Zähl Pixel
Adventsserie „Weihnachten mit Herz“

10. Dezember: Immer ein Platz in unserer Mitte

Ein Bild aus Kindertagen: Maritta Richter mit Oma und „Onkel“.  Foto: Privat

Ein Bild aus Kindertagen: Maritta Richter mit Oma und „Onkel“. Foto: Privat

In der GZ-Adventsserie „Weihnachten mit Herz“ schreiben Leser Geschichten, die Freude machen, nachdenklich sind und Hoffnung geben. Von ihren Erlebnissen in der Nachkriegszeit an Weihnachten erzählt Maritta Richter aus Langelsheim.

Samstag, 10.12.2022, 07:57 Uhr

Für nur 0,99 € alle Artikel auf goslarsche.de lesen
und im ersten Monat 9,00 € sparen!
Jetzt sichern!

Langelsheim.„Weihnachten mit Herz“ heißt in diesem Jahr der Titel unserer GZ-Adventsserie. Leserinnen und Leser schreiben Geschichten, die Freude machen, nachdenklich sind, Hoffnung geben oder Erinnerungen wecken – gerade auch in schwieriger Zeit. Maritta Richter aus Langelsheim erzählt die Geschichte vom Onkel des Herzens ...

Es ist nicht schwer, einen Menschen glücklich zu machen. Es bedarf keiner teuren Geschenke, um ein Herz zu erfreuen. Es braucht aber oft viel Zeit, um Wünsche oder das Verlangen nach irgendetwas bei einem Menschen zu erkennen. Ein Erlebnis aus Kindertagen zeigte mir, wie man jemanden auf andere Art und Weise glücklich machen kann.

Der neue Untermieter

Es war nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945), Ende der 40er-, Anfang der 50er Jahre. Ein Opa war im Krieg gefallen, deshalb gab meine Oma, der das Haus gehörte, in dem wir wohnten, eines ihrer Zimmer an einen Fremden ab.

Maritta Richter

Maritta Richter

Dieser Mann, er kam aus Polen, wohnte nun bei ihr als Untermieter für Kost und Logis. Soll heißen, er konnte wohnen, bekam sein Essen und seine Wäsche gewaschen. Dafür machte er sich bei den Tieren, mit Reparaturen und im Garten nützlich. Er war ein ziemlicher Einzelgänger und redete nicht viel.

Er hieß Valentin Grabowski und wurde von uns Kindern kurz „Onkel“ genannt. Von seiner Familie sprach er damals nicht. Oma sagte einmal, dass es wohl niemanden mehr gebe. Sie hatte ihm im Laufe der Zeit doch so manches herausgelockt, aber mit vielem hielt er sich sehr bedeckt, war auch sehr in sich gekehrt und machte dabei einen traurigen Eindruck.

Die Zeit verging, das Weihnachtsfest nahte, und wie in den vergangenen Jahren fanden sich am späten Nachmittag des Heiligabends alle Familienmitglieder in der großen Stube meiner Tante ein, wo Geschenke verteilt und auch gegessen wurde. Es gab dann Würstchen und Kartoffelsalat.

Gefühl der Einsamkeit

Onkel machte sich schon den ganzen Tag über rar. Er verkündete der Oma, dass er noch keine Zeit hatte, sich um die Tiere zu kümmern, dass aber noch gegen Abend machen werde – und anschließend mit dem Hund gehe. Wir alle ahnten, dass er in den nächsten Stunden allen und allem aus dem Weg gehen wollte, um alleine zu bleiben.

Das ging aber nun mal gar nicht, da waren wir uns alle einig. Jeder hatte doch auch für ihn eine Kleinigkeit zu Weihnachten: Gestrickte Socken von der Oma, Taschentücher, Zigaretten und von den Kindern selbst gebastelte kleine Geschenke. Aber alle waren der Meinung, das war es nicht, was er wollte.

Als Onkel dann eine Weile mit dem Hund unterwegs war, machten wir Kinder uns auf, ihn zu suchen. Das heißt, suchen mussten wir nicht, denn wir kannten den Weg, den die beiden täglich machten.

Ganz erstaunt, uns plötzlich zu sehen, meinte er, dass wir doch jetzt wohl zu Hause sein sollten. Darauf antworteten wir: „Das geht nicht, denn einer fehlt uns.“ „Aber ihr seid doch alle beisammen“, stellte Onkel fest. Wir sahen uns an, und es kam wie aus einem Mund: „Jetzt ja!“

Glanz in seinen Augen

Zu Hause angekommen führten wir ihn in die gute Stube, wo die Kerzen des Weihnachtsbaums angezündet waren und alle Familienmitglieder schon am Tisch saßen. Nun bekam Onkel seinen Platz zwischen uns. Die Geschenke waren fürs Erste vergessen.

Nach dem Essen fing er langsam an, zu erzählen. Wir saßen da und bekamen einen Einblick in sein früheres Leben. Sein Gesicht war jetzt nicht mehr so traurig, und seine Augen bekamen einen seltsamen Glanz. Da merkte ich, was ihm lange gefehlt hatte. Bis zu seinem Tod behielt er den Platz in unserer Mitte.

Und am Montag lesen Sie ...

„Er bringt Hoffnung zu den Menschen“, eine Adventsgeschichte aus Goslar.

Die Goslarsche Zeitung gibt es jetzt auch als App: Einfach downloaden und überall aktuell informiert sein.

Diskutieren Sie mit!
Weitere Themen aus der Region