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Adventsserie „Weihnachten mit Herz“

8. Dezember: Unvergessliches Weihnachtsfest in Namibia

Trocken und heiß, das ist Namibia im Südwesten Afrikas – auch zu Weihnachten. Friedgund Göttsche-Niessner verbrachte als Kind eine unvergessliche Zeit mit ihrer Familie in Namibia. Archivfoto: dpa

Trocken und heiß, das ist Namibia im Südwesten Afrikas – auch zu Weihnachten. Friedgund Göttsche-Niessner verbrachte als Kind eine unvergessliche Zeit mit ihrer Familie in Namibia. Archivfoto: dpa

In der GZ-Adventsserie „Weihnachten mit Herz“ schreiben Leser Geschichten, die Freude machen, nachdenklich sind und Hoffnung geben. Friedgund Götsche-Niessner aus Goslar erinnert sich an außergewöhnliche Weihnachtsfeste – vor allem in Namibia.

Donnerstag, 08.12.2022, 06:00 Uhr

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Goslar. Ich kann mich nicht erinnern, schon vorher einmal etwas so Schönes gesehen zu haben. Mein Vater war mit uns vier Kindern den ganzen Tag im VW-Bus unterwegs nach Rotterdam. Es war schon dunkel, als wir den Hafen erreichten und sich der Blick auf das dunkle Wasser auftat. Es spiegelte in langen Fahnen die bunte Lichtergalerie am Kai wieder. Ich konnte nur staunen. In zwei Tagen war Weihnachten. Welcher Weihnachtsbaum hätte mit diesem Anblick konkurrieren können?

Rotterdam sollte der Ausgangspunkt unserer großen, aufregenden Reise über den Ozean nach Südwestafrika werden. In der Hafenbehörde konfrontierte man uns mit der Realität. Das Schiff war nicht da! Es hatte Verspätung. Entweder führen wir nach Antwerpen und bestiegen dort das Schiff, oder wir warteten ein paar Tage in Rotterdam bis zum Eintreffen des Schiffes.

Im Hafen von Antwerpen

Mein Vater entschied sich für Antwerpen. Da es schon zu spät war, um weiterzufahren, übernachteten wir in einem Hotel. Bevor wir uns wieder auf den Weg machten, mussten wir noch meine Mutter informieren. So ein Anruf war etwas Besonderes, denn damals hatte noch nicht jeder ein Telefon. Meine Mutter war noch zu Hause. Auf dem Frachter, der uns nach Walfischbay (Walvis Bay) in Namibia bringen sollte, gab es nur zwölf Plätze für Passagiere – und sieben davon waren belegt. Daher würde meine Mutter mit dem Flugzeug nachkommen. Das Auswärtige Amt, über das mein Vater die Stelle als Mathematiklehrer an einer deutschen Schule erhalten hatte, bezahlte möglichst keine Flüge, sondern nur Schiffspassagen.

Eisbombe an Heiligabend

Es war ein erhabenes Gefühl über die lange Gangway hoch auf ein so riesiges Schiff zu steigen. Gleich der erste Tag an Bord sollte spannend werden. Mit einem Kran wurde das Schiff beladen. Auch unser VW-Bus war dabei. Anschließend wurde die Ladeluke geschlossen, und rundherum große Holzboxen mit grünen Planen wurden verladen, wie lauter kleine Ställe. Wir staunten: Zuletzt schwebten ihre Bewohner an langen Seilen in den Ring. Es waren etwa zwanzig Kühe. Weihnachten wie auf dem Bauernhof.

Der Steward übernahm für uns Geschwister die Rolle des Kindermädchens. Einige Matrosen schafften einen riesigen Weihnachtsbaum herbei. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es auf einem Schiff überhaupt einen Weihnachtsbaum gab. Wir durften helfen, den Baum zu schmücken – damals noch mit Lametta. Zuletzt erstrahlte der Saal in festlichem Glanz, und wir hatten mitgeholfen! Ein Weihnachtsgeschenk bekamen wir auch noch: Der Bootsmann hatte uns eine Schaukel auf Deck gebaut. Der Höhepunkt des Abends war der Einzug des Küchenpersonals – vorneweg der Steward mit einer riesigen Eisbombe, gespickt mit Funken sprühenden Wunderkerzen. Es war wie im Märchen.

Karg, aber fesselnd

Auf all den Glanz folgte die Kargheit eines trockenheißen Landes, das dennoch ungemein fesselte. So brach ein Jahr später ein ganz anderes Weihnachten über uns herein. Wie feiert man Weihnachten ohne Tannenbaum bei 50 Grad im Schatten? Baumständer und Kerzenhalter waren zu Hause geblieben, also in Deutschland. Kaufen? Das nächste Geschäft war in Windhoek, 120 Kilometer entfernt. Wir verbrachten die Weihnachtsferien auf einer abgelegenen Farm, die uns der befreundete Besitzer überlassen hatte, da er verreisen wollte.

Kerzen im Dornenstrauch

Bei der Wahl des Baumes konnte er also nicht helfen. Nach längerer Beratung entschieden wir, einen „Hacki“ abzusägen. Ein „Hacki“ ist ein Busch mit langen weißen Dornen, der dort überall im Busch wächst. Damit er nicht umfiel, wurde er an einen Küchenstuhl gebunden. Gut, dass meine Mutter bunte Kerzen mitgenommen hatte, denn nach zehn Jahren Dürre in diesem Land waren alle Pflanzen fahl und vertrocknet.

Zebras sind beliebte Motive bei Fotosafaris in Namibia.  Archivfoto: dpa

Zebras sind beliebte Motive bei Fotosafaris in Namibia. Archivfoto: dpa

Wir stachen Löcher von unten in die Kerzen, um sie dann auf die Dornen zu spießen. Zu unserem Entsetzen war das Wachs ganz weich geworden, und die Kerzen bogen sich gen Erdboden. Die Rettung war ein Petroleumkühlschrank – Strom gab es noch nicht für alle Dinge. Heiligabend fand daher nicht wie in unserer Heimat gegen 17 Uhr statt, sondern spät in der Nacht, als sich die Luft abgekühlt hatte. Ob es Geschenke gab, weiß ich nicht mehr. Die ganze Aufregung um den exotischen Weihnachtsbaum stand viel zu sehr im Vordergrund. Übrigens: Die Kerzen brannten wirklich an diesem Abend an unserem Hacki.

Unsere nächtliche Feier hatte aber auch ihren Nachteil. Um ins Bad oder auf die Toilette zu gelangen, musste man mit der Taschenlampe einmal ums Haus durch die Dunkelheit ins Nebengebäude laufen. Zwischen den Wänden und dem Wellblechdach war ein Spalt von 15 bis 20 Zentimetern. Das machten sich die Fledermäuse zunutze. Sie fanden dicht an dicht ihren Schlafplatz unter der Decke. Und die Toilette diente auch ihnen als solche. Die weiße Schicht auf dem Fußboden zeugte davon.

Skorpione und Schlangen

Das Gruseln bekam noch einen Faktor dazu. Der Farmer hatte uns erzählt, dass sein Vater beim nächtlichen Gang in dieses Gebäude durch einen Schlangenbiss zu Tode gekommen war. Daher hatten wir strikte Anweisung, Stiefel zu tragen. Erwähnt sei bei diesem Gedanken, dass jeden Morgen die Schuhe inspiziert wurden, damit kein Skorpion, der sich darin verkrochen hatte, unentdeckt bliebe.

Friedgund Göttsche-Niessner. Foto: Privat

Friedgund Göttsche-Niessner. Foto: Privat

Zur Sicherheit hatte mein Vater immer Schlangenserum dabei, das er sich vor unseren einsamen Abenteuern von der Missionsstation holte. Mein Vater fotografierte leidenschaftlich mit seinem Teleobjektiv. Die Mittelbank des VW-Busses wurde ausgebaut, und stattdessen wurden zwei Autoreifen auf den Boden gelegt. Obendrauf stand mein Vater und steckte seinen Kopf zum Schiebedach hinaus, die Kamera im Anschlag. Meine Mutter fuhr.

Ein Klopfzeichen wurde vereinbart, wenn meine Mutter halten sollte. Das klappte natürlich nicht auf Anhieb. Mein Vater war daher enttäuscht, dass das Zebra über alle Berge war, ehe meine Mutter anhielt.

Zeit und Raum verloren

Die Abgeschiedenheit der Farm ließ uns jedes Zeitgefühl verlieren. Wir lebten unbeschwert dahin. Silvester wurde ohne Zwischenfall gefeiert. Am nächsten Morgen mussten wir alle zur Schule. Mein Vater war Mathematiklehrer, meine Mutter Schulsekretärin, und wir vier Kinder natürlich Schüler.

Irgendwann ging unser großes Abenteuer zu Ende. Eines Tages sagte meine Mutter: „Wir fahren nach Hause“. Schlagartig waren mir die Konsequenzen bewusst, und ich brach in Tränen aus. Trotz aller Schwierigkeiten, die dieses Land bot, würde ich seine Freiheit und Weite verlieren. Es folgte nach dem Klimaschock der Kulturschock.

Müsste Weihnachten in der Heimat nicht genauso sein wie vorher, vor Südwestafrika? Aber nichts war, wie es gewesen war. Die Zimmer im Haus waren viel kleiner. Das Waschbecken saß viel tiefer. Meine Großeltern waren in unserer Abwesenheit in unser Haus gezogen. Jetzt waren wir eine Großfamilie.

Alles neu in der Heimat

Noch gravierender war, dass wir nicht mehr Kinder waren, sondern viel selbstständiger als unsere ehemaligen und zum Großteil auch jetzigen Mitschüler und Freunde. Weihnachten war auch nicht mehr das Fest der strahlenden Kinderaugen. Jetzt gestalteten wir Kinder das Fest mit. Ich übernahm den Weihnachtsbaum. Das sollte auch all die Jahre bis zum Studium so bleiben. Ich war sehr anspruchsvoll. Alles musste geschmackvoll und zueinander passend sein. Es wurde ein gemütliches Familienfest. Meine Mutter und meine Oma hatten einen riesigen Berg S-Gebäck gebacken und eine große Pyramide Apfelsinen aufgebaut. Es gab natürlich Kartoffelsalat und Würstchen am Heiligen Abend – und Rouladen mit Rotkohl am 1. Feiertag. Dann mochte sowieso niemand mehr großartig etwas essen. Gegenüber den alten Ritualen hatte sich noch etwas geändert: Der Weihnachtsbaum wurde nicht am Silvestermorgen abgeräumt, sondern blieb einfach bis zum 6. Januar am Dreikönigstag stehen.

Mein Vater kam auf die Idee, doch noch einmal die Kerzen anzuzünden, bevor wir den Baum auf den Kompost warfen. Meine Großeltern und meine Eltern machten es sich auf Sofa und Sesseln bequem. Wir Kinder lümmelten mit ausgestreckten Beinen zu ihren Füßen auf dem Boden. Als die letzten Kerzen aufbrannten, suchte sich jeder eine Kerze aus. Wessen Kerze am längsten brannte, der hatte gewonnen.

Der Christbaum brennt

Ich sah in die Flamme meiner friedlich brennenden blauen Kerze. Da neigte sich ganz langsam der lang gewordene Docht durch eine Lücke des Kerzenhalters bis auf den Ast. Einen kurzen Augenblick war ich wie hypnotisiert. Es machte „Wusch“ – und der ganze Baum stand in Flammen. Alle sprangen auf. Niemand sprach ein Wort. Jeder schien genau zu wissen, was er tun sollte.

Ich sah, wie meine Eltern sich die Decken vom Sofa schnappten. Es war unerträglich heiß. Die bodenlangen Vorhänge schmolzen im Nu und hingen als dicke Klumpen unter der Decke. Mein Opa und ich stürzten in die gegenüberliegende Waschküche und füllten die Eimer mit Wasser aus dem dicken Regenwasseranschluss. Wir hatten unheimliches Glück. Denn gleich daneben waren das Bad mit Waschbecken, Wanne und Dusche und auf der anderen Seite die Küche mit der Spüle. Meine Eltern hatten die Decken über den Baum geworfen, und wir anderen schütteten das Wasser aus unseren Eimern darüber. Dann war schon alles vorüber. Mein Vater riss das Fenster auf und warf den Baum hinaus. Dann hatten wir Zeit, das Zimmer anzuschauen. Alles war verrußt, und der Teppich schwamm in einer schwärzlichen Brühe. „Den Schaden zahlt die Versicherung“, war der Kommentar meines Vaters.

Ich habe noch oft darüber nachgedacht, warum wir so vernünftig reagiert haben. Eine meiner Theorien war, dass wir in Südwestafrika schon einmal helfen mussten, einen Brand löschen. Der Busch neben der Stadt, nicht weit von unserem Haus, stand in Flammen. Wir stürzten hinaus mit Zinkeimern in den Händen und schütteten Sand auf die Flammen. In dem Ort gab es nur eine alte, von Menschen oder Pferden gezogenen Feuerwehrspritze aus Kaisers Zeiten, in die Wasser eingelassen wurde, das dann mit Menschenkraft herausgepumpt wurde. Ich erinnere mich daran, dass ich überhaupt nicht mehr wusste, wo ich war, als der Ruf kam, alles sei vorbei. Das fand ich beängstigender als das Feuer selbst.

Da mein Vater noch Jahre danach nicht auf Wachskerzen verzichten wollte, standen immer zwei große Eimer mit Wasser neben dem Tannenbaum. Ich glaube, bis zu meinem Auszug nach der Schulzeit gab es in meinem Elternhaus keine elektrische Lichterkette.

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