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Frankreich

Vom Altersheim auf den Dancefloor

Mit viel Vorfreude haben sie darauf gewartet: Nun tummeln sich die Bewohner von vier französischen Altenheimen auf der Tanzfläche eines Nachtclubs.

Mit viel Vorfreude haben sie darauf gewartet: Nun tummeln sich die Bewohner von vier französischen Altenheimen auf der Tanzfläche eines Nachtclubs. Foto: Rachel Sommer/dpa

Von wegen trister Seniorenalltag mit Bingo und Bridge: In Frankreich geht es für die Bewohner einiger Altenheime in den Club. Über einen Ausflug, der Erinnerungen weckt und Selbstvertrauen gibt.

Von Rachel Sommer, dpa Sonntag, 14.12.2025, 06:20 Uhr

Pontivy. Die 99-jährige Mathilde Bihouee kann sich nicht mehr immer alleine auf den Beinen halten. Doch an diesem Nachmittag gegen Jahresende tänzelt sie vergnügt mit kleinen Schritten mitten in einem französischen Club. Die zierliche Dame ist eine von Dutzenden Heimbewohnerinnen und -bewohnern, die an diesem Tag zur „Old Friends Party“ in die Disco „Le Missyl“ in der bretonischen Kleinstadt Pontivy gekommen sind. Auf dem Programm: Bunte Lichteffekte, Drinks und statt Techno oder Elektro zahlreiche Hits vergangener Tage.

Mathilde Bouhee tanzt mit Betreuern und anderen Heimbewohnern in der Disco.

Mathilde Bouhee tanzt mit Betreuern und anderen Heimbewohnern in der Disco. Foto: Rachel Sommer/dpa

Die Idee zu der ungewöhnlichen Party stammt von Amandine Le Meilleur, die im Altenzentrum Jeanne de Kervénoaël als Freizeitbetreuerin arbeitet. Immer wieder sei es in Gesprächen mit den Bewohnern um Bälle und Tanzabende gegangen. „Also habe ich mir gesagt, wieso lassen wir sie diese Momente nicht noch einmal erleben, aber auf eine etwas modernere Art.“ Der Betreiber der örtlichen Disco sei sofort an Bord gewesen. „Ich gehe vom Prinzip aus, dass wir alle das Recht haben, uns zu amüsieren, einen schönen Moment zu erleben, auf andere Ideen zu kommen - und das unabhängig vom Alter oder von körperlichen oder mentalen Behinderungen“, erzählt Régis Toutain der Deutschen Presse-Agentur.

„Projekte, die begeistern, beleben“

Das sieht auch Pierre Roux so. Die Idee eines Discoabends sei zweifelsohne wunderbar, sagt der Vorsitzende der französischen Vereinigung von Altenheimleitern. Kontakt nach Außen und auch zwischen den Generationen sei für alte Menschen wichtig. „Sie brauchen es, stimuliert zu werden“, sagt Roux und fasst zusammen: „Projekte, die begeistern, beleben.“

Neben 17 Bewohnerinnen und Bewohnern des Altenzentrums Jeanne de Kervénoaël schwingen auch Senioren aus drei weiteren Heimen bei der Party das Tanzbein. Gemeinsam mit Freiwilligen und Angehörigen wird zu Twist und Walzer gesteppt. Und auch anderswo in Frankreich laden Seniorenheime ihre Bewohner in den Club ein - teils sogar spätabendlich zu regulären Partys.

Zu Twist, Walzer, Tango und Polonaise tanzen im Club Jung und Alt miteinander.

Zu Twist, Walzer, Tango und Polonaise tanzen im Club Jung und Alt miteinander. Foto: Rachel Sommer/dpa

Jugenderinnerungen werden wach

In Pontivy ist Mathilde Bihouee schon Stunden vor dem Clubbesuch mit hellrosa Kleid und Schleifchen im Haar bereit für die Party. Auch die 79-jährige Simone Philippe hat sich bereits in Schale geworfen und ist voller Vorfreude. Eben noch wurden ihre Haare frisch geschnitten und Make-up aufgetragen. „Das erinnert mich an meine Jugend“, erzählt sie. Früher sei sie sehr häufig tanzen gegangen. In den kleinen Ortschaften habe es im Sommer an drei bis vier Abenden Bälle gegeben. In einen Club aber habe sie noch nie einen Fuß gesetzt. Man denke da tatsächlich eher an junge Menschen, sagt sie, „aber das tut Alten auch gut. Es ist nicht nur für Junge.“

Vor dem Besuch im Club lässt sich Simone Philippe schminken.

Vor dem Besuch im Club lässt sich Simone Philippe schminken. Foto: Rachel Sommer/dpa

Auch Jean-Pierre Roger freut sich schon auf die Party. Der 60-Jährige, der früher viele Abende in der Disco verbracht hat, kennt den Club in Pontivy bereits. „Das ist gut. Wir haben dort einen Riesenspaß.“

Betreuerin: Senioren fühlen sich wertgeschätzt

Im Club sind dann jüngere wie Roger bis hin zur 99-jährigen Bihouee dabei. Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator machen ebenso mit wie solche, die gut zu Fuß sind. Betreuerin Le Meilleur betont: „Das ist eine Aktivität, die an alle Bewohner angepasst werden kann.“ Was zähle, sei schlicht, dass die Menschen Lust auf den Ausflug hätten. „Wenn Tanzen etwas ist, das ihnen gefällt, gibt es kein Problem. Es ist nicht die Behinderung, die uns Probleme bereiten wird.“

Für die Senioren spielt der DJ Hits aus deren Jugend.

Für die Senioren spielt der DJ Hits aus deren Jugend. Foto: Rachel Sommer/dpa

Die außergewöhnliche Veranstaltung gebe den Heimbewohnern viel, erzählt Le Meilleur. Von der Vorbereitung bis hin zum gemeinsamen Schwelgen in den Erinnerungen an die Stunden im Club werde eine ganz besondere Dynamik geschaffen. Der Ausflug habe ästhetische Elemente, wenn geschminkt, frisiert und die Kleidung gewählt wird, die körperliche Bewegung beim Tanzen stärke außerdem das Selbstbewusstsein. „Sie fühlen sich in diesem Moment wertgeschätzt.“

Positive Reaktionen und ein Wunsch nach mehr

Entsprechend gut ist die Stimmung zwischen traditioneller bretonischer Musik, alten französischen Chansons, Tango und Polonaise im „Le Missyl“. Einige Bewohner schauen lieber zu, doch leer ist die Tanzfläche in dem kleinen Club nie. Immer wieder bitten die Betreuer die Senioren zum Tanz und auch unter ihren Altersgenossen suchen sich die Heimbewohner Tanzpartner.

„Wenn man die Alten mit leuchtenden Augen sieht, weil ihre Erinnerungen wachgerufen werden, sagt man sich, dass man alles gewonnen hat“, meint Clubbetreiber Toutain. Auch die Angehörigen würden das Angebot gut aufnehmen, erzählt Le Meilleur. Wenn einige zu Beginn auch erst dachten, ihre Verwandten faszinierten, als diese erzählten, sie seien im Club gewesen.

Auch viele Bewohnerinnen und Bewohner im Rollstuhl feiern im Club mit. Eine von ihnen ist Charline Bar.

Auch viele Bewohnerinnen und Bewohner im Rollstuhl feiern im Club mit. Eine von ihnen ist Charline Bar. Foto: Rachel Sommer/dpa

Nach zwei Stunden sind Roger, Bihouee und Philippe sich einig, dass die Fete sehr gut war. Charline Bar hat den außergewöhnlichen Ausflug ebenfalls genossen, bedauert es aber, in ihrem Rollstuhl nicht wie früher tanzen zu können. Was Madame Philippe auch sagt: Sie würde gerne wiederkommen. Ginge es nach Roger, wären die Ausflüge in den Club sogar deutlich häufiger. Wie oft es in die Disco gehen sollte? „Jedes Wochenende!“

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