Wege zur Wirtschaftsförderung
Jörg Kleine erörtert in seiner Kolumne, wer die Verantwortung für die Zukunft der Altstadt trägt. Sind es die Eigentümer, die Kunden oder die Stadt? Oder alle gemeinsam? Foto: picture alliance/dpa | Swen Pförtner
Was kann die Stadt gegen Leerstand tun? GZ-Chefredakteur Jörg Kleine analysiert in seiner Kolumne „Nachgedacht“ die Herausforderungen der Innenstadtentwicklung.
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Goslar. Läden stehen leer, immer weniger Kneipen und Restaurants, Kinos schließen, Hotels sind verwaist – verdammt, hier ist überhaupt nichts mehr los. Fast jeder kennt dieses Lamento, und zwar quer durch Deutschland. Die Schlussfolgerung ist ebenfalls fast immer gleich: Die Stadt muss endlich mal was tun.
Wer aber ist „die Stadt“? Und was sollte, was kann sie wirklich tun? Zu den Aufgaben einer aus Steuergeld finanzierten Kommune gehört ganz sicher nicht, in den Innenstädten auch noch Läden, Kneipen oder Restaurants zu betreiben. Das darf sie auch gar nicht, denn das Wirtschaftsleben ist eine Sache des Privaten. Angebot und Nachfrage, Dienstleister und Kunde, Händler und Käufer, Mieter und Vermieter – so heißen die Partner in einer Marktwirtschaft, aus der sich am Ende erst der Wohlstand ergeben kann, um daraus eine öffentliche Verwaltung zu finanzieren.
Die Kaiserstadt Goslar liefert in diesen Wochen ein beredtes Beispiel, bei dem persönliche Wahrnehmungen, private Wünsche, öffentliche Aufgaben, Einzelhandel, Altstadt, Denkmalschutz, Welterbe und Leerstände, Realität und Wolkenkuckucksheime munter durcheinandergewürfelt werden.
Leerstände im Einzelhandel: Im Goslarer Zentrum haben einige Geschäfte geschlossen, Filialen aufgegeben, andere ziehen um, insgesamt ist die Zahl der Leerstände gewachsen. Die Stadt hat mit Fördermitteln des Bundes ein kleines Programm angeboten, um Neueröffnungen befristet zu unterstützen – sowohl Mieter als auch Vermieter. Damit kann eine Stadtverwaltung aber das wirtschaftliche und gesellschaftliche Kernproblem nicht lösen: Erstens sind die privaten Hausbesitzer vor allem selbst verantwortlich, dass sie Ladenmieter finden – mit allen Chancen und Risiken. Zweitens liegt es auch in den Händen der Goslarer Kunden, ob Geschäfte in der eigenen Stadt erfolgreich laufen können oder nicht. Wer als Besitzer Mietpreise verlangt, die kein Händler erwirtschaften kann, darf sich nicht beklagen, wenn sein Laden leer steht. Wer als Kunde nur per Mausklick bei Online-Händlern bestellt, darf sich nicht wundern, wenn zwar der Verkehr auf der Autobahn wächst, aber die Auswahl im eigenen Zentrum schrumpft und Läden schließen müssen.
Beispiel Altstadt-Initiative: Die historischen Traditionshäuser Kaiserworth und Brusttuch, Eigentum einer Berliner Immobiliengruppe, stehen leer. Zugleich hat der Berliner Verein „World Heritage Watch e.V.“ die Kaiserstadt abgewatscht, dass sie durch institutionelles Versagen das Welterbe und die Baudenkmäler vernachlässige. Größter Kritiker ist der Berliner Architekt und gebürtige Goslarer Henning Frase, der zur Unterschriftensammlung aufrief. Unter dem wuchtigen Titel „World Heritage Watch e.V.“ agiert indes ein Mini-Verein, der zwar mit der Unesco-Welterbe-Organisation nichts zu tun hat, aber der Stadt einen herzhaften Zehn-Punkte-Plan zum Handeln vorlegt. Während viele Goslarer Hausbesitzer in der Altstadt seit Jahren über zu viele Vorschriften und Lasten stöhnen, die ihnen durch Denkmalschutz und Welterbe auferlegt werden, will der Wächterverein aus Berlin die Schrauben offenbar noch stärker anziehen. Da steht mancher Unterzeichner mit sich selbst im Widerspruch.
Was bleibt? Keine Unterschrift wird dazu beitragen, dass ein Berliner Privatbesitzer umgehend Kaiserworth und Brusttuch auf Vordermann bringt. Kein Hausbesitzer wird sein Energieproblem im Denkmal lösen. Kein Förderprogramm wird Leerstände im Zentrum massiv und wirksam bekämpfen können. Und die Stadt wird nicht Hotels und Restaurants auf Steuerzahlerkosten betreiben.
Aber jeder Einzelne ist trotzdem nicht machtlos: Handel, Gastronomie, Gewerbe in der eigenen Stadt unterstützen. Wer also ist „die Stadt“? Das sind genau Sie.
Wie stehen Sie zu dem Thema?
Schreiben Sie mir:
joerg.kleine@goslarsche-zeitung.de
Unterschriftensammlung
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