Zähl Pixel
Tragödie an türkisch-syrischer Grenze

21 000 Erdbebenopfer: Diese Hilfsaktionen sind im Kreis angelaufen

Türkische Rettungskräfte tragen den 60-jährigen Eyup Ak in Adiyaman zu einem Krankenwagen, nachdem sie ihn 104 Stunden nach dem Erdbeben lebend aus einem eingestürzten Gebäude geborgen haben.

Türkische Rettungskräfte tragen den 60-jährigen Eyup Ak in Adiyaman zu einem Krankenwagen, nachdem sie ihn 104 Stunden nach dem Erdbeben lebend aus einem eingestürzten Gebäude geborgen haben.

Vier Tage sind seit den verheerenden Erdbeben vergangen. Und noch immer hoffen die Helfer auf beiden Seiten der türkisch-syrischen Grenze auf Überlebende. Aus ganz Deutschland kommt Hilfe – auch im Kreis wurden private Aktionen gestartet.

Samstag, 11.02.2023, 07:59 Uhr

Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!

Istanbul/Damaskus. Ein Rennen gegen die Zeit, so wird die Arbeit der Helfer im Erdbebengebiet beschrieben. Und obwohl noch immer Überlebende geborgen werden, scheint die Zeit für Wunder allmählich abzulaufen. Bislang wurden mehr als 21 000 Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien gezählt. Um denen, die überlebt haben, zumindest mit dem Nötigsten zu helfen, rollt immer mehr internationale Hilfe an – auch aus Deutschland.

Vor Ort kämpfen die Retter um jedes Leben. „Wir machen weiter, bis wir sicher sind, dass es keine Überlebenden mehr gibt“, zitierte eine Reporterin des staatlichen türkischen Fersehsenders TRT World am Freitagmorgen einen Sprecher der Einsatzkräfte.

Rettungen, die an Wunder grenzen

Und tatsächlich gibt es noch Berichte über schier unglaubliche Rettungen. In der Südosttürkei konnten Helfer ein zehn Monate altes Baby mit seiner Mutter lebend bergen – die beiden harrten 90 Stunden unter den Trümmern aus. Die Retter umwickelten den Säugling mit einer Wärmedecke, wie Bilder zeigten. Sie hielten es so behutsam als könne es zerbrechen.

In Hatay retteten Helfer zudem einen Mann nach 101 Stunden unter Trümmern. Sie benötigten zehn Stunden, um ihn unter einem Betonblock zu befreien, wie der Sender CNN Türk berichtete. Medienberichten zufolge wurden in der Provinz noch am Freitagmorgen insgesamt sechs Menschen lebend aus den Trümmern desselben Gebäudes geborgen.

In Adiyaman befreiten die Helfer nach Angaben von CNN Türk einen Menschen nach 104 Stunden unter den Trümmern – aus der Gebäuderuine sind demnach noch immer Stimmen zu hören.

Nach so langer Zeit noch Lebende zu bergen, gleicht einem Wunder. Nur in seltenen Fällen überlebt ein Mensch mehr als drei Tage ohne Wasser, zumal bei eisigen Temperaturen. Die Zahl der Toten in beiden Ländern steigt daher rasant.

Internationale Hilfe

Die Weltbank kündigte bereits am Donnerstag an, der Türkei Unterstützung in Höhe von 1,65 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Damit sollen die Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen vorangetrieben werden. Auch Deutschland sagte weitere Hilfslieferungen zu. „Wir stehen an der Seite der Türkei“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Militärflughafen Wunstorf bei Hannover, den sie gemeinsam mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) besuchte.

„Wir fliegen so lange wie nötig“, betonte Pistorius. „Das wird jetzt in den nächsten Tagen so weitergehen.“ Geliefert werden vor allem Zelte, Betten, Schlafsäcke, Decken, Heizgeräte und Generatoren. Pistorius sagte, die Bundeswehr leiste ihren Beitrag „zuverlässig und schnell und unbürokratisch“.

Schnelle Hilfe haben sich auf viele private Helfer aus dem Landkreis auf die Fahnen geschrieben. Die Goslarsche Zeitung gibt einen Überblick über die Aktionen:

BAD HARZBURG

Seit Mittwoch schon ist Osman Vural mit einer kleinen Mannschaft unterwegs, um Hilfsgüter ins Katastrophengebiet zu bringen. Und in der kommenden Woche startet eine Spendensammlung, die die Ratsdame Fadime Özdemir ins Leben gerufen hat und bei der sie von den Bad Harzburger Feuerwehren unterstützt wird.

Osman Vural, Inhaber eines Paketlieferdienstes, wollte ganz schnell den Menschen in seinem Heimatland helfen und hat die Hilfsgüter im privaten Kreis beziehungsweise per Internet-Chatgruppen zusammengesammelt. Fundament der Aktion ist eine Kooperation mit der Moschee in Oker. Sein Ziel ist Kahramanmaras, er möchte die Hilfe direkt ins Zentrum der Katastrophe bringen.

Die Spendenaktion, zu der Fadime Özdemir aufgerufen hat, beginnt am Dienstag, 14. Februar: Ab 19 Uhr werden Spendengüter in den Feuerwehrhäusern in Bad Harzburg, Bündheim, Harlingerode, Westerode und Bettingerode entgegengenommen. In Bettingerode können auch am Mittwoch ab 19 Uhr Spenden abgegeben werden. Am Donnerstag ab 19 Uhr dann noch einmal in Bad Harzburg, Bündheim, Harlingerode und Westerode.

Gebraucht werden Decken und warme Kleidung sowohl für Kinder, als auch für Erwachsene. Viele, so Fadime Özdemir, hätten ihre Häuser nur mit dem verlassen, was sie am Leibe getragen hätten. Außerdem wird Erste-Hilfe-Material gebraucht, also Verbände, Pflaster, Desinfektions-Material – auch wenn es schon abgelaufen ist. Die Sachen werden in der Woche darauf in die Türkei gebracht, wobei das dann auf privater Basis erfolgt, die Feuerwehren der Stadt werden keinen Fahrdienst leisten, wohl aber im Vorfeld logistische Unterstützung beim Sammeln der Hilfsgüter.

GOSLAR

Die Spendenaktion am Brauhof hat „Flames“-Betreiber Mamedow Schükür ins Leben gerufen. Als er das Leid der Kinder in den betroffenen Orten gesehen hat, war für den zweifachen Vater klar, dass er etwas tun müsse.

Er beschloss zu spenden und habe auch andere Bürger darauf aufmerksam gemacht. Kurz darauf begannen Menschen, Sachgüter in großen Mengen im Brauhof vorbeizubringen. Diese packt er zusammen und lädt sie in Transporter und Lkw, die Adana und Syrien ansteuern.

Vor Ort habe Schükür nur die Hilfe von weiteren Ehrenamtlichen und Kunden, weshalb er von morgens bis abends mit dem Verpacken der Spenden beschäftigt sei. „Jeder kann helfen. Im Rahmen meiner Möglichkeiten versuche ich, alles zu geben.“ 

CLAUSTHAL-ZELLERFELD

„Erneut ist Solidarität gefragt. Wir möchten helfen, indem wir eine Sachspenden-Sammlung in unserer Schule organisieren“, heißt es in einem Aufruf der Klasse 11a der Robert-Koch-Schule (RKS). In der kommenden Woche von Montag bis Mittwoch wollen die Schüler in der Hausmeisterloge der RKS die Spenden entgegennehmen, verpacken und zur zentralen Sammelstelle in Goslar bringen, von wo aus diese mit Transportern in die Krisengebiete gebracht werden. Die zentrale Sammlung von Hilfsgütern erfolgt in enger Absprache mit dem türkischen Generalkonsulat Hannover, heißt es von der Klasse 11 a.

Besonders benötigt werden für ein SOS-Paket Taschenlampen, Batterien, Powerbanks, Erste-Hilfe-Sets und neue Decken. Aber auch Hygieneartikel, Feuchttücher und Shampoo sowie Duschgel stehen auf der Liste. Gleiches gilt für Lebensmittel wie Konserven und sättigende Produkte (Reis, Nudeln, Nüsse und Reiswaffeln). Die Elftklässler erinnern auch an Babys und rufen dazu auf, Babynahrung, Fläschchen, Schnuller und Windeln zu spenden.

Am Donnerstag, 16. Februar, planen die Schüler der 11 a einen Kuchenverkauf. Der Erlös soll ebenfalls den Erdbebenopfern zugutekommen.

LANDKREIS 

Im Landkreis ist derzeit keine zentrale und große Spendenaktion bekannt, aber mehrere private Initiativen, um Menschen aus der Türkei und Syrien zu helfen. Derweil hat der DRK-Landesverband Niedersachsen mit anderen Landesverbänden eine Spendenaktion gestartet, erste Hilfsgüter seien auf dem Weg, heißt es.

Politische Lage erschwert Hilfen

Schwierig ist für die Helfer vor allem die politische Lage in Syrien. Das Problem sei, dass die Regierung und ihre Truppen zuletzt keine humanitäre Hilfe in das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land gelassen hätten, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im WDR-Radio.

Der einzige Grenzübergang Bab al-Hawa war schon vor dem Erdbeben eine wichtige Lebensader für rund 4,5 Millionen Menschen im Nordwesten des Landes, die nicht von der syrischen Regierung kontrolliert werden. 90 Prozent der Bevölkerung waren dort bereits vor der Katastrophe nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Präsident Erdogan ließ am Donnerstag vom Parlament in Ankara den Ausnahmezustand für drei Monate bestätigen. Das Dekret wurde im Amtsblatt veröffentlicht - damit ist der Ausnahmezustand in Kraft. Die Maßnahme umfasst die zehn Provinzen, die auch vom Erdbeben getroffen wurden. Erdogan hatte gesagt, der Ausnahmezustand werde helfen, gegen diejenigen vorzugehen, die „Unfrieden und Zwietracht stiften“. So könnten zum Beispiel Plünderungen verhindert werden.

Katastrophe schlimmer „als die Tage des Krieges“

Alleine in der Türkei wurden 18 342 Tote gezählt, die Zahl der Verletzten lag zuletzt bei 72 879. Mehr als 8000 Verschüttete wurden nach türkischen Angaben bislang gerettet. Experten befürchten aber, dass noch Zehntausende unter den Trümmern liegen.

In Syrien wurden bislang 3377 Tote gefunden. „Wir stehen vor einer Katastrophe, die schlimmer ist als die Tage des Krieges“, sagte eine Frau namens Suad im syrischen Aleppo der Deutschen Presse-Agentur. „Viele unserer Nachbarn und Verwandten sind bei dem Erdbeben gestorben.“

Aleppo gilt als Sinnbild des syrischen Bürgerkrieges. Die Stadt wurde bei heftigen Kämpfen stark zerstört. Sie steht inzwischen wieder unter Kontrolle der Regierungstruppen von Machthaber Baschar al-Assad. Am Montag haben die Erdbeben der Stadt zusätzlich stark zugesetzt: Behörden zufolge mussten Zehntausende ihre Häuser verlassen.

Das erste Beben hatte am frühen Montagmorgen mit einer Stärke 7,7 das Grenzgebiet erschüttert. Am Mittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,6 in der Region. Es gab viele Nachbeben.

Diskutieren Sie mit!
Weitere Themen aus der Region