wärmewende“ mit dem Umbau von Heizungen solle für soziale Gerechtigkeit gesorgt werden.

Lang sagte, die Koalition wolle zudem die Lkw-Maut erhöhen, um mehr Spielraum für Investitionen in die Bahn zu haben. Das Geld daraus solle zu 80 Prozent in den Ausbau der Schiene fließen. Nach Angaben Lindners vereinbarten die Koalitionäre zudem einen beschleunigten Ausbau auch von Autobahnstrecken. Dafür sollten 140 Autobahnprojekte künftig im überragenden öffentlichen Interesse liegen.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bereits vor Abschluss der Beratungen ein „gutes Gesamtwerk“ im Aussicht gestellt und gesagt: „Es wird sich gelohnt haben.“ Die Ampel-Koalition hatte seit Sonntagabend mit Unterbrechungen um Kompromisse in diversen Streitfragen gerungen.

Klimaschutz soll flexibler gestaltet werden

Die Ampel-Koalition will mehr Flexibilität bei der Erreichung der deutschen Klimaziele ermöglichen.  Bisher wird der jährliche Ausstoß an Treibhausgasen für die Wirtschaftsbereiche wie Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges erhoben. Überschreitet ein Bereich die mit den deutschen Klimazielen vereinbaren Jahresmengen, müssen die zuständigen Bundesministerien sogenannte Sofortprogramme für mehr Klimaschutz ausarbeiten.

An dieser jährlichen Erhebung der Treibhausgas-Emissionen für jeden Sektor will die Ampel-Koalition zwar festhalten. Nachsteuern soll die Bundesregierung künftig aber erst, wenn die Daten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren auf eine Verfehlung der Klimaziele für das Jahr 2030 hindeuten – und zwar für alle Sektoren zusammen.

Bis 2030 will Deutschland seinen Ausstoß an Treibhausgasen um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 senken. „Alle für die Sektoren verantwortlichen Bundesministerien, insbesondere jene, in deren Zuständigkeitsbereich die Sektoren liegen, die die Zielverfehlung verursacht haben, haben zu den Maßnahmen der Minderung beizutragen“, heißt es im Einigungspapier. „Die Sektorziele bleiben bestehen als Prinzip des Klimaschutzgesetzes. Es wird aber einfacher, sich untereinander zu helfen“, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang.

Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein, also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen als wieder gespeichert werden können. Dabei werde die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CO2) eine Rolle spielen, heißt es in dem Papier. „Die Bundesregierung wird für die Jahre 2035, 2040 und 2045 ein Ziel für Negativemissionen festlegen.“ Das soll erstmals 2024 passieren.

„Absolute Katastrophe“

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nannte die Reform eine „absolute Katastrophe“ und forderte den Bundestag auf, das „Desaster“ zu verhindern. „Ohne dass die verantwortlichen Ministerien zu jährlichen Minderungen verpflichtet werden, verkommt das Klimaschutzgesetz zum Papiertiger – und das wird dazu führen, dass Deutschland seine Verpflichtungen des Pariser Klimaschutzvertrages zur Begrenzung der Erderhitzung reißt“, erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

Heizungstausch: Pläne noch in Arbeit

Die Ampel-Koalition will den Einbau klimafreundlicherer Heizungen angehen. Das Gebäudeenergiegesetz solle entsprechend reformiert werden, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang. Es solle dabei einen sozialen Ausgleich geben. „Man kann sagen: Niemand wird im Stich gelassen.“ Auch SPD-Chef Lars Klingbeil betonte die Bedeutung sozialer Gerechtigkeit in diesem Punkt.

Laut Beschluss will das Kabinett den entsprechenden Gesetzentwurf im April beschließen. FDP-Chef Christian Lindner sagte, die Vorschläge sollten nun „finalisiert“ werden. Geld solle aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen. Es solle der Grundsatz der „Technologiefreiheit“ gelten und Heizungen zum Beispiel auch mit grünem und blauem Wasserstoff oder Biomasse genutzt werden können.

Keine Austauschpflicht 

Heizungen mit fossilen Energieträgern sollten weiter betrieben werden können, wenn sie künftig mit klimafreundlichen Gasen genutzt werden könnten. Das Ganze sei noch in Arbeit, sagte Lindner. Für bestehende Heizungen werde es keine Austauschpflicht geben, nur für neu eingebaute Heizungen. „Und wir werden bei bestimmten Alters- und Einkommensgruppen automatisch auch darauf achten, dass die Vorgaben nicht belastend oder bindend sind.“

Bereits vor einem Jahr hatte die Koalition sich eigentlich darauf geeinigt, dass ab dem 1. Januar 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Über einen ersten Gesetzentwurf dazu aus dem Wirtschafts- und dem Bauministerium, der Ende Februar bekannt wurde, wurde heftig diskutiert.

Mehr Klimaschutz im Verkehr 

Die Ampel-Koalition will mehr Klimaschutz im Verkehr voranbringen. Dazu sollten unter anderem „erhebliche Mittel“ zur Modernisierung und Erweiterung des Schienennetzes bereitgestellt werden. Bei der bundeseigenen Deutschen Bahn gebe es dafür einen Investitionsbedarf bis 2027 von rund 45 Milliarden Euro.

Dieser solle unter anderem durch Einnahmen aus der Lkw-Maut auf Autobahnen und Bundesstraßen gedeckt werden. Bei der Nutzungsgebühr sollen demnach zum 1. Januar 2024 eine CO2-Differenzierung und ein CO2-Aufschlag von 200 Euro je Tonne eingeführt werden. Emissionsfreie Lkw sollen bis Ende 2025 von der Maut befreit und anschließend nur 25 Prozent des regulären Satzes zahlen müssen. Zudem sollen ab 2024 auch schon kleinere Lkw ab 3,5 Tonnen in die Mautpflicht einbezogen werden. „Handwerksbetriebe werden ausgenommen“, heißt es im Papier.

E-Fuels anschieben

Für Bahn-Vielfahrer soll das künftige 49-Euro-Ticket ohne Aufpreis in die Bahncard 100 integriert werden, so dass diese in allen Städten auch für den Nahverkehr genutzt werden kann. Weitere Punkte sind eine bessere Vernetzung von Verkehrsträgern etwa für Gütertransporte auf Schiene und Straße. Kurzfristige Anreize sollen Produktion und Nutzung klimaneutraler künstlicher Kraftstoffe auf Strombasis (E-Fuels) anschieben. Zugleich soll das Ladenetz für E-Autos weiter ausgebaut werden. So sollen Tankstellen verpflichtet werden, binnen fünf Jahren mindestens einen Schnellladepunkt anzubieten.

Beim Pkw-Kauf soll die Energieverbrauchskennzeichnung („Klima-Label) so reformiert werden, dass die Belastung über den Lebenszyklus des Fahrzeuges durch CO2-Bepreisung und Kfz-Steuer klarer ausgewiesen wird. Die Koalition ist sich zudem „einig, dass die Besteuerung von Kraftstoffen zukünftig stärker deren Umwelt- und Klimawirkung berücksichtigen sollte“. Für klimaneutrale Kraftstoffe sollten daher besonders innovations- und investitionsanreizende Steuersätze gelten.

Infrastrukturprojekte deutlich beschleunigen

Die Ampel-Koalition will Infrastrukturprojekte auf der Schiene und der Straße deutlich beschleunigen. Zentraler Baustein einer modernen und leistungsfähigen Infrastruktur sei der Ausbau und die Modernisierung des Schienennetzes. Dafür sollten Planung, Genehmigung und Umsetzung erheblich beschleunigt werden.

Die Koalition habe vereinbart, deutlich mehr Geld in die Schiene als in die Straße zu investieren und bei Straßen einen stärkeren Fokus auf Erhalt und Sanierung zu legen, mit besonderem Schwerpunkt auf Ingenieurbauwerke.

Für Bundesfernstraßen sei vorgesehen, dass existierende marode Brücken deutlich schneller und einfacher saniert beziehungsweise ersetzt werden können als bisher. Auch im Netz der Bundesfernstraßen gebe es Stauschwerpunkte und Engstellen, die den Verkehrsfluss stark beeinträchtigten. „Daher wird die Bundesregierung für eine eng begrenzte Zahl von besonders wichtigen Projekten und Teilprojekten zur Engpassbeseitigung das überragende öffentliche Interesse festschreiben.“ Das bedeutet zum Beispiel weniger Umweltschutzprüfungen.

FDP-Chef Christian Lindner sprach von 144 Projekten. Gerade um den schnelleren Bau auch von Autobahnen - eine Forderung der FDP - hatte es im Vorfeld ein hartes Ringen gegeben. Die Grünen hatten dies eigentlich sehr skeptisch gesehen.

Diskutieren Sie mit!
Weitere Themen aus der Region